Gericht rügt Polizei Hamburg: G20-Knast-Schikane war illegal
Die Ingewahrsamnahme von italienischen G20-Demonstranten war unrechtmäßig. So urteilte nun das Verwaltungsgericht.
Zudem sei „keine richterliche Anordnung eingeholt“ worden, die die juristische Voraussetzung für den Vollzug einer solchen Maßnahme gewesen wäre, sagte Hölz. Und es sei „nicht nachvollziehbar“, auf welchen Erkenntnissen eine Gefahrenprognose des Verfassungsschutzes beruht habe, nach der am Abend des 8. Juli, mitten während des G20-Gipfels, Straftaten speziell von italienischen Staatsangehörigen, zu erwarten gewesen seien.
Diese Prognose hatte die Überwachung und folgende Festsetzung der drei Männer maßgeblich ausgelöst, zusammen mit dem Hinweis der italienischen Polizei, zwei von ihnen seien mit demonstrationstypischen Straftaten wie „Widerstand“ oder „Hausfriedensbruch“ polizeilich „in Erscheinung getreten“ – Anschuldigungen, die aber laut des Gerichts nicht zu Verurteilungen in Italien geführt hätten. „So geht es nicht“, kritisierte Hölz sowohl die Ingewahrsamnahme aufgrund nebulöser Verdachtsmomente als auch die Tatsache, dass die Betroffenen vor allem festgenommen wurden, weil sie Italiener sind.
Nicht überraschend kam der Richterspruch, weil Hölz bereits in einem sehr ähnlichen Verfahren – in dem es um die Ingewahrsamnahme von acht ebenfalls italienischen Landsleuten ging – auch deren Verbringung in die Gefangenensammelstelle (Gesa) für „grob rechtswidrig“ erklärt hatte. Aber am gestrigen Dienstag ging es vorm Verwaltungsgericht noch um einen anderen Punkt, der im Vorverfahren keine Rolle gespielt hatte: nämlich um die Frage, ob auch der konkrete Vollzug der Ingewahrsamnahme geltendes Recht verletzt habe.
Um den Schlaf gebracht
Verteidigerin Daniela Hödl hatte eine Reihe von Zwangsmaßnahmen aufgeführt, die sie für unrechtmäßig hält: Das Entkleiden der in Gewahrsam genommenen nach Ankunft in der Gesa, dass sie keine Matratzen zum Schlafen und zu wenig Essen bekommen hätten und dass sie ihre Notdurft bei geöffneter Tür verrichten mussten.
Hier gab das Gericht den drei Klägern nur in einem wesentlichen Punkt recht: Dass die ganze Nacht das Licht in den Gefangenen-Containern gebrannt hatte und zudem alle halbe Stunde kontrolliert worden sei, ob die Gefangenen noch am Leben seien, habe sie dauerhaft „um den Schlaf gebracht“, sagte Hölz. Solch dauerhafter Schlafentzug verstoße gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit, selbst wenn diese Praxis in Polizeivorschriften so angeordnet werde.
In allen anderen Punkten befand das Gericht, die behaupteten Schikanen seien von den Klägern „zu wenig substantiiert“ vorgetragen worden oder Grundrechtseingriffe, die gerechtfertigt seien.
Eine Berufung ließ das Gericht, wie auch bei dem vorangegangenen Urteil, nicht zu. Hiergegen hat die Stadt Hamburg als Beklagte Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht eingelegt, das darüber noch nicht entschieden hat.
So bleibt bei beiden Verfahren noch unklar, ob die Rechtsbrüche von Polizei und Justiz während der G20-Tage rechtskräftig festgestellt oder in zweiter Instanz noch überprüft werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann