Geplante Rückführung in den Kosovo: Angehörige verhindern Abschiebung
Die Göttinger Polizei bricht verbarrikadierte Wohnungstüren mit einer Ramme auf, stoppt den Einsatz dann wegen Unverhältnismäßigkeit.
Gegen halb fünf am Montagmorgen tauchte die Polizei vor einer Wohnung in der Göttinger Weststadt auf, in der sich der Mann aufhalten sollte. Dort lebt seit etwa 20 Jahren auch seine Familie. Nach Angaben des „Bündnisses gegen Abschiebungen“ waren die etwa 20 Beamten „schwer bewaffnet“ und vermummt. Statt zu klingeln, hätten sich die Polizisten „direkt mit Gewalt durch einen Rammbock“ Zugang zur Wohnung verschafft. Im Internet kursierende Fotos zeigen zertrümmerte Türen.
Nach Angaben einer Polizeisprecherin waren die Eingangstür und eine weitere Tür von innen mit Gegenständen verbarrikadiert, als die Beamten die Wohnung betreten wollten. Auf mehrmalige lautstarke Aufforderung zum Öffnen und die anschließende Androhung einer zwangsweisen Türöffnung sei keine Reaktion erfolgt, erst dann hätten die Einsatzkräfte eine Ramme eingesetzt. Dabei seien beide Türen beschädigt worden.
„Durch die entstandenen Öffnungen sowie auch aus einem geöffneten Fenster heraus kam es im Anschluss zu körperlichen Angriffen auf die davorstehenden Beamten“, erklärte die Polizeisprecherin weiter. Der Einsatzleiter habe das Vorhaben schließlich aus „Gründen der Verhältnismäßigkeit“ abgebrochen, „weil eine finale Durchsetzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Vielzahl von Verletzten geführt hätte“.
Zwei Personen sollen verletzt worden sein
Dagegen berichtet ein Angehöriger, dass die Familie durch Geräusche am Türschloss aufgewacht sei. Weil man zunächst an einen Einbruch geglaubt habe, hätten Familienmitglieder die Türen verbarrikadiert und gerufen, jemand solle die Polizei holen. Die vermeintlichen Einbrecher hätten sich erst dann als Beamte zu erkennen gegeben. Ein anderes Familienmitglied erzählte dem Göttinger Tageblatt: „Wir sind alle psychisch am Ende, das war ein Überfall, wir haben alle ein Trauma. Das war Aggressivität vom Feinsten.“
Beim Auframmen der Tür seien zwei Personen verletzt worden: Die Familienmutter habe blaue Flecke, ein Sohn Prellungen erlitten. Die Beamten hätten zwar gefragt, ob sie einen Krankenwagen benötigten, was die Familie bejaht habe. Eine Ambulanz sei aber nicht gekommen. Auch das stellt die Polizei anders dar: Demnach sei angebotene medizinische Hilfe abgelehnt worden.
Während die Polizei die Rechtmäßigkeit des Einsatzes betont – Grundlage seien eine rechtskräftige Abschiebeverfügung der Stadt Göttingen und ein Durchsuchungsbeschluss des örtlichen Amtsgerichts gewesen –, setzt es vom Bündnis gegen Abschiebungen heftige Kritik: „Wir sind wütend und fassungslos über die Unverhältnismäßigkeit der Gewaltanwendung der Polizei“, so ein Sprecher bei einer kurzfristig angesetzten Kundgebung von Abschiebungsgegnern vor dem Göttinger Rathaus: „Und über die systematische Entrechtung geflüchteter Menschen.“ Gleichzeitig verbucht das Bündnis als Erfolg, „dass die Familie es geschafft hat, sich gegen die Abschiebung zu verteidigen“.
In den vergangenen Jahren haben Unterstützer von Flüchtlingen in Göttingen immer wieder Abschiebungen durch Blockaden ver- oder behindert, teilweise kam es dabei zu massiven Polizeieinsätzen mit Schlagstöcken, Hunden und Pfefferspray. Immer wieder werden Aktivisten auch im Nachhinein angeklagt. Am heutigen Mittwoch beginnt vor dem Göttinger Amtsgericht der Prozess gegen einen Mann, der sich im Mai 2018 an Protesten gegen die Abschiebung eines ehemaligen Fußballprofis aus Simbabwe beteiligt haben soll.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Der Jahrestag der Ukraine-Invasion
Warum Russland verlieren wird
Nach der Bundestagswahl
Jetzt kommt es auf den Kanzler an
Sieger des rassistischen Wahlkampfes
Rechte Parolen wirken – für die AfD
Alles zur Bundestagswahl
Oma gegen rechts hat Opa gegen links noch nicht gratuliert
Wahlsieg der Union
Kann Merz auch Antifa?
Wahlniederlage von Olaf Scholz
Kein sozialdemokratisches Wunder