Gentrifizierung in Berlin: Er kam. Nahm. Und siegte
Der Investor Jørn Tækker ist der Alptraum vieler Berliner MieterInnen. In seiner Heimat baut der Däne dagegen eine ökologische Vorzeigestadt.
Reden will sie – aber nur, wenn ihr Anwalt dabei sein darf. Und erst nachdem sie sich bei der taz vergewissert hat, dass die Autorin auch wirklich dort arbeitet – und nicht wieder eine Detektivin ist, so wie der komische Anrufer, der unbedingt ihre Adresse haben wollte. Angeblich um ihr ein Drehbuch zu schicken. Das kam dann nie. Dafür tauchten Fotos auf. Von ihr, ihren alten Eltern, als sie längst Pflegefälle waren. Ihren Kindern, aufgenommen vor der Kita.
Nach mehreren Telefonaten kommt ein Treffen mit Tanja R. zustande. Reden will sie ja. Damit auch andere von dem Unrecht, was ihr angetan wird, erfahren. Während des Gesprächs setzt sie sich ihre Lesebrille auf, um aus Briefen zu zitieren. Und aus Urteilen. Je mehr sie sich empört, desto lauter wird ihre Stimme, manchmal ist sie schrill. Sie, die mit ihrer Stimme arbeitet, verliert die Kontrolle über sie, wenn es um ihn geht. Den Menschen, der ihr das Leben zur Hölle macht. Ihr Sohn, noch keine sechs, nennt ihn „Gangster“. „Eine reinhauen“ wolle er ihm.
Sie weint. Schüttelt immer wieder den Kopf, als könnte sie das alles nicht glauben. Weint noch immer, als das Gespräch beendet und ihr Anwalt längst weg ist. Sie ist 52, sieht in dem Moment jedoch aus wie ein Kind, mit ihrer mädchenhaften Stimme, den langen blonden Haaren und den großen braunen Kulleraugen, die mal fragend, mal anklagend dreinblicken.
Die Kellnerin bringt ihr noch eine Limonade. Man kennt sie hier, in dem Schöneberger Eckcafe. Auch auf der Straße erkennt man sie – Vorabendserien haben sie bekannt gemacht. Tanja R. heißt in Wirklichkeit anders. Sie will nicht, dass ihr Name in der Zeitung steht. Probleme habe sie schon genug.
Der Lüge bezichtigt
Später reicht sie Fotos nach. Und eine Auflistung von Fakten, bei der einzelne Wörter durchgehend groß geschrieben sind und Sätze mit Ausrufezeichen enden. Ihr ist wichtig, dass man ihr glaubt. Ihr und nicht ihm, der sie der Lüge bezichtige.
Es sieht nicht gut aus für sie. Wenn der BGH ihren Antrag nicht zulässt, muss sie raus aus ihrer Wohnung. Und zwar sofort, sonst kommt der Gerichtsvollzieher. Raus mit all ihren Sachen, mit zwei kleinen Kindern und einem Mann, der nur selten da ist, weil er die meiste Zeit in Asien lebt.
Tanja R. hat das Pech, eine Wohnung zu mieten, deren Wert in den letzten Jahren um ein Zigfaches gestiegen ist. Eine Wohnung in Kreuzberg, da wo sie alle wohnen wollen, die Alteingesessenen wie die Neuzugezogenen, beste Lage, direkt am Kanal. Dass Tanja R. schon fast zwanzig Jahre dort lebt, ist für ihren Vermieter Nebensache. Auch dass sie die Wohnung für damals 120.000 DM renovieren ließ, als sie nur Ofenheizung und „uralte Elektrik“ hatte, aber kein Bad. Tanja R. hat viel Zeit in die Inneneinrichtung gesteckt, Möbel aus Asien kommen lassen. Eine Wohnzeitschrift hat für eine Home Story einen Fotografen vorbeigeschickt, der Titel: „Meine Wohnung ist wie Urlaub“.
Tanja R.s Vermieter hat für Einzelschicksale keine Zeit. Er will seine Mieterin raushaben, um die Wohnung für viel Geld verkaufen zu können. Das Geld braucht er für ein anderes Projekt. Eines, das viel größer ist. Und das viele für die Zukunft halten. In seiner Heimat nennen sie ihn „einen Visionär“ – in Berlin jemanden „ohne Gewissen“.
Ein Traum – aus Pappmaché
Gut 450 Kilometer Luftlinie entfernt im dänischen Aarhus steht ein kleiner drahtiger Mann mit pinkem T-Shirt und Segelohren vor seinem Traum. Liebevoll streicht er mit feingliedrigen, sonnengegerbten Händen, denen man ihre sechzig Jahre nicht ansieht, über die Häuser. Die sind niedriger als sein Daumen und aus Pappmaché. „Ich will die Welt zu einem besseren Ort machen“, sagt Jörn Tækker. Er klingt ein wenig gehetzt. Tækker spricht so schnell, dass man Mühe hat, ihm zu folgen. Fragen übergeht er oft, vielleicht hört er sie nicht.
Einem dänischen Journalisten erzählte der Immobilienhändler, er habe so gut wie jede seiner Wohnungen vor Augen: die Maße, die Farbe der Wände, die Beschaffenheit der Böden, die Stuckornamente an der Decke. 4.500 Wohnungen gehörten Tækker noch vor wenigen Jahren in Berlin. „Ich war damals der größte ausländische Investor“, sagt er. Und dass ihn Profit nicht interessiere. In der Finanzkrise hat Tækker 300 Millionen Euro verloren. Dass sein Unternehmen das überlebte, verdankt er vor allem dem Verkauf eines Großteils seiner Berliner Immobilien.
Jørn Tækker wurde 1957 in Dänemark geboren. Er lernte erst Zimmermann, dann Bauingenieur. Tækker ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter von 10, 18 und 24 Jahren. Ein Sohn lebt in Berlin. Seine Karriere als Immobilieninvestor begann in Kopenhagen. Von seinen einst 4.500 Wohnungen in Berlin hat Tækker mittlerweile über die Hälfte verkauft. (lwag)
In Dänemark entließ er 40 seiner 60 MitarbeiterInnen. Der Kredit, den er erhielt, sei der mit der längsten Laufzeit, die es in Dänemark je gegeben habe. Jemand, der mit ihm zusammengearbeitet hat und anonym bleiben will, sagt: „Er ist selbst ein Getriebener. Man merkte immer sofort, wenn er Druck von den Banken bekam, den gab er dann postwendend an seine Mitarbeiter weiter.“ Viele beschreiben ihn als Kontrollfreak. Jemand sagt: „Seine Berliner Mitarbeiter hatten so gut wie keine Entscheidungsbefugnis. Auch der Kauf eines Kugelschreiber musste von ihm abgesegnet werden.“
Der Mann mit dem pinken T-Shirt, den Segelohren und dem Traum ist der Mensch, der Tanja R. aus ihrer Wohnung kriegen will. Weil Eigentumswohnungen in Kreuzberg mittlerweile ein Vermögen wert sind. Und weil sich Wohnungen ohne Menschen darin besser verkaufen. Menschen machen Ärger, pochen auf ihre Rechte, werden emotional. Klagen.
Eine Art Öko-Utopia in Dänemark
Ärger haben in Berlin viele mit Tækker. Sein Name steht wie kein anderer für Verdrängung, auch wenn der Immobilieninvestor sich aus der deutschen Hauptstadt mittlerweile größtenteils zurückgezogen hat. Von seinen einst 4.500 Wohnungen hat er mehr als die Hälfte verkauft, und seine circa fünfzig Berliner Mitarbeiter wurden von einer anderen Firma übernommen. Wer diese Firma ist, könne er zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Dafür sagt er: „I love Berlin“. Nur werde er jetzt woanders gebraucht: In Aarhus will er seinen Lebenstraum fertigstellen: eine Art Öko-Utopia, das bislang nur in Miniatur in seinem Büro steht – finanziert mit dem Erlös des Verkaufs seiner Immobilien in Berlin.
Seit elf Jahren arbeitet Tækker an seinem grünen Bullerbü in Dänemark: eine Stadt, in der Ärzte im gleichen Haus wohnen wie Tankwarte. In der die Terrassen vor den Häusern Gemeinschaftseigentum sind. In der man sich sein Auto, wenn man denn überhaupt eines hat – Tækker hat noch eines: „Ich bin kein Engel“ – , mit anderen teilt. In der Regenwasser aufgefangen und für Waschmaschinen und Toiletten-Spülungen genutzt wird. In der es keinen Rasen gibt, weil Rasenmäher Strom fressen. In der die Straßen nach Gemüsesorten benannt sind. Und in der man sich seine Post bei einer zentralen Sammelstelle abholt, zu der man ein Stück laufen muss – um mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen. „Wenn Menschen mehr miteinander sprächen, gäbe es viele Kriege nicht“, sagt Tækker. „Nye“ heißt sein Utopia, das ist Dänisch und bedeutet „neu“. Neue Welt, neues Miteinander. Neue Menschen?
Dass er seine Utopie auf Kosten Berlins errichtet, stört ihn nicht. „Was ich mit meinem Geld mache, ist meine Sache.“ Tækker sieht keinen Widerspruch zwischen seinem Handeln in Dänemark und dem in Berlin, doch er sagt: „Bestimmte Dinge würde ich in Dänemark nicht tun.“ Was, lässt er offen.
„Nye ist ein nationalistisches Projekt“, sagt jemand, der lange mit Tækker zusammen gearbeitet hat und anonym bleiben will. Aus mehreren Quellen hört man, dass Tækker in Berlin mit dänischen Mietern anders umgeht – besser. Er hat Stipendien vergeben, um dänische Studenten sowie dänische Künstler nach Berlin zu holen. Beiden Gruppen bot er Wohnungen an, und für die Künstler organisierte er eine Ausstellung in Berlin.
Berlin – der Beginn einer Liebe
2004 kommt er zum ersten Mal für längere Zeit in die Stadt, von der ihm Freunde vorgeschwärmt haben. Ein Jahr vergeht, bevor er seine erste Immobilie kauft. In diesem Jahr lässt er sich treiben, saugt den Geist der Stadt auf. „Vieles erinnerte mich an das Kopenhagen von früher: arm, links und kreativ.“ Mitte der Nullerjahre gibt es noch viele günstige Häuser in Berlin. Dem SPIEGEL sagt er rückblickend: „Ich konnte nicht verstehen, warum die Preise so tief waren. Jemand musste etwas übersehen haben.“
Die Stadt ist chronisch klamm und verkauft Gebäude aus öffentlicher Hand an Privatinvestoren. Die schlagen zu. „Das kam uns vor wie eine Heuschreckenplage“, sagt Martin Breger von der Mieten AG Gräfe-Kiez. „In Kreuzberg kaufte Tækker ganze Straßenzüge auf.“
Tækkers Traumstadt in Dänemark ist bislang nur ein Acker auf einem Hügel, mit Blick aufs Meer. Davor eine Ikea-Filiale. Möwen kreischen, Autos rauschen – die Autobahn ist nicht weit entfernt. Ein Anwohner strahlt, auf Nye angesprochen: „Nyyye?“, fragt er mit lang gezogenem y, das wie ein ü ausgesprochen wird. „Das wird toll!“ Eine Frau, die ebenfalls in der Nähe wohnt, ist skeptischer: „Voll wird es werden.“ Neugierig und zugleich etwas misstrauisch läuft sie mit schnellen Schritten den Acker ab – in der Hoffnung, ein Stück Zukunft zu erspähen. Nur ist da: nichts.
Bald, vielleicht schon nächstes Jahr, sollen auf dem Acker 20.000 Menschen wohnen. Und irgendwann einmal vielleicht der Großteil der Bevölkerung von Aarhus, so wollen es die Politiker. „Im Stadtrat sind alle begeistert von Nye, Gegenstimmen gibt es keine“, sagt Kristian Würtz, der für die Sozialdemokraten im Stadtrat sitzt und für Technik und Umwelt zuständig ist. Knapp vierzig der noch nicht gebauten Häuser wurden schon verkauft. „Die gehen weg wie warme Semmeln“, warnt ein Makler und rät zum schnellen Kauf.
Lange war er Analphabet
Die Kritik, die es doch gibt, wischt Tækker weg: „Es sind immer die gleichen fünf Anwohner, die dagegen sind“, sagt er. „Die haben Angst, dass wir ihnen den Blick aufs Meer versperren.“ Das Problem an der Demokratie sei, dass Gegenstimmen lauter seien als Zuspruch. „Wir verplempern unsere Zeit damit, den ewigen Nörglern zuzuhören.“
Tækker und die Politik, das ist so eine Sache. Er ist in keiner Partei, hat aber mehrfach „Alternativet“, den dänischen Grünen, Geld gespendet. Er ist Investor, bezeichnet sich aber als Linken, der bescheiden lebe: Geld sei für ihn nur Mittel zum Zweck.
