Geopolitik unter Paria-Staaten: Irans neue Achse führt nach Moskau
Lange stützten Iran und Russland Assad in Syrien – und nun sich gegenseitig. Die „strategische Partnerschaft“ tritt an die Stelle der „Achse des Widerstands“.
Jahrelang kooperierten in Syrien auch Iran und Russland mit dem gemeinsamen Ziel, den Assad-Clan an der Macht zu halten – durch Luftangriffe auf Rebellen und die Zivilbevölkerung, militärische Ausbildung und strategische Beratung für Syriens Armee und die Entsendung russischer Truppen und schiitischer Milizen aus dem Irak, Afghanistan und Pakistan.
Nun formalisieren Teheran und Moskau ihre Beziehungen weiter. Am vergangenen Freitag unterzeichneten Russlands Präsident Wladimir Putin und sein iranischer Kollege Masoud Peseschkian in Moskau feierlich ein Abkommen über eine „strategische Partnerschaft“.
Laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass wollen Iran und Russland in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung enger zusammenarbeiten: Im Falle eines Angriffs auf eine Partei dürfe die andere Partei den Aggressor nicht unterstützen. Russland will mehr Gas nach Iran exportieren sowie Irans nukleare Infrastruktur ausbauen. Nach einem Bericht von Nexta TV soll bald der Ausbau eines von Russland gebauten Atomkraftwerks im Südiran begonnen werden.
Sanktionen, Geldprobleme, schlechte Infrastruktur
Das kommt zur rechten Zeit, denn Iran steckt in einer Energiekrise. Im November setzte das Regime erstmals tägliche geplante Stromausfälle durch. Die Ausfälle nehmen weiter zu und halten länger an, auch Industrie, Schulen und Universitäten sind betroffen. Das liegt einerseits daran, dass Israel im Februar 2024 zwei Gaspipelines im Iran zerstörte. Aber auch daran, dass in Irans Infrastruktur zu wenig investiert wurde – auch, weil westliche Sanktionen Importe blockieren.
Geld pumpte Iran in andere Geschäfte: Allein 30 bis 50 Milliarden Dollar soll Iran in den vergangenen Jahren in das syrische Assad-Regime investiert haben. Die offizielle Begründung war eine ideologische: „Iran wird Syrien verteidigen, weil es immer die Achse des Widerstands gegen das zionistische Regime unterstützt hat“, so Irans Oberster Führer Ali Khamenei 2012. Später nannten iranische Politiker den Kampf gegen den „Islamischen Staat“ als Motivation.
Vor allem der entscheidungsscheue Khamenei hatte zunächst Vorbehalte, im syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. Er ahnte, welche Kosten auf sein Land zukommen würden. Überzeugt hatten ihn damals wohl strategische Überlegungen: Sowohl ein westlich orientiertes, demokratisches als auch ein sunnitisch-extremistisches Syrien hätten der Landverbindung Irans zur schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon einen Riegel vorgeschoben. Das wäre für die Hisbollah, den engsten Verbündeten Irans in der Region, katastrophal gewesen – und umgekehrt für den iranischen Einfluss in der Region.
All diese Befürchtungen sind mittlerweile eingetreten: Ohne das zentrale Puzzlestück Assad bleibt von Irans „Achse des Widerstands“ – das Bündnis aus irantreuen Milizen von Libanon bis Jemen, die gegen Israel, die USA und sunnitische Kräfte in der Region kämpften – nur noch ein schockstarrer Stumpf übrig. Es stellt sich unweigerlich die Frage: Hätte Iran mehr tun können, um den Umsturz in Syrien zu verhindern?
