Gentrifizierung in Berlin: Pop-up-Erotik statt Bioladen
Verdränger werden inzwischen selbst verdrängt. Das ist aktuell in der Nähe des Rosenthaler Platzes in Berlin zu beobachten.
Das mag im Prenzlauer Berg noch gelten, aber in Mitte gibt es schon länger andere Regeln. Da werden Restaurants zu Flagshipstores, und in der Rosenthaler Straße wurde ein Seniorenwohnheim abgerissen, um einem Neubau mit schicken Wohnungen Platz zu machen. Das Allerneueste aber entsteht im Weinbergsweg unweit des Rosenthaler Platzes.
Ein Kussmund klebt an der Scheibe, die vor Kurzem noch Einblick gab ins Innenleben des Bioladens im Weinbergsweg 24. Nun ist der Bioladen weg, an seiner Stelle gibt es den Kussmund. Rot ist er, der Innenraum dahinter kobaltblau. Was gibt es in einem Laden mit Kussmund zu kaufen? Oder gibt es da gar nichts zu kaufen? Warum aber dann ein Laden und keine Facebookseite?
Der Hashtag #heuteliebenwirunsanders klärt dann auf. Ein kleiner Trailer zeigt, dass Sex heute modern sein kann, und weil das eine Botschaft ist, die bestimmt auch zum Geschäftsmodell taugt, gibt es dazu den entsprechenden Kalender. Vertrieben wird er von der Firma Amorelie, einem Berliner Erotik-Shop. Wo einst Beate Uhse das Geschäft mit Sex noch etwas schmuddelig so neunzigermäßig verkörperte, vereint der Kussmund dasselbe Geschäft mit Lifestyle.
Natürlich ist der Kalender nicht das Einzige, das der Erotik-Shop verkauft: „Die kostenlose Amorelie App ist die perfekte Ergänzung zu deinem erotischen Adventskalender“, heißt es auf der Website. „Hinter jedem Türchen findest du liebevoll aufbereitete Anwendungs- und Expertentipps zu deinen Toys.“
Und dann erscheint da eine Nachricht, die sagt, dass der Kussmund nur ein Pop-up-Store ist, geöffnet vom 24. bis 30. Oktober. Was für eine schöne Nachricht. Die neue Phase der Gentrifizierung ist so virtuell wie temporär. Aber davon kommt der Bioladen auch nicht mehr zurück. Die Gentrifizierung frisst ihre Kinder.
Oder ist es doch die Gentrifizierung, die die Kinder betreiben?
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