Gentrifizierung in Berlin: Potse bald in sauber
Sexstore und Woolworth an der Potdamer Straße sollen Neubauten weichen. Investor will Dax-Konzerne und Teile des queeren Kulturhauses E2H ansiedeln.
Keine Dildos, keine Toys, kein Leder- und Latexzeug. Die Schaufenster des Sexkaufhauses „LSD“ sind leer geräumt. Nur ein paar Rosen aus Kunststoff gibt es noch und ein Schild, das Erotik-DVDs zum halben Preis ankündigt. Ist das schon der Ausverkauf? Ein Angestellter verneint. „Wir dekorieren für das Weihnachtsgeschäft um.“ Und dennoch: Die Tage des Kaufhauses, das an der Potsdamer Ecke Kurfürstenstraße in pinkfarbener Leuchtschrift „Love Sex and Dreams“ verheißt, sind gezählt.
Eine Investmentgesellschaft hat das Eckgrundstück gekauft, ebenso die Fläche auf der anderen Seite der Kurfürstenstraße, wo sich Woolworth befindet. Till Kalähne, Geschäftsführer der SPG & Co. Berlin Projektentwicklungs GmbH, hat hochfliegende Pläne. Kommt er damit durch, wird die Kreuzung bald nicht mehr wiederzuerkennen sein.
Die SPG ist eine Tochter der Sedlmayr Grund und Immobilien AG München. Das börsennotierte Unternehmen, dem auch der Spaten-Brauerei-Konzern gehört, zählt zu den Großen unter Deutschlands Immobiliengesellschaften. Kalähne ist mit dem Sedlmayr-Clan familiär verbandelt. Seit die Markenrechte an Spaten 2006 verkauft worden sind, konzentriert man sich laut eigener Website voll aufs Immobiliengeschäft: Man sei bemüht, den vorhandenen Immobilienbesitz durch weitere Zukäufe aussichtsreicher Objekte in Berlin und Leipzig zu mehren – „mit der Möglichkeit, diese nach entsprechender Entwicklung wieder im Markt zu platzieren“.
Die SPG ist nicht der erste Investor, der die Potsdamer Straße als Geschäftsfeld entdeckt hat. An der Ecke Bülowstraße baut die Pecan Development GmbH die ehemalige Zentrale der Commerzbank zum Hauptsitz für Sony Music und andere Konzerne aus. Man habe es gern „ein bisschen rougher, kreativer“, hat ein Sony-Manager gegenüber der taz die Standortwahl begründet.
Viele Menschen im südlichen Teil der Potsdamer Straße leben in eher prekären Verhältnissen, jahrelang sind soziale Fördergelder in die Gegend geflossen. Benötigt würden ganz andere Impulse, als Stück für Stück gentrifiziert zu werden, kritisiert Christine Scherzinger, baupolitische Sprecherin der Linkspartei in der BVV Tempelhof-Schöneberg, die Entwicklung. Günstige Läden für das Kleingewerbe fehlten, bezahlbare Wohnungen und auch ein Stundenhotel. „Die Dynamik geht auf Kosten von Gruppen, die keine Lobby haben“, sagt Scherzinger – und meint damit auch die Prostituierten.
Das klotzförmige LSD, 1964 von Foto Wegert gebaut, befindet sich auf Bezirksgebiet von Tempelhof-Schöneberg. Der gegenüberliegende Woolworth-Flachbau gehört zu Mitte. Die Kurfürstenstraße, seit Jahrzehnten Zentrum der Berliner Straßenprostitution, bildet die Bezirksgrenze. Eine Mischung aus Armutsprostitution, gepaart mit Zuhälterei und Drogenabhängigkeit, findet sich hier. Viele Frauen kommen aus Osteuropa. Nicht jede, die hier anschaffen geht, wird dazu gezwungen. Aufgrund des Baubooms, der eine wohlsituierte Mittelschicht in die Gegend geführt hat, gibt es kaum noch Brachen für die Prostitutionsausübung.
Im Schatten des Kirchengebäudes, in Hausgängen, manchmal auch auf offener Straße wird das Gewerbe vollzogen. Die Gegend ist verdreckt, die Beschwerden häufen sich. Biotoiletten, die in Doppelfunktion auch zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs genutzt werden können, sollen nun für Abhilfe sorgen. Zwei Toiletten stehen schon, drei weitere würden folgen. Das teilten die politisch Verantwortlichen von Senat und Bezirken unlängst bei einer Bürgerversammlung mit. Entwürdigend findet die Linkenpolitikerin Scherzinger diese Lösung.