Assads Sturz ist eine Tragödie für Teheran
Wahrscheinlich nicht. Als Syriens Rebellen Ende November 2024 zur Offensive schritten, war die iranische Kontrolle auf dem Tiefpunkt, nach einem Jahr wiederholter israelischer Angriffe auf ranghohe Revolutionsgardisten und die iranische Botschaft in Damaskus und mehreren Monaten Krieg im Libanon. Die Hisbollah ist nach dem Tod ihres Führers Hassan Nasrallah und den verheerenden israelischen Luftangriffen auf ihre Infrastruktur im Libanon ein Schatten ihrer früheren Größe. Und schließlich hatte Assad selbst gar keine Bodentruppen aus Iran angefragt. Ausgerechnet in den Wochen vor der Offensive der HTS-Rebellen deutete alles darauf hin, dass sich der syrische Diktator von Iran unabhängiger machen wollte.
Auch für Russland war der Sturz Assads eine Niederlage und eine Blamage noch dazu, aber keine Tragödie wie für Teheran. Russland geht es in Syrien aktuell vor allem darum, seinen Zugang zum Mittelmeer zu erhalten. Das dürfte auch mit den neuen Machthabern in Syrien möglich sein. Moskau bleibt jedenfalls mit ihnen im Gespräch.
Für Iran sind die Aussichten weniger gut. Zwar habe man die Absicht, bilaterale Beziehungen zu pflegen, sagte die iranische Regierungssprecherin Fatemeh Mohajerani kurz nach Assads Sturz, doch das hänge davon ab, wie sich die neue syrische Regierung zu Israel verhalte. Vor allem die HTS-Milizionäre selbst stehen einer Zusammenarbeit mit Iran skeptisch gegenüber. So warnte der neue syrische Außenminister Asaad Hassan al-Shibani, Iran solle „den Willen des syrischen Volkes respektieren“ und aufhören, „Chaos zu verbreiten“.
Iran wird in der Region als destabilisierende Kraft wahrgenommen. Nicht ohne Grund. Die Strategie der iranischen Revolutionsgarden, um ihren Einfluss in der Region zu zementieren, ist eine der Destabilisierung. Neben Syrien identifizieren sie auch im Irak, im Jemen, im Libanon und in Palästina Konflikte, nähren und nutzen sie, um ein Machtvakuum mit ihren Stellvertretern zu füllen. Iran wird diese Strategie wohl auch in Zukunft in Syrien verfolgen wollen, sich mit einzelnen Gruppen verbünden und konfessionelle Konflikte schüren – in der Hoffnung, durch einen neuen Bürgerkrieg eine neue Chance im Land zu bekommen.
Im Iran funktionierte bisher die Angst vor dem Bürgerkrieg
Mit diesem Kalkül könnte ausgerechnet Iran, das die Kurden im eigenen Land gnadenlos unterdrückt, ein Bündnis mit den kurdischen Separatisten im Nordosten Syriens eingehen, die bisher vom US-Militär unterstützt werden. Die von der Türkei unterstützte SNA-Miliz (Syrische Nationale Armee) kämpft im Norden Syriens gegen die kurdischen Kräfte und konnte sie bereits aus mehreren Städten vertreiben. Sollte sich der neue US-Präsident Donald Trump weigern, den kurdischen Verbündeten beizustehen, könnten die Kurden stattdessen den Teufelspakt mit Teheran eingehen.
Ein stabiles, blühendes neues Syrien ist schon deswegen nicht in Irans Interesse, weil es ein verheerendes Signal an die eigene Bevölkerung wäre. Wann immer in den letzten Jahren in Iran Proteste aufflammten, bemühte das iranische Regime das Narrativ eines möglichen Bürgerkrieges, nach dem Motto: Wir unterdrücken euch, aber wenigstens seid ihr unter uns sicher.
Die Strategie funktionierte bislang, vor allem in der iranischen Mittelschicht. Wenn aber beim nächsten iranischen Aufstand die Menschen im Iran mit Hoffnung nach Syrien als Vorbild blicken können und wenn andererseits in der Region die proiranische „Achse des Widerstands“ fehlt, um den Mullahs zu Hilfe zu eilen – dann könnte tatsächlich auch Teheran fallen. Und davon, sich gegenseitig im Falle eines Angriffs militärischen Beistand zu leisten, steht nach bisherigem Kenntnisstand nichts in Irans Abkommen mit Russland.
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