Geplante Justizreform in Polen: Ein Präsident verteidigt seinen Posten
Polens Staatsoberhaupt will die umstrittene Justizreform nicht absegnen. Er legt einen eigenen Gesetzentwurf vor. Auch dieser ist verfassungswidrig.
Am Tag darauf gehen wieder Zehntausende auf die Straße – in Warschau vor dem Präsidentenpalast, in Krakau, Danzig, Stettin, Lublin, Lodz, Posen und anderen Städten vor den Gerichten. Flackernde weiße Kerzen überall und die weißen Rosen des Widerstands.
Im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, liefern sich zur selben Zeit die Abgeordneten der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der Oppositionsparteien Bürgerplattform (PO) und Nowoczesna (Die Moderne) tumultartige Szenen. Der Streit ist existenziell: Es geht um Sein oder Nichtsein der polnischen Demokratie.
Seit ihrem Regierungsantritt Ende 2015 baut die PiS in atemberaubenden Tempo den Rechtsstaat in einen zentralistischen Einparteienstaat um. Zwar hatte Parteichef Jarosław Kaczyński die Abschaffung der von ihm verhassten III. Republik schon lange angekündigt – doch ernst genommen hatte ihn nur eine kleiner Schar Getreuer.
Von 2006 bis 2007 führte Kaczyński selbst als Premier eine Koalitionsregierung. Doch nach nur einem Jahr stand er vor den Trümmern seiner intrigenreichen Politik, musste Neuwahlen ausrufen und verlor sie katastrophal. Alle, die glaubten, dass ihm diese ein Lehre war und er wie auch die PiS sich geändert hätten, wachen nun in einer bösen Realität auf.
Ziel der Gesetzesattacken ist das Oberste Gericht
Nach der Gleichschaltung der öffentlich-rechtlichen Medien, der Geheimdienste, der Polizei, der Armee und des bislang hoch angesehenen Verfassungsgerichts soll nun mit drei Gesetzen der bisherige Rechtsstaat aus den Angeln gehoben werden. Ziel der Gesetzesattacken sind das Oberste Gericht, das Urteile in letzter Instanz fällt, aber auch darüber entscheidet, ob Wahlen und Referenden gültig oder ungültig sind.
Zudem führt es die Aufsicht über alle ordentlichen und Militärgerichte. Mit zwei neuen PiS-Gesetzen soll das heutige Oberste Gericht liquidiert und dann mit Richtern, die Justizminister Zbigniew Ziobro ernennen würde, neu gegründet werden. Zunächst sollen alle Richter in den Ruhestand versetzt werden.
Da bislang der Landesjustizrat über die Unabhängigkeit der Justiz wacht und die Richter im ganzen Land ernennt, soll nun auch dieses Verfassungsorgan mit einem PiS-Gesetz gleichgeschaltet werden. Minister Ziobro, der nach einem Jurastudium die Prüfung als Staatsanwalt bestand, dann aber nie bei Gericht arbeitete, bezeichnete die 15 Richter im Landesjustizrat als „Augiasstall“, den er und die PiS nun „ausmisten“ würden.
Sein Vorwurf: Der Rat entscheide allein über die Richterbesetzungen im Land, angeblich – so der 46-Jährige – „wie eine Korporation“ oder „wie eine Kaste mit eigenen Privilegien“. Die PiS hingegen werde „dem Volk“ die Gerichte zurückgeben. Da die PiS mit „Volk“ sich selbst meint, ist dies nur als Verballhornung für „Wir schaffen eine politische Justiz“ zu verstehen.
Schlechter Ruf des Präsidenten
Präsident Andrzej Duda, der bislang die Richter auf Vorschlag des Landesjustizrats vereidigt, sieht sich durch das neue Gesetz marginalisiert. Schon jetzt leidet er unter dem Ruf, eine Marionette des PiS-Vorsitzenden Kaczyński zu sein, schlimmer noch: dessen „Kugelschreiber“, der skrupellos auch verfassungswidrige Gesetze unterschreibt. Durch das neue Gesetz sieht Duda nun plötzlich seine letzten Felle davonschwimmen.
Würde demnächst der Justizminister die Richter ernennen, was wäre dann seine Aufgabe? Wo wäre sein politischer Einfluss? Dem Justizminister bei Hunderten von Richterneu-Besetzungen auch nur ein paar Dutzend abzuschlagen wäre unmöglich. Das Gleiche gilt für einen von der PiS dominierten Landesjustizrat, wie ihn das zweite Gesetze vorsieht.
Also drohte Duda am Dienstag damit, das PiS-Gesetz über das Oberste Gericht nicht zu unterschreiben, sollte nicht sein eigener Gesetzesvorschlag über den Landesjustizrat angenommen werden. Anders als im PiS-Entwurf sollen die Abgeordneten die neuen Richter nicht mit einfacher Mehrheit wählen können, sondern nur mit einer 3/5-Mehrheit. Dies soll angeblich garantieren, dass die neuen Richter nicht alle PiS-Gefolgsleute wären, sondern überparteilich gewählt würden.
Das Problem: Auch dieses Gesetz wäre verfassungswidrig. Laut Polens Verfassung sollen Politiker keine Richter wählen, weder mit einfacher noch mit 3/5-Mehrheit. Die Präsidentenvorlage, die von der PiS intern schon akzeptiert wurde, sorgt nur dafür, dass der Präsident demnächst bei der Richterbestellung ein Wörtchen mitzureden hat und das Ganze nach außen hin ein bisschen demokratischer aussieht.
Ziobro wiederum machte von sich aus einen Rückzieher. Er will nun nicht mehr – wie in einem dritten, ebenfalls verfassungswidrigen Gesetz vorgesehen – die Richter des Obersten Gerichts ernennen, sondern dies dem Landesjustizrat und dem Präsidenten überlassen.
Während die Oppositionellen im Parlament und auf der Straße noch darüber rätselten, ob die Massenproteste vielleicht doch Erfolg hatten und den Präsidenten auf Gegenkurs zur PiS brachten, stürmte im Sejm gegen zwei Uhr nachts Jarosław Kaczyński die Rednerbühne und ließ seinen Gefühlen freien Lauf.
Es war ein Hassausbruch, der den gesamten Staatsumbau als riesigen Rachefeldzug eines einzigen Mannes dastehen lässt. Knallrot im Gesicht, brüllte der PIS-Chef: „Ich weiß, ihr wollt die Wahrheit nicht wissen. Aber wischt euch nicht eure Verrätermäuler am Namen meines Bruders ab – Gott hab ihn selig. Ihr habt ihn zerstört! Ihr habt ihn ermordet! Ihr seid Kanaillen!“ Die Oppositionelle, die gegen den Vorwurf protestieren wollte, blaffte Kaczyński an: „Hau ab! Hau bloß ab!“
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