Noch können die Frauen mit ihrer Kundschaft ins LDS ausweichen. Zehn Videokabinen befinden sich im Erdgeschoss des Sexkaufhauses. 5 Euro kostet die Nutzung der mit einem Sessel und Kleenextüchern ausgestatteten Boxen, die vergleichsweise sauber sind. Rund um die Uhr werden sie angesteuert.
Die SPG & Co. Berlin residiert in einer Büroetage am Kurfürstendamm. Till Kalähne, Jahrgang 1967, fülliges Gesicht, dunkle Designerbrille serviert Espresso. Das LSD und Woolworth will er abreißen und zwei Neubauten an die Stelle setzen lassen. Es ist ein freundliches Gespräch, bei dem aber vieles im Vagen bleibt. „Nicht ganz günstig“ seien die Grundstücke gewesen. Was für eine Gebäudehöhe ihm vorschwebt? Das wolle er erst mit den Baustadträten besprechen, „was ich mir wünsche“. Die Traufhöhe in Berliner Altbauquartieren liegt bei 22 Metern. Klar wird immerhin: Kalähne will höher hinaus.
Das sitzt einer, der überzeugt ist von sich selbst und der sich auch ein bisschen für einen Heilsbringer hält. Mal ehrlich, sagt Kalähne, diese ganzen Diskussionen über Verrichtungsboxen für Prostituierte seien doch daneben. Dass beide Grundstücke nun in einer – seiner – Hand seien, sei eine einmalige Chance. Das Gesicht der Potsdamer Straße könne an dieser Ecke ganz neu definiert werden. Wer eine gewisse Ethik und Moral habe, könne das aktuelle Klima vor Ort doch kaum gutheißen. Für einen seines Alters möge sich das vielleicht altbacken anhören, aber „man klaut nicht, man bedroht keine Leute in seinem Lebensumfeld“.
In vier Jahren, so der Plan des Investors, sollen die Neubauten stehen. Wenn beide gleichzeitig gebaut werden, müsse der Abschnitt der Kurfürstenstraße vermutlich während der Bauzeit geschlossen werden. „Wo kein Verkehr, da kein Verkehr“, sagt Kalähne. Der Satz bringe die Sache doch voll auf den Punkt, freut er sich. Ihm persönlich, sagt Kahläne, sei der Straßenstrich egal, „aber ich schätze, das Milieu wird sich nicht mehr wohlfühlen in dieser veränderten Situtation“.
„Paternalistisch, ja fast schon kolonialistisch“ nennt Scherzinger diese Haltung: „Ich komme in ein Gebiet und weiß, was das Richtige ist.“
Keine Wohnungen, reine Bürohäuser will Kahläne bauen. Finanziert werde das Ganze aus eigener Kasse, dank der Familie in München. Als künftige Mieter in den Neubauten schweben ihm DAX-Konzerne vor, vielleicht auch eine Stiftung. Ein Appartement Hotel mit rund 90 Einheiten, das der eigenen Firmengruppe gehört, sei schon mal gesetzt. Auch Rossmann, Woolworth, ein Backshop und ein Dönerladen, alle schon jetzt Mieter, sollen wieder einziehen.
Und was hat es mit der von Medien wiedergegebenen Äußerung auf sich, auch ein Museum werde in den Neubau einziehen, wo jetzt noch Woolworth steht? taz-Redakteur Jan Feddersen habe er zwei Etagen für dessen queeren Verein zugesagt, präzisiert Kalähne. Mit dem Verein ist der Freund*innenkreis des queeren Kulturhauses Elberskirchen-Hirschfeld (E2H) gemeint, Feddersen ist Vorstandsmitglied.
Die Nachricht kommt überraschend. Gibt es nicht den Plan, dass das frühere taz-Gebäude in der Rudi-Dutschke Straße Standort des queeren Kulturhauses E2H werden soll?
Feddersen bestätigt das. „Wir hoffen, dass wir nach dem bald beginnenden Umbau Anfang 2023 mit dem E2H in die Rudi-Dutschke-Straße einziehen können“. Das taz-Haus solle „das Kernhaus“ des queeren Kulturhauses werden. Für größere Tagungen und Ausstellungen eigne sich das alte taz-Haus aber nicht. Deshalb wäre an einen zweiten Standort zu denken. Bei Events wie dem Teddy Award etwa – die Verleihung des queeren Filmpreises bei der Berlinale – oder einem lesbischen Frühlingsfest erwarte man mehrere Hundert Leute. „Das könnte dann in der Potsdamer Straße stattfinden“, so Feddersen. Außerhalb von Tagungen und Events wolle man die Etagen „als Coworking Space mit queerem Profiling“ und für große Ausstellungen nutzen. Mit Kahläne gebe es Gespräche, aber noch keinen schriftlichen Vertrag.
