Gerichtsentscheid zu Pflegefamilien: Eltern zweiter Klasse

Das Bundesverfassungsgericht hat keine Bedenken gegen den Transfer eines Pflegekindes in eine geeignetere Familie. Das Thema ist höchst umstritten.

Ein Teddybär liegt auf einem sofa

Schwierige Entscheidungen: Die Kompetenzen von Jugendämtern sind umstritten

FREIBURG taz | Jugendämter können Pflegekinder aus einer Pflegefamilie herausnehmen und in einer anderen – vermeintlich besser geeigneten – Pflegefamilie unterbringen – wenn dies dem Kindeswohl dient. Das geht aus einer Entscheidung der RichterInnen hervor, die an diesem Donnerstag veröffentlicht wurde.

Konkret geht es um einen Jungen, der im September 2018 geboren wurde. Seine Mutter war drogensüchtig, weshalb das Jugendamt das Kind in eine Pflegefamilie gab. Es zeigte sich allerdings bald, dass der Junge unter Entwicklungsverzögerungen leidet. Als Dreijähriger kam er im September 2021 in einen integrativen Kindergarten und erhielt dort eine 1:1-Betreuung. Dort fiel der Junge aber häufig durch Konflikte mit anderen Kindern auf.

Das Jugendamt hatte den Eindruck, dass die Pflegeeltern mit dem Jungen überfordert seien und ihnen ein grundlegendes Verständnis für die Besonderheiten und Bedürfnisse des Kindes fehle. Das Amts fand deshalb „professionellere“ Pflegeltern, die aufgrund ihres beruflichen Hintergrunds mit dem „Störungsbild“ des Kindes vertraut seien. Seit Februar 2023 lebt der Junge nun in der zweiten Pflegefamilie, es heißt, er habe sich dort gut eingelebt.

Die erste Pflegefamilie wollte die Wegnahme des Kindes aber nicht akzeptieren und versuchte, eine einstweilige Anordnung dagegen zu erwirken. Entsprechende Anträge scheiterten jedoch, zuletzt im Mai 2023 beim Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg. Nun hatte auch eine Verfassungsbeschwerde der ersten Pflegefamilie keinen Erfolg.

Auch politisch ein Streitthema

Das Bundesverfassungsgericht bekräftigte zunächst seine ständige Rechtsprechung, dass Pflegeeltern sich in der Regel nicht auf das Elterngrundrecht berufen können, sondern nur auf das Grundrecht auf Familie. Die hohen Hürden des Grundgesetzes für die Wegnahme eines Kindes („wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen“) gelten daher grundsätzlich nur für die leiblichen Eltern, nicht für Pflegeeltern.

Für die Wegnahme eines Kindes aus einer Pflegefamilie gelte ein anderer Maßstab, so das Verfassungsgericht. Danach müsse abgewogen werden, ob die Kindeswohlgefährdung durch den Beziehungsabbruch schwerer wiegt als die Kindeswohlgefährdung durch den Verbleib in der Pflegefamilie.

Diesen Maßstab habe das OLG Nürnberg korrekt angewandt und seine Entscheidung ausreichend begründet, so nun das Bundesverfassungsgericht. Dagegen sei die Verfassungsbeschwerde der Eltern von einem falschen Maßstab ausgegangen. Sie werde deshalb wegen mangelnder Substanz abgelehnt.

Die Rolle von Pflegeeltern ist politisch hoch umstritten. Zuletzt wurden sie von der Großen Koalition 2021 gegenüber den leiblichen Eltern gestärkt. Wenn deren Erziehungsfähigkeit sich trotz Hilfen nicht verbessert, kann das Jugendamt anordnen, dass das Kind „auf Dauer“ bei den Pflegeeltern bleibt. Eine solche Anordnung bestand im jetzt entschiedenen Fall aber noch nicht.

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition ist zudem vorgesehen, dass im Grundgesetz ausdrücklich „Kinderrechte“ verankert werden sollen. Der vorliegende Fall zeigt jedoch, dass das Kindeswohl heute schon der entscheidende Maßstab ist. Umstritten ist aber meist, was dem Kindeswohl im Einzelfall am besten dient. (Az: 1 BvR 1088/23)

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