Georgien und der Ukrainekrieg: Auf einem Tiefpunkt
Moskaus Krieg entzweit Kiew und Tiflis. Jetzt stehen Vorwürfe im Raum, über Georgien würden Waffen nach Russland geschmuggelt.
„Um die Sanktionen zu umgehen, haben russische Agenten Schmuggelkanäle aufgebaut, die vor allem durch Georgien führen. Gleichzeitig wurden Vertreter der georgischen Geheimdienste von der politischen Führung angewiesen, sich nicht in die Aktivitäten von Schmugglern einzumischen“, heißt in einer Erklärung.
Die georgische Regierung weist den Vorwurf zurück und hat wiederum die Ukraine aufgefordert, Beweise vorzulegen. „Das ist eine Lüge! Diese Art der Desinformation seitens eines Partnerlandes, insbesondere unter diesen Bedingungen, ist völlig inakzeptabel“, sagte der Vorsitzende des georgischen Parlaments, Schalva Papuaschwili.
Doch die Ukraine sieht Georgien in der Beweispflicht. „Wir warten auf offizielle Beweise und überzeugende Argumente aus Georgien, dass sie dies nicht tun. Dann werden wir entscheiden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, wenn diese Beweise und Argumente nicht überzeugend genug sind“, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba.
Heftige Kritik
Doch nicht nur in Kiew, sondern auch in Georgien selbst stößt das Verhalten der georgischen Regierung auf heftige Kritik. Nach Ausbruch des Krieges weigerte sich Georgien, Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verhängen und konnte sich auch nicht zu Waffenlieferungen an die Ukraine durchringen.
Zur Begründung hieß es, dass die Sanktionen Russland nicht schadeten, die Folgen für die georgische Wirtschaft hingegen katastrophal sein würden. Die Forderungen der ukrainischen Regierung und ihrer politischen Gegner nach einem härteren Vorgehen sieht die Regierung „Georgischer Traum“ als einen „Versuch, Georgien in die Feindseligkeiten hinein zu ziehen“.
Dem widersprechen jedoch sowohl weite Teile der Zivilgesellschaft und die Opposition als auch die Präsidentin Salomé Zurabischwili. Mehrmals hatte Zurabischwili die Regierung zu „härten Maßnahmen aufgefordert. „Die Interessen Moskaus zu berücksichtigen, sind bereits seit Jahren das außenpolitische Credo des Georgischen Traums“, sagt Bidzina Lebanidze, Politikwissenschaftler und Doktorand an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Doch da bewege sich die Regierung auf dünnem Eis. Denn der pro-europäische Kurs des Landes stehe nicht zur Disposition, da er von der großen Mehrheit der Bevölkerung getragen werde. Daher könne es gefährlich sein, radikale Änderungen vorzunehmen.
Aggressive Rhetorik
Bidzina Lebanidze ist nicht über die zurückhaltende Haltung der georgischen Machthaber empört, sondern auch über die Worte, mit denen sie diese zum Ausdruck bringe. Das trage erheblich dazu bei, die Beziehungen zur Ukraine zu verschlechtern. „Sie können ja eine zurückhaltende Politik machen, müssten sie dann aber besser verkaufen. Eine derart aggressive Rhetorik ist kontraproduktiv und schadet dem Image unseres Landes“, sagt er.
In den vergangenen acht Jahren haben sich die Ukraine und Georgien gemeinsam in Richtung Europa bewegt. Auf die Rosenrevolution 2003 in Georgien folgte die Orangene Revolution 2004 in der Ukraine. Der damalige georgische Präsident Micheil Saakaschwili reiste nach Kiew, um die Proteste zu unterstützen. Während des georgisch-russischen Krieges um die Region Südossetien 2008 kam der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko nach Tiflis.
Doch mit der Machtübernahme des „Georgischen Traums“ in Georgien 2012 und der Wahl Petro Poroschenkos zum Präsidenten der Ukraine 2014 begannen sich die Beziehungen abzukühlen. Viele Mitglieder des Saakaschwili-Teams übernahmen Posten in ukrainischen Regierungsinstitutionen. Im Mai 2015 wurde Michail Saakaschwili Gouverneur der Region Odessa und bekam die ukrainische Staatsbürgerschaft. Zu diesem Zeitpunkt liefen gegen ihn in Georgien bereits mehrere Strafverfahren, Kiew verweigerte jedoch seine Auslieferung.
In Oktober 2021 reiste Saakschwili heimlich nach Georgien ein und wurde sofort festgenommen. Ein Treffen mit dem ukrainischem Ombudsmann für Menschenrechte wurde verweigert. Am 31. März berief der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski den ukrainischen Botschafter aus Georgien ab. Als Grund nannte er „eine unmoralische Haltung gegenüber Sanktionen“ sowie „Hindernisse für Freiwillige“, die an der Seite der ukrainischen Armee kämpfen wollten.
Auf einem Tiefpunkt
Mittlerweile seien die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auf einem Tiefpunkt angekommen, meint der Politiologe Lebanidze. Dennoch müssten sie früher oder später einen Kompromiss finden. Denn der politische Schlingerkurs habe sich für Georgien nicht ausgezahlt. 20 Prozent des Territoriums Georgiens seien immer noch besetzt, Tiflis habe keine Sicherheitsgarantien erhalten. Innenpolitische Reformen, wie die Entpolitisierung der Justiz, die eine notwendige Voraussetzung für die Annäherung Georgiens an den Westen seien, stünden noch aus.
„Doch unabhängig davon haben beiden Länder gemeinsame Ziele und Interessen. Georgien und die Ukraine sitzen im selben Boot, daher müssten sich die Beziehungen nach dem Krieg verbessern“, sagt Lebanidze.
Erste Anzeichen dafür gibt es bereits. Vor wenigen Tagen sagte der der Geschäftsträger der Ukraine in Georgien, Andri Kasjanow, dass der Vorsitzende des ukrainischen Parlaments seinen georgischen Amtskollegen in die Stadt Butscha eingeladen habe, wo Dutzende von Zivilisten gefoltert und getötet worden seien. Vier Tage später erklärte der Chef des „Georgischen Traums“ Irakli Kobachidse, dass die georgische Delegation bereit sei, nach Butscha zu reisen. Der Besuch soll in den kommenden Tagen stattfinden.
„Ich bin sehr froh, dass ein kleines Missverständnis zwischen Georgien und der Ukraine ausgeräumt wurde … Ich bin aufrichtig davon überzeugt, dass wir unsere gemeinsame Zukunft weiter aufbauen werden. Wir haben viel mehr gemeinsam als das, was uns trennt“, schrieb der Vorsitzende des ukrainischen Parlaments, Ruslan Stefanschuk, auf seiner Facebook-Seite.
Lebanidze zweifelt nicht daran, dass von einer Annäherung zwischen Tiflis und Kiew auch die Entscheidung für einen pro-westlichen Kurs beider Länder abhängt. Die Ukraine hat am 28. Februar den Antrag auf einen Beitritt zur EU gestellt. Georgien und die Republik Moldau folgten drei Tage später.
Aus dem Russischen Barbara Oertel
Der Autor war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter-Stiftung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht