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■ Gerhard Schröder wird auf den Kurs von Tony Blair einschwenkenRot-Grün auf dem dritten Weg

Als ihn die Nachricht von Lafontaines Rücktritt überraschte, war Gerhard Schröder auf dem Weg zu einem Treffen mit Anthony Giddens, um dessen Buch „Der Dritte Weg“ vorzustellen. Das Treffen mit dem Vordenker des britischen New Labour platzte, doch zugleich hindert Schröder nun nichts mehr, diesen dritten Weg zu beschreiten. Über Monate stand die SPD an einer Gabelung, unentschieden, ob sie in ihrer weiteren Entwicklung eher dem französischen oder dem britischen Vorbild folgen sollte. Es war ein zähes Ringen zwischen den beiden sozialdemokratischen Protagonisten, die doch immer wieder verkündet hatten, daß zwischen sie kein Blatt Papier passe.

Der Kampf der Brandt-Enkel um das Recht des Erstgeborenen ist vorläufig beendet. Diese Auseinandersetzung dominierte die Sozialdemokratie, seit Rudolf Scharping sich 1993 erst gegen Schröder und dann gegen Lafontaine durchsetzte. Die verschiedenen Bündnisse, die in dieser Zeit geschlossen wurden, waren selten welche der programmatischen Übereinstimmung – sie dienten eher dem Machtgewinn und dem Machterhalt. Dies gilt vor allem für die Paarung Lafontaine/Schröder. Lafontaine ordnete, seit er ihr Vorsitzender wurde, die SPD dem Willen zum Erfolg bedingungslos unter. Zugleich erschütterte er mit konsequenten Attacken die wirtschaftspolitische Hegemonie des Neoliberalismus. Er verhieß wieder Arbeit und Wohlstand für alle und setzte zu diesem Zweck auf die Instrumentarien einer nachfragegesteuerten Konjunkturpolitik, wie sie seit Karl Schillers glorreichen Zeiten bei der SPD in ehrfürchtigem Andenken bewahrt wurden. Damit gab er dem wachsenden Überdruß an der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik der CDU/FDP-Regierung ein theoretisches Unterfutter.

Aber erst Schröder formte aus dem Spannungsbogen dieser Pole heraus ein Konzept der „Neuen Mitte“. Es war bereits eine deutliche Anlehnung an die Politik des „New Labour“, mit der Tony Blair 1997 gewann. Von ihm übernahm Schröder den politischen Stil und die auf den Mann an der Spitze zugeschnittene Wahlkampfführung. Auf diese Weise degradierte er die Programmatik seiner Partei zu einem eher nachrangigen Element künftiger Regierungspolitik.

Schröder schaffte den Einbruch in die bürgerliche Mitte. Er machte die SPD wieder für die Leistungsträger der Gesellschaft attraktiv. Seinen Wahlsieg verdankte er vor allem den zwanzig Prozent seiner Wähler, die von der Union zur SPD wechselten. Diese Gruppe bildete zugleich die größte Hypothek des rot- grünen Regierungsbündnisses. Denn sie stellt den Kern jenes Drittels der sozialdemokratischen Anhängerschaft, das eine Große Koalition präferiert. Dieses Drittel stellt in den Fragen der ideologischen Selbstpositionierung, der gesellschaftspolitischen Werthaltung einen manifesten Block dar, der grünen und linken Orientierungen kritisch bis ablehnend gegenübersteht. Wie schwankend diese Klientel ist, das machte die Union mit ihrer Kampagne zur doppelten Staatsbürgerschaft deutlich. Mit einer ideologischen Fragestellung gelang es ihr unversehens, die rot-grüne Hegemonie zu erschüttern.

Das Bröckeln dieser Hegemonie wird Schröder veranlaßt haben, in der Auseinandersetzung mit Lafontaine die Entscheidung zu suchen und die Politik der Doppelspitze zu beenden. Für Lafontaine wäre die Alternative zu seinem Abgang nur die Unterordnung unter eine von ihm letztlich kritisierte Politik gewesen – ohne Aussicht, das Ruder noch mal zu seinen Gunsten wenden zu können. Er ist jedoch weniger an Schröders Richtlinienkompetenz gescheitert als vielmehr am mangelnden gesellschaftlichen Rückhalt für seine Positionen.

