Gerichtsurteil zu Sozialleistungen: Geflüchtete Roma gestärkt

Einer Roma-Familie in Hildesheim wurden Sozialleistungen zu Unrecht gekürzt, so ein Gericht. Die Familie konnte keine Staatsangehörigkeit nachweisen.

Eine Frau mit zwei Kindern an der hand läuft in eine Mehrfamilienhaus

Nach Deutschland geflüchtete Roma wurden durch einen Gerichtsbeschluss erheblich gestärkt Foto: Thomas Koehler/imago

GÖTTINGEN taz | Die Ansprüche auf Sozialleistungen von nach Deutschland geflüchteten Roma sind durch einen weitreichenden Gerichtsbeschluss erheblich gestärkt worden. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen verpflichtete den Landkreis Hildesheim, einer sechsköpfigen Roma-Familie aus dem Kosovo höhere Sozialleistungen zu gewähren.

Mit dem am Montag bekannt gewordenen Beschluss wiesen die Richter eine Beschwerde des Landkreises gegen ein vorausgegangenes Urteil des Hildesheimer Sozialgerichts ab. Dieses hatte den Kreis verpflichtet, der Familie ungekürzte Leistungen zu gewähren und ihr Zugang zum gesetzlichen Krankenversicherungssystem zu ermöglichen.

Die Familie hatte seit Jahren trotz erheblicher Bemühungen die eigene Identität nicht nachweisen können, da eine Staatsangehörigkeit weder durch die Behörden des Kosovo noch durch die Serbiens und Nord-Mazedoniens bestätigt wurde. Der Landkreis verweigerte der Familie seit 2015 die Zahlung der üblichen Sozialleistungen mit der Begründung, sie hätten keine Pässe vorgelegt und ihre Staatsangehörigkeit nicht nachgewiesen.

Bundesweit müssen Geflüchtete, die etwa wegen verlorener Pässe ihre Staatsangehörigkeit nicht beweisen können und bei der Beschaffung neuer Papiere nicht aktiv mitwirken, mit „aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“ rechnen, also ihrer Abschiebung. Sie bekommen zudem weniger Zuwendungen als andere Geflüchtete. Viele Roma wie auch kurdisch-arabische Mahalmi sind aber papier- und staatenlos – und haben deshalb oft gar keine Möglichkeit, ihre Identität nachzuweisen.

Systematisch diskriminiert

Aus Sicht des Landessozialgerichts ließ sich eine Weigerung der vor Gericht gezogenen Familie, Identitätspapiere zu beschaffen, nicht feststellen. Gleichzeitig verwies es auf UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo. Viele Roma lebten dort ausgegrenzt und nicht registriert.

Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam vertritt die Familie. Er sagte, Roma würden im Kosovo „systematisch diskriminiert, auch indem ihnen häufig die Staatsangehörigkeit und das Aufenthaltsrecht abgesprochen wird“. Diese Diskriminierung setze der Kreis Hildesheim fort. „Die Roma-Familien leben in einer ständigen Diskriminierungsspirale aus institutionellem Rassismus.“

Auch in einem weiteren Beschluss versetzte das Landessozialgericht dem Kreis Hildesheim eine Ohrfeige. Ein 21-jähriger Rom war dagegen vorgegangen, dass seine Leistungen wegen eines angeblich gemeinsamen Wirtschaftens mit anderen Personen in einem Hildesheimer Flüchtlingswohnheim reduziert wurden.

Der Kreis stuft den entsprechenden Komplex als Gemeinschaftsunterkunft im Sinne des Aufenthaltsrechts ein und kürzt den dort lebenden alleinstehenden Erwachsenen die monatlichen Bezüge, da gemeinsames Wirtschaften zu Einspareffekten bei der Haushaltsführung führt. Aufgrund der getrennten Küchen und Sanitäranlagen sei hier jedoch nicht von einer Gemeinschaftsunterkunft auszugehen, entgegnete das Gericht nun. Beide Beschlüsse des Landessozialgerichts sind unanfechtbar.

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