piwik no script img

Geplante Ampel-KoalitionKeine identitätsfixierte Politik!

Die Koalitions-Anbahnungen von Grünen, SPD und FDP sind „Pflegestationen für jeweils identitäre Politik“. Wo ist das Gemeinsame?

Wer sein Zeug nicht durchbringt, verliert an Identität. Tempo 130 ist dafür das beste Beispiel Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

D ie irrigste Annahme unserer Zeit ist, dass der Glückwunsch „Du bist ganz der Alte geblieben“ ein Ausweis von Tugend sei. Das Gegenteil ist richtig. Es bedeutet, dass jemand im Gestern vor sich hin muffelt. Ich, for example, bin selbstredend nicht der Alte geblieben, sonst würde ich ja heute noch „Seinfeld“ gucken und BAP hören. Wobei… das ist jetzt ein schlechtes Beispiel.

Jedenfalls sind auch die Verhandlungen von Grünen, SPD und FDP über die Politik der nächsten Bundesregierung geprägt davon, dass jeder so bleiben kann und soll, wie er anders als die anderen ist. Das betrifft nicht nur das Innen, sondern noch stärker das Außen, also die urteilende Mediengesellschaft. Wer sein Zeug durchbringt, gilt hier als Gewinner. Wer sein Zeug nicht durchbringt, gilt als Verlierer, und zwar verliert er an Identität, was als superschlimm gilt. Tempo 130 ist dafür das beste Beispiel. Diese Verhandlungen, sagte mir ein Insider, erschienen ihm wie „drei Pflegestationen für eine jeweils identitäre Politik“.

Die FDP soll FDP-Identität durchsetzen und die Grünen grüne Identität – und die mittelfristig ums Überleben kämpfende SPD steht ja längst auch nicht mehr für das Ganze oder wenigstens das Halbe, sondern auch nur für ein Pi mal Daumen gleichkleines „Wir“ wie die beiden anderen, zu dem sich bei der Wahl pragmatische Merkelianer gesellt haben. Wenn der mutmaßliche nächste Kanzler Olaf Scholz in der eigenen Partei weiter Ruhe haben will, kann er zwar von dem Großprojekt eines Industrieumbaus reden, der das Soziale und das Ökologische vereint, aber faktisch muss er identitätsstiftende SPD-Politik liefern. Und die ist meist gegenwartsfixiert und strukturkonservativ.

Abgrenzung vom Gemeinsamen

Das Gesellschaftsspiel, das wir nun seit Jahrzehnten spielen, heißt Abgrenzung. Von den anderen, vom Gemeinsamen. There is no such thing as society, das war nicht nur die böse Thatcher, das sind wir. Das ist Teil der Moderne oder Spätmoderne, es ist Folge der Pluralisierung von Gesellschaft und Individuum, es hat dem Einzelnen viel Freiheit und Lebenslust gebracht. Aber als politische Kultur kommen wir nicht mehr weiter, den Fokus auf das Anderssein zu richten, das „Eigene“ anzubeten und das Gemeinsame strukturell zu verachten.

In Ansätzen wird bei den Koalitionsanbahnungen versucht, die drei kleinen Wir zu einem politikfähigen Gemeinsamen zusammenzubinden. Dieser Versuch geht offenbar vor allem von Robert Habeck aus. Die Grünen hatten ihren Marsch zur Partei für die Gesamtgesellschaft ja im Wahlkampf abgebrochen, was in eine krachende Niederlage mündete und Scholz Richtung Kanzleramt beförderte. Nun rücken sie zurück ins Zentrum, und es ist fast rührend zu sehen, wie sie sich als ehrlicher Makler der Gesellschaft positionieren. Das Problem ist: Wenn die einen einfach nur ihr identitäres Ding durchziehen wollen oder müssen, haben immer die schlechte Karten, die auf das Gemeinsame zielen.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Nun ist die Welt, in der man es miteinander aushält, ob nun Geopolitik oder Ehe, immer ein komplizierter Mix von sich durchsetzen und Kompromisse machen. Und ohne sozial­ökologische Transformation sind wir echt im Arsch. Aber wenn es – horribile dictu für identitäre Grünenfunktionäre – ausgerechnet die Grünen sein sollten, die für eine gemeinsame Zukunft eigene Identität abgeben, dann würde ich sie ausnahmsweise nicht dafür verhöhnen, sondern würde sagen: Respekt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die derzeitige Ampelkoalition ist eben das Ergebnis, wenn ein CDU-Präsidium einen unpopulären Kandidaten ins Rennen schickt, wenn eine schwache SPD still hält und für Grüne das Geschlecht der Spitzenkandidatin das wichtigste Kriterium zur Nominierung ist. Die Wahl hätte in jede Richtung anders ausfallen können, aber nun ist es vorbei. Also, rauft euch zusammen, in anderen Ländern sind manchmal sogar mehr als drei Partner an Koalitionen beteiligt.