Tækker ist einer, der sich hochgearbeitet hat: Bis zur achten Klasse konnte er weder lesen noch schreiben. Sein Vater machte ihm die Hausaufgaben. Die Lehrer gaben ihm schlechte Noten, aber schleppten ihn weiter, von Schuljahr zu Schuljahr. „Damals fiel in Dänemark niemand durch“, sagt er. Während seine Mitschüler paukten, saß er einfach nur da und sah ihnen zu. Er zeichnete viel, wollte Künstler werden, doch die Eltern hatten für die Künste nicht viel übrig. Also wurde er Zimmermann und später dann Bauingenieur – beides wie sein Vater. Noch heute sind seine Emails voller Fehler. Nur dass ihn niemand mehr deswegen demütigt. Noch heute arbeitet er lieber mit den Händen, als dass er am Schreibtisch sitzt: „Wenn ich mit meinen Händen arbeite, verstehe ich, was ich tue.“
In Berlin ist Tækkers Strategie: kaufen und abwarten, dass die Preise steigen, dann verkaufen. Manche Mieter gehen freiwillig, andere gegen Geld. „20.000 Euro waren damals locker drin“, sagt Martin Breger. Einem Mieter soll Tækker gar 50.000 Euro angeboten haben, sagt ein Geschäftspartner.
Besorgte Mieter gründen „Tækker Watch“
Im Gräfekiez hat Tækker laut Berger zehn von elf Häusern komplett in Eigentumswohnungen verwandelt. „Klar, es gibt das Vorkaufsrecht für Mieter, aber die wenigsten können sich die teuren Wohnungen leisten.“
Breger fällt auf, dass viele Mieter ihre Rechte nicht kennen. 2012 gründet er „Tækker Watch“. Die Gruppe informiert und demonstriert, doch sie kann Tækker nicht stoppen. Transparente, die Mieter auf ihren Balkonen aufhängen, lässt der durch seine Anwälte untersagen. Das Vertrauensverhältnis mit dem Vermieter würde nachhaltig geschädigt, lautet die Begründung in mindestens einem Fall.
Für sein Utopia hat Tækker ein eigenes politisches System entwickelt. Wer mitentscheiden will, muss sich wählen lassen, in drei Wahlgängen. „Es soll schwer sein, in Nye an die Macht zu gelangen“, sagt er. Demokratie scheint für ihn zu bedeuten, im Zweifelsfall doch eher alles selbst zu entscheiden. Am liebsten würde er jeden einzelnen der 20.000 Bewohner persönlich auswählen.„Wer in Nye wohnen will, braucht eine Vision darüber, wie gutes Zusammenleben funktioniert.“
Einen Teil der Häuser will er verkaufen, andere vermieten. Bei den Mietwohnungen sind bis zu 25 Prozent für Sozialwohnungen reserviert – so will es das dänische Gesetz. Wer kauft, kauft nur ein Haus, nicht das Grundstück mit den Grünflächen drum herum. Das gehört für die kommenden dreißig Jahre „genau einer Person: mir selbst“. Falls Tækker vorher stirbt, geht der Besitz an eine Stiftung über. Sterben darf er nicht so schnell, deshalb könne er auch nicht mehr alle zwei Wochen von Aarhus nach Berlin hetzen. „Nye braucht mich noch.“ Kurz stockt er, als merke er selbst, dass das komisch klingt, und schiebt schnell hinterher: „Meine Frau und meine drei Kinder natürlich auch“.
Er ersteht eine alte Glasfabrik zu einem Schnäppchen-Preis
Im Frühjahr 2017 geht Tækker weg aus Berlin – eigentlich genau das, was Martin Breger und seine Mitstreiter von Tækker Watch erreichen wollten. Nur dass es die Gruppe zu dem Zeitpunkt schon lange nicht mehr gibt. „Irgendwann erschienen nur noch 20 Leute zu unseren Treffen, da wurde mir klar, das bringt nichts mehr“, sagt Breger am Telefon und klingt etwas niedergeschlagen. Er wohnt noch immer im Gräfe-Kiez. Vielleicht weil seine Wohnung nicht Tækker gehört.
Als es im Gräfe-Kiez immer stiller wird, hat der Protest in der wenige Blöcke entfernt liegenden Lausitzer Straße noch nicht mal begonnen. Dort hat Tækker 2006 eine ehemalige Glasfabrik mit mehreren Innenhöfen erworben. Nach vorne, zur Straße hin, ist noch ein Wohnhaus dabei. Für die komplette Liegenschaft zahlt er 2,3 Millionen Euro an die öffentliche Hand – ein Schnäppchen. Die Stadt Berlin braucht mal wieder Geld. „Rückblickend war das ein Riesenfehler“, sagt Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Seit elf Jahren plant Tækker in einem Vorort von Aarhus das Ökodorf Nye. Es soll Platz für 20.000 Menschen haben, die ersten sollen 2018 einziehen. Es gibt ein eigenes von Tækker entwickeltes politisches System mit drei Wahlgängen. Ein Nye-Kochbuch ist geplant, auch ein Carsharing. Eine Abbildung der geplanten Siedlung stand der taz leider nicht zur Verfügung. (lwag)
Mit der Fabrik übernimmt Tækker Dutzende von GewerbemieterInnen: Fotografen, Filmemacher, Journalisten, linke Polit-Aktivisten. Sie alle kämpfen von ihren Büros in der „Lause“ aus für eine bessere Welt. Eigentlich wie er. Tækker solidarisiert sich mit ihnen, unterstützt ein Kollektiv, indem er ihm mehrere Jahre die Miete erlässt. Einer anderen Gruppe, die gegen Faschismus kämpft, soll er Geld spenden. Alle anderen zahlen vergleichsweise niedrige Mieten. Wenn Mieten erhöht werden, dann nur geringfügig. Tækker sagt: „Was die machen, imponiert mir. Ich bin einer von ihnen.“
Doch er investiert nicht in die Gebäude, lässt sie verrotten. Eineinhalb Jahre ist der Fahrstuhl kaputt, es zieht, weil die Fenster undicht sind, die Heizung fällt aus, auch im Winter, einmal zehn Tage lang. Der schlechte Zustand nervt die MieterInnen, aber die Miete ist günstig, die Lage gut und die Stimmung auch.
Er vertreibt eine Kita und eine Schule für Flüchtlinge
Im Dezember 2016 hört eine Mieterin im Treppenhaus ein Gespräch zwischen Tækker und einem Kaufinteressenten mit. Es geht um die „Sexiness“ des Standorts. Ab da ist klar: Tækker will die „Lause“ verkaufen. Er will die Gewerberäume zu einem Großteil in Lofts umwandeln, das Dach ausbauen – entstehen soll so etwas wie die „Hackeschen Höfe von Kreuzberg“. Die Stadt erteilt Tækker die Genehmigung. Den Mietern ist klar, dass das den Rausschmiss bedeutet. Die wenigen verbleibenden Gewerberäume wird sich keiner mehr leisten können.
Doch die Mieter wollen in der „Lause“ bleiben. Nur eine Schule für minderjährige Flüchtlinge ist bislang ausgezogen. Nachdem ihr Mietvertrag ausgelaufen ist – und Tækker ihnen einen neuen, für sie „nicht akzeptablen“ Vertrag angeboten hat: eine zu kurze Laufzeit für einen zu hohen Preis. Aus der Decke sollen Stücke herunter gefallen sein, heißt es. Tækker sagt: „Es ist unfair, dass Sie Ihre Kritik an solchen Kleinigkeiten festmachen.“ Die Schulleitung will sich nicht äußern. Nur eine Mitarbeiterin würde gern mit der taz reden, doch sie schweigt, aus Angst um ihren Job.
Auch eine Kita hat er vertrieben, 25 Jahren war die im Kiez ansässig. Als der Mietvertrag auslief, bot er der Kita einen neuen an – für das Doppelte. „Der neue Preis liegt immer noch weit unter dem aktuellen Durchschnitt“, sagt Tækker. „Ich bin sicher, dass sie da, wo sie jetzt sind, das Gleiche zahlen, vielleicht sogar mehr.“
Die „Lause“-Mieter wollen sich nicht vertreiben lassen. Protest können sie: Sie gründen AG’s und treffen sich einmal im Monat, um eine Strategie gegen Tækkers Verkaufspläne auszukungeln.
„Negative Propaganda“ gegen ihn lässt er untersagen
An einem Tag im Februar machen sie sich mit Plakaten, Megafon und Tulpen auf den Weg zu Tækkers Berliner Büro. Er ist nicht da, aber seine Mitarbeiter filmen die Gruppe und informieren ihren Chef. Ihn beeindruckt der Protest, auch wenn ein paar Aktivisten zu weit gegangen seien, wie er sagt. Videos von der Aktion müssen danach aus dem Netz genommen werden. Dennoch erklärt er sich wenig später bereit, die Verkaufsverhandlungen erst einmal ruhen zu lassen. Im Gegenzug müssten die Mieter jedoch auf „jegliche Art der negativen Propaganda“ verzichten, auch die Plakate im Hof seien abzuhängen.
Eingeschaltet hat sich nun auch Stadtrat Schmidt. Er will vermitteln. Diskutiert wird, ob die Stadt das Gebäude zurückkaufen kann. Oder eine Stiftung. Tækker verlangt knapp 20 Millionen – fast das Zehnfache dessen, was er einst bezahlt hat. „Die Leute in der Lause wollen nicht akzeptieren, dass wir in einer Marktwirtschaft leben“, ärgert sich Tækker.
Die harte Kritik, die in Berlin Presse und Aktivisten an ihm üben, verletzt ihn: „Ich denke, wir haben uns in Berlin Respekt verdient.“ Käufer behandle er anders als Mieter. „Ein Kauf ist ein Deal auf Augenhöhe. Messen Sie mich lieber daran, wie ich mit meinen Mietern umgehe. Manch einer mag Angst vor mir haben, aber rausgeworfen habe ich noch nie jemanden.“
Wenige Tage später gewinnt er die Räumungsklage gegen Tanja R. Die Begründung: Sie habe illegalerweise ihre Wohnung untervermietet. Tanja R. behauptet das Gegenteil. Dass ihr ihre frühere Eigentümerin die Untervermietung erlaubt hätte. Dass sie oft im Ausland sei, ein Untermieter der beste Schutz gegen Einbrecher sei und sie jeden Untermieter angemeldet habe. Die Richterin habe sich düpieren lassen, schreibt Tanja R. der taz. Und erinnert daran, dass das Amtsgericht ihren Fall ursprünglich positiv beschieden hatte – bevor Tækker in Revision ging.
Eine fast siebzig jährige Mieterin versucht er zu vertreiben
Es hilft alles nichts, Tanja R. muss jetzt Kisten packen. Siebenmal belädt sie ihren Kombi mit persönlichen Sachen. Freunde kommen und helfen. Auch die Caritas kommt und nimmt Sachen mit. Den Rest erledigt ein Umzugsunternehmen. Als alles fertig ist, nimmt sie ihre beiden Kinder an die Hand und geht mit ihnen durch die leere Wohnung. „Damit sie auch dieses Bild im Kopf haben – und unserer Wohnung, als sie noch gemütlich war, nicht für immer nachtrauern“.
Fürs Erste ziehen sie und die Kinder ins Haus ihrer verstorbenen Eltern am Stadtrand von Berlin. „Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht“, sagt sie. „Wir müssen erstmal zur Ruhe kommen und dann neu nachdenken.“
Eine andere Räumungsklage verliert Tækker. Auch in zweiter Instanz. Die Mieterin ist fast siebzig und lebt seit 40 Jahren in ihrer Wohnung. Als klar wird, dass er sie nicht los wird, verkauft er die Wohnung. Ihn wird die alte Mieterin nicht los. Obwohl es Jahre her ist, dass er verkauft hat, redet sie noch über ihn. Viel. Und schlecht: Kein Mensch habe ihr das Leben so schwer gemacht wie er. Beinahe sei sie an dem Stress kaputt gegangen.
Mehrere Monate sind vergangen, seit die „Lause“-Mieter Tækkers Büro gestürmt haben. Passiert ist seitdem nicht viel, noch immer befinden sie sich in einer Art Friedensperiode, doch Tækker hält an seinen Verkaufsplänen fest.
Keine Alternative in Sicht
Die „Lause“-Leute rechnen damit, bald ausziehen zu müssen. Resignation macht sich breit. Eine Alternative ist nicht in Sicht. Auf eine Anfrage der Linken zur Zukunft der MieterInnen antwortet der Bezirk: „Das Bezirksamt sieht keine Möglichkeit, die Gewerbetreibenden und Bildungseinrichtungen im Bezirk zu halten, da erschwinglicher Geweberaum kaum noch verfügbar ist.“
Vom Kaufpreis von knapp zwanzig Millionen will Tækker nach wie vor nicht runtergehen, auch wenn er laut jemandem, der ihn gut kennt, an Karma glaubt. Tækker sagt: „Ich kann nicht für die Versäumnisse der Politik einspringen.“
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