Gescheiterte Rekommunalisierung: Vom Leuchtturm zum Reinfall
Der Bund der Steuerzahler kritisiert die hohen Kosten für die Abwicklung der Stadtwerke Aurich. Schuld ist der Traum vom Ökostrom aus der Region.
„Natürlich sind wir Grünen anfangs dafür gewesen – wie eigentlich alle Parteien im Stadtrat“, sagt Gila Altmann, die das gesamte Drama als Rats- und Kreistagsmitglied von Anfang bis Ende verfolgt hat. Entstanden ist die Idee allerdings auf Betreiben der SPD und ihres Bündnispartners GAP (Grün-Alternative Politik), unterstützt selbst von der lokalen CDU.
Das war 2010 – in der Phase, die Altmann, aber auch die lokalen Medien, „die fetten Jahre“ nennt. Damals überwies der Windanlagenhersteller Enercon der Stadt Aurich noch zweistellige Millionenbeträge an Gewerbesteuern.
Zusammen mit Enercon wollte die Stadt dann auch ins Energiegeschäft einsteigen. 2010 wurden die Stadtwerke Aurich gegründet, 2014 die Muttergesellschaft Stadtwerke Aurich Holding GmbH, an der Enercon 40 Prozent der Anteile hielt. Ein „Leuchtturm für die Energiewende“ sollte das werden, bekundeten die Partner damals. Von einem Modellprojekt mit bundesweiter Ausstrahlung träumte die lokale Politik.
Kampf um die Konzession
Allerdings mussten die Stadtwerke erst noch die Konzessionen für das Strom- und Gasnetz gewinnen, die bis dahin bei der EWE lagen. Und der fünftgrößte Energieversorger Deutschlands dachte gar nicht daran, die kampflos aufzugeben.
Zweimal scheiterte die Stadt vor Gericht mit dem Versuch, die auslaufenden Konzessionsverträge an die Stadtwerke zu vergeben. Beim ersten Mal wegen Fehlern bei der Ausschreibung. Beim zweiten Mal daran, dass man allzu hemdsärmelig versucht hatte, die Ausschreibungskriterien und deren Bewertung zugunsten der Stadtwerke zurechtzubiegen.
Einen weiteren Versuch wagte die Stadt dann nicht mehr – da kam der Kommunalwahlkampf dazwischen, den der aktuelle Bürgermeister Horst Feddermann (parteilos) unter anderem mit dem Versprechen gewann, die Stadtwerke abzuwickeln.
Die haben in den Jahren des schwelenden Konzessionsstreites allerdings eine Menge Geld ausgegeben. Der Aufbau einer eigenen Vertriebsinfrastruktur, der Erwerb und Neubau von Immobilien, der Einkauf von externem Know-how haben einen nicht geringen Teil der Summe verschlungen, die eigentlich für den Ankauf der Netze eingeplant war.
Ungefähr 4.000 Verträge soll das Unternehmen zuletzt betreut haben – und beständig Verluste gemacht haben, weil ja weiterhin Netzentgelte entrichtet werden mussten. Gelohnt hätte sich das Geschäft eben nur, wenn man die als Netzinhaber für die eigenen Kunden eingespart – und stattdessen von den anderen Stromanbietern kassiert hätte.
Auf rund 3,3 Millionen Euro beliefen sich die Verluste, die die Stadt Aurich seit 2014 als Mitgesellschafterin ausgleichen musste, rechnet Jan Vermöhlen im Auftrag des Bundes der Steuerzahler vor. Wahrscheinlich wird die Summe im Zuge der weiteren Abwicklung noch wachsen. „Dieser Fall zeigt einmal mehr, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer ist“, schreibt Vermöhlen im Schwarzbuch.
Das ist eine Schlussfolgerung, der sich nicht jeder anschließen mag. „Im Nachhinein muss man einfach sagen, dass wir mit der Stadtwerkegründung halt zwanzig bis dreißig Jahre zu spät dran waren“, sagt Kalle Altmann (Grüne). Ein kleiner regionaler Anbieter, der gerade erst im Aufbau ist, werde doch niemals die jetzt anstehenden Investitionen in die Netze – etwa zur Ertüchtigung fürs Smart Grid, also das intelligente Stromnetz, stemmen können.
An großzügige Investitionen ist in Aurich in der Tat in vielen Bereichen gerade nicht zu denken: Enercon kämpft nach massiven Umsatzeinbrüchen ums Überleben. Die Gewerbesteuereinnahmen fließen nur noch spärlich. Einen Käufer für die Stadtwerke konnte Aurich bisher auch nicht finden. Im Sommer beschloss der Rat nun endgültig die Abwicklung. Aus dem Leuchtturm ist ein Reinfall geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“