    Nur, bei den Klimazielen sollten die Grünen nicht nachgeben.

  • Wir werden das bundesdeutsche Klimaziel nicht erreichen.

    Respekt ! :-)

  • Spannender Artikel.

  • Ich glaube, der dem Autor zugesteckte Satz muß nicht Identitär heißen, sondern identifikatorische Politik.

    • @Takker:

      anschließe mich - Begriffsverwirrung beie Peterchens 🌑fahrt - vom Feinsten •

      Aber - “Ich helfe gern!“ selbst PU =>



      “ Der Begriff identitär kommt in folgenden Zusammenhängen vor:

      Identitäre Bewegung, Gruppe politischer Gruppierungen des rechten Spektrums



      Identitäre Demokratietheorie, eine politische Staatstheorie



      Identitätspolitik, Gruppen des linksliberalen Spektrums mit kulturellen, ethnischen, sozialen oder sexuellen Zuschreibungen



      Les Identitaires, auch "Bloc identitaire", BI, politische Bewegung der „Neuen Rechten“ in Frankreich“



      de.wikipedia.org/wiki/Identit%C3%A4r



      Na Mahlzeit



      &



      “ Identifikation bedeutet wörtlich übersetzt „gleichsetzen“. Der Begriff bezeichnet in der Psychologie einen Vorgang, bei dem man sich in die Rolle oder Situation einer anderen Person versetzt, oder einen innerseelischen Vorgang, der sogar identitätsstiftend ist, indem er ein Gefühl der Zugehörigkeit erzeugt.…“



      & Däh



      “…Identifikation mit einer Gruppe von Menschen ist ein in der Politik bedeutsames Phänomen, wenn es sich um „Eigengruppen“ handelt, d. h. um Gruppen, denen der betreffende Einzelne angehört. Diese Eigengruppe wird in der Regel positiv bewertet. Übersteigerte Formen dieser Identifikation sind der Lokalpatriotismus, der Regionalismus und der Nationalismus. Menschen, die einer anderen Ethnie oder Religion als die Mitglieder der Eigengruppe angehören, werden dabei oft zu Objekten von Fremdenfeindlichkeit.



      de.wikipedia.org/w...tion_(Psychologie)

      kurz - Get it? Fein.



      (Wie im richtigen Leben stell ich auch im adornoesken falschen - immer dann die eine eine Frage:“Es gibt doch sicher auch Sachen - die Sie können¿! Newahr.



      Na! Normal schonn! - wa! … 🧹



      Nur Mut & Ran an die Bulletten. Gellewelle! Das wird •

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @Takker:

      zugesteckt ... als Chefreporter ...



      Aber sie haben recht:



      "identifikatorische Politik" so sollt es wohl heißen. Aber was sollen die Parteien anderes machen? Söder-Schleim absondern? Bei uns am Stammtisch "Zur Eisenbahn" schmeißen wir das ab und zu auch miteinandermang..

  • Ach, ich bin doch schon sehr froh, dass Christian Ströbele ganz der Alte geblieben ist im Vergleich zu Otto Schily oder Horst Mahler...

  • B. B. - kurz&knapp -

    “Sie haben sich gar nicht verändert!“



    Herr Peter Unfried van Keuner erbleichte!“

    kurz - Mehr - braucht es nicht!



    Danke - 🤩 - Peterles 🌑fahrt 🧹 - 🥳 -



    Liggers. Wat höbt wi lacht - 😂 -

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Jetzt verlangt der Herr Unfried ausgerechnet von denen, die keinen Lot von ihrem Programm abgeben dürften, mit Respekt verziert, die Unterwerfung unter einen FiMi Lindner.



      Oi joi joi

      • @82286 (Profil gelöscht):

        So von Superhyperpiper zugunsten vom



        Superperformer aka “alter 🤬“,sei Perle¡

  • Ich verstehe nicht, was der Autor uns Lesern sagen möchte.

    • @Magenta:

      Liggers. Großes Vorbild - Woody Allen!



      “Was ich hier mache? Das ist so geheim!



      Ich weiß selber nicht - was ich hier mache!“