Schröder bewirbt sich nun konsequenterweise selbst um den Parteivorsitz. Er kann dabei auf die Erfahrung früherer sozialdemokratischer Kanzler verweisen, daß beide Ämter in eine Hand gehören. Die Partei, vor allem die Linke, wird murren, aber sie wird keine Alternative haben. Schröder hat die SPD immer polarisiert, nun wird er stärker in ihre Mitte rücken müssen, soll sie ihm auf den dritten Weg folgen.

Mehr noch als konkrete Inhalte ist die Politik des dritten Weges bestimmt durch eine Verfahrensweise, die auf den Konsens mit den beteiligten Gruppen ausgerichtet ist. Sie läßt sich kaum ablesen an einer bestimmenden Programmatik, die von einer Regierung umgesetzt wird, die sich dazu durch einen Wahlsieg hinreichend legitimiert sieht. Der Staat formuliert vielmehr Zielvorgaben und ist in der Umsetzung orientiert am Modell des Runden Tisches, des Entwerfens und Verwerfens, der Tarierung und Neutarierung der Kräfte, der permanenten Rückversicherung der gesellschaftlichen Akzeptanz. Der Regierung fällt dabei eine moderierende und zielführende und weniger eine administrierende Rolle zu. Das gilt für den Energiekonsens wie für das Bündnis für Arbeit oder die Gesundheitsreform.

Die Politik der rot-grünen Regierung, die Politik von Schröder und Lafontaine, war geprägt von dem Widerstreit des moderierenden und des administrierenden Ansatzes. Daraus resultierte das uneinheitliche Erscheinungsbild der Regierung. Handwerkliche Fehler komplettierten zeitweise das Chaos.

Der Versuch, durch Regierungshandeln der Wirtschaft nicht nur national, sondern auch international einen klaren Ordnungsrahmen, nach dem Vorbild der nationalstaatlichen Wirtschaftspolitik der 70er vorzugeben, ist mit Lafontaines Abgang gescheitert. International provozierte sein Vorgehen Widerspruch, die Wirtschaft erwies sich letztendlich als zu mächtig. Sein Rücktritt wird von daher nicht nur künftige Konsensgepräche leichter machen – er ist zugleich auch ein Indiz, welche Spielräume für Lösungen bleiben.

Der Blick nach Großbritannien verdeutlicht, welcher Preis dort für eine Beschäftigungspolitik bezahlt wird, die die Arbeitslosenrate immerhin auf unter fünf Prozent drückte. Derzeit gibt es dort drei Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, deren Einkommen unter der Sozialversicherungsgrenze von ca. 680 Mark liegen. Es empfiehlt sich keineswegs als ein Modell, das in Deutschland blind zu kopieren wäre. Der Einschluß aller in den gesellschaftlichen Fortschritt ließe sich auch auf sozialere Weise realisieren, als Blair dies vormacht. Die Ausgestaltung eines spezifisch deutschen Weges ist noch offen. Darüber wird innerhalb der Regierungskoalition nun die Auseinandersetzung geführt werden.

Jenseits von Rot-Grün bietet sich derzeit keine Konstellation an, mit der Schröder sein Projekt realisieren könnte. Die FDP hat sich noch immer nicht von ihrer monothematischen Fixierung auf den Wirtschaftsliberalismus gelöst, und die derzeitigen Erfolge der CDU kaschieren nur notdürftig, daß diese Partei sich erst noch personell und programmatisch erneuern muß. Sie verfügt derzeit über kein Konzept, um die gesellschaftliche Mitte zurückzuerobern.

Viele in der SPD, die Lafontaines Position teilten, werden nun in den Grünen das erforderliche Gegengewicht zu Schröder erkennen. Das birgt für die Grünen eine Chance und eine Gefahr zugleich. Sie können eine spezifische Variante des dritten Weges formulieren. Diese würde sich orientieren an einer nicht nur ökologisch zu fassenden Nachhaltigkeit, an einem Generationenbündnis, das den Belangen der Nachwachsenden stärker Rechnung trägt, und an einer gesellschaftlichen Teilhabe, deren Mindeststandards politisch abgesichert werden. Diese Variante wäre ein Alternativentwurf zu der Vollerwerbsgesellschaft, die nach wie vor das Leitbild vieler sozialdemokratischer Politikansätze ist. Eine solches Ringen um Reformkonzepte wäre ungleich produktiver als das Festhalten an einer Position, die Lafontaine gerade räumen mußte. Dieter Rulff

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