Der Verein müsse keine Miete zahlen, nur Betriebskosten und Nebenkosten, erläutert Kalähne in seinem Büro am Kurfürstendamm. Warum macht er das? „Das nennt man Mäzenatentum“, sagt der Geschäftsmann. „Ich möchte etwas zurückgeben.“ Er baue schon länger in Berlin und habe von der Stadt wirtschaftlich profitiert.
Wenn sich Investoren gesellschaftlich engagieren, geschieht das aber zumeist nicht ohne Hintergedanken. „Damit erleichtern sie sich die Durchsetzung des Projekts“, weiß der Schöneberger Bürgerdeputierte Matthias Bauer. Als Beispiel verweist Bauer auf die sieben Hochhäuser, die am U-Bahnhof Gleisdreieck geplant sind. Als Kompensation hätten die Investoren angeboten, eine Sporthalle zu bauen und 1.000 Quadratmeter Atelierflächen. Zusammen seien das weniger als ein Prozent der Gesamtfläche.
Wenn ein queeres Kulturprojekt in dem Neubau unterkomme, sei das gut und schön, sagt Regine Wosnitza, Sprecherin der Interessengemeinschaft Potsdamer Straße. „Aber was ist mit den Sozialprojekten aus dem Kiez?“ Die Jugendzentren Drugstore und Potse zum Beispiel, die durch Gentrifizierung in der Potsdamer Straße ihren Treffpunkt verloren haben und die immer noch zusammenhängende Proben- und Konzerträume suchen? Wosnitza will Kahläne und die Baustadträte beider Bezirke alsbald zu einer Bürgerversammlung einladen.
Im Unterschied zum Sony-Bau in der früheren Commerzbank habe die Öffentlichkeit diesmal frühzeitig von den Plänen erfahren, freut sich Scherzinger. Die Linken-Politikerin ist überzeugt, dass Kahläne zum Bau von Wohnungen verpflichtet werden kann. Schließlich sei das Areal an der Kurfürstenstraße Ecke Potsdamer Straße 2012 zum Mischgebiet erklärt worden. Auch bei der Commerzbank hätte das Bezirksamt ihrer Meinung nach auf den Bau von Sozialwohnungen bestehen müssen. Dieser Fehler dürfe sich nicht wiederholen, warnt die Politikerin..
Die Mahnung ist an den grünen Baustadtrat von Tempelhof-Schöneberg, Jörn Oltmann, gerichtet. Der hat sich bislang noch nicht zu den Plänen von Kalähne positioniert. Anders sein Kollege Ephraim Gothe, SPD-Baustadtrat in Mitte. Sieben Stockwerke, nicht höher, „das ist meine Haltung“, so Gothe zur taz: „Im Erdgeschoss Einzelhandel, drei Geschosse Büro, drei Geschosse Wohnungen“.
Der obere Teil des siebenstöckigen Sexkaufhauses steht seit vielen Jahren leer. Die Dixsons, eine Künstlergruppe um Kimo Rekowski, werde die Etagen ab dem kommenden Frühjahr bespielen, kündigt Kalähne an. Der Investor gibt sich auch gern als Kunstförderer. Schon die Zentrale der Volksbank in der Nürnberger Straße hatten die Dixsons 2017 vor dem Abriss in ein Kunstprojekt verwandelt. „The House“ nannte sich das Projekt, das 80.000 Besucher fand. Auch im LSD werde man „was machen, was die Leute von den Socken haut“ kündigte Rekowski auf Nachfrage an.
Der Vertrag für den Sexstore und die Videokabinen im Erdgeschoss läuft Ende 2020 aus. „Das wird ein spannender Moment, wenn die Kunst auf die Rotlichtszene crasht“, freut sich Kalähne schon.
Und später?
Neben dem leeren Schaufenster des LSD wartet eine junge Frau auf Kundschaft. Sie ist sorgfältig geschminkt, die langen blond gesträhnten Haare sind zu Zöpfchen geflochten. Ob sie die Biotoiletten benutzen wird? Angewidert schüttelt die Frau den Kopf. „Eher mache ich es im Freien.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Klimaschützer zu Wahlprogrammen
CDU/CSU und SPD fallen durch, Grüne punkten nur wenig
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge