PARIStaz | Die Polizei hat am Mittwoch früh am Pariser Stadtrand ein illegales Flüchtlingscamp geräumt. Ähnlich wie zuvor schon an anderen Orten in der Hauptstadt hatten sich fast tausend vorwiegend aus Sudan, Eritrea und Afghanistan eingereiste Flüchtlinge seit etwa drei Wochen unter einer Metrobrücke beim Platz Stalingrad eingerichtet.
Ihre Lebensbedingungen waren prekär. Zur Übernachtung mussten sich die meisten mit Kartons und Decken auf dem Boden begnügen. Unter ihnen hatte es auch Familien mit Kindern gegeben.
Die meisten wollen laut eigenen Angaben nach Großbritannien weiterreisen. Einige sagten, sie seien bereits am Ärmelkanal in Calais gewesen und dort aus dem kürzlich geräumten Lager „Dschungel“ vertrieben worden.
Ein massives Polizeiaufgebot erschien um 6.20 Uhr vor Ort. Die Räumung verlief aber ruhig und ohne Zwischenfälle. Die Metrostation Stalingrad mit ihren drei Linien wurde während dieser zweistündigen Operation vorübergehend geschlossen.
„Dschungel“ von Calais geräumt
Ein verbranntes Fahrrad zwischen den Resten des geräumten „Dschungels“ in Calais.
Foto:
ap
Die Räumung des Flüchtlingslagers „Dschungel“ im französischen Calais fand mit einem Großaufgebot der Polizei statt.
Foto:
reuters
Viele beugen sich den Autoritäten ...
Foto:
ap
... und lassen sich freiwillig für weiterführende Aufnahmezentren in ganz Frankreich registrieren, ...
Foto:
ap
... andere protestieren gegen die Zwangsmaßnahme und werden mit Tränengas zurückgedrängt.
Foto:
dpa
Einige schauen auf ihr Zuhause zurück und hoffen auf eine bessere Zukunft.
Foto:
reuters
Der „Dschungel“ galt manchen als größter Slum Westeuropas, anderen als selbstverwaltetes Camp voller Solidarität. Er war wohl beides. Das Lager war eine Ansammlung von Zelten, Hütten und Containern, in denen Flüchtlinge lebten, die vom europäischen Festland nach Großbritannien wollten.
Foto:
reuters
Zwischen 4.000 und 6.000 Menschen lebten im „Dschungel“ am Rand der französischen Hafenstadt Calais. Genaue Zahlen gibt es nicht, die Fluktuation war hoch. Vor allem Sudanesen, Eritreer, Afghanen, Iraner, Iraker und Pakistaner drängt es nach Großbritannien – meist weil dort bereits Angehörige und Freunde leben.
Foto:
ap
Das Camp in dieser Form gab es seit dem Jahr 2012. Männer, Frauen und Kinder hatten dort eine eigene Stadt aufgebaut – mit einer Kirche, einer Moschee, einem Supermarkt, sanitären Anlagen und einem Fußballplatz. Auch in den Jahren zuvor gab es dort ähnliche Camps, die aber immer wieder auf Anweisung der Behörden zerstört wurden.
Foto:
ap
Täglich entstanden neue Unterkünfte. Doch jeder wusste: Niemand kommt nach Calais, um zu bleiben. Wer weiter will, will ...
Foto:
dpa
... hierhin: zum Eurotunnel und von da nach Großbritannien. Allerdings sind alle Zugänge zum Eurotunnel ...
Foto:
reuters
... wie auch die Zufahrt zum Fährhafen Hochsicherheitsbereiche. Zäune, manche auch elektrisch geladen, und Natodraht sollen Flüchtlinge fernhalten.
Foto:
reuters
Hinzu kamen Hundertschaften der Polizei, die immer wieder rigide gegen Flüchtlinge vorgingen.
Foto:
reuters
Auch Tränengas wurde eingesetzt, um Flüchtlinge von den Zäunen fernzuhalten.
Foto:
ap
Das gelang nicht immer und überall. Wer sich einen Platz in einem LKW sicherte oder auf einen fahrenden Güterzug aufsprang, hatte weitere Gefahren vor sich. Viele Flüchtlinge kamen im Tunnel zu Tode, sie wurden überfahren, zerquetscht, fielen vom Zug, wurden Opfer eines Stromschlags oder erstickten.
Foto:
dpa
Im Jahr 2000 wurden Fahrzeuge, die von Calais aus nach Großbritannien übersetzten, noch geröntgt. Mittlerweile kommen Bewegungssensoren, Wärmetechnologie und Gasmessgeräte zum Einsatz, die den Ausstoß von Kohlendioxid erfassen. Flüchtlinge ziehen sich deswegen Plastiktüten über den Kopf; manche ersticken dabei.
Foto:
ap
Längst haben sich Flüchtlinge, die nach Großbritannien wollen, auch andere Wege gesucht, um zum Ziel zu gelangen. Etwa das französische Dunkerque.
Foto:
dpa
Ein Soli-Graffito des britischen Künstlers Banksy gegenüber der französischen Botschaft in London, das den Tränengaseinsatz gegen Flüchtlinge in Calais kritisiert, wird abgedeckt, ...
Foto:
ap
... dabei ist doch klar: Bretter, Zäune, Polizisten, Behördenschikanen, Abrissbagger, Tränengas und Neonazis werden den Traum von einem besseren Leben nicht verhindern.
Foto:
reuters
Für die Polizei sind solche Räumungen bereits Routine: Die Anwesenden wurden aufgefordert, ihre Habseligkeiten zusammenzupacken und in Busse zu steigen. Diese sollten sie in Aufnahmezentren außerhalb von Paris bringen. Ein genauer Zielort wurde ihnen jedoch nicht genannt. Ein von der Presseagentur AFP zitierter Afghane meinte dazu: „Ich weiß nicht, wohin sie uns bringen. Aber es kann dort nur besser sein als hier.“
Kein zweites Calais
Die Behörden wollen mit dieser Räumung der Öffentlichkeit klarmachen, dass sie in der Hauptstadt keinen „Dschungel“ wie in Calais entstehen lassen wollen. Doch die polizeiliche Intervention gleicht einer Sisyphusarbeit, die den absurden Charakter des Vorgehens verdeutlicht. Am 7. März war exakt am selben Ort im Norden von Paris ein Camp mit zirka 400 Flüchtlingen geräumt worden.
Die meisten Flüchtlinge wollen laut eigenen Angaben nach Großbritannien
Seit dem 2. Juni 2015 war es bereits das 18. Mal, dass die Polizei auf Anordnung des Innenministers solch eine Räumung vornimmt. Jedes Mal erklären die Behörden, es gehe darum, angesichts der hygienisch unhaltbaren Bedingungen diese Menschen in Sicherheit zu bringen und ihnen ein Obdach zu geben. Schon bei der Räumung in Calais hatte die Regierung versichert, alle dazu berechtigten Flüchtlinge könnten ein Asylgesuch in Frankreich stellen.
Während der ersten Phase der Bearbeitung durch die zuständige Agentur (Office pour les réfugiés et les apatrides – OFPRA) dürfen die Asylbewerber in Frankreich nicht arbeiten. Zudem fehlt es an Plätzen in Unterkünften. Das ist auch den Flüchtlingen bekannt, die daher meistens andere Länder für ihr Exil vorziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei!
Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis