Gentrifizierung in Berlin: In der Lause wollen sie bleiben
Von der Stadt hatte der Besitzer die Immobilie für 3 Millionen gekauft, nun soll sie das Sechsfache bringen. Wären da nicht die Mieter.
„So Leute, wir müssen jetzt mal los“, ruft eine junge Frau mit kurzem Pony. Die Gruppe formiert sich zu einem Zug, einem älteren Mann – Brille, Hut, bunter Schal – geht das zu langsam: „Jetzt macht mal hinne, wir haben doch ’nen Termin“, ruft er, alle lachen.
Denn den haben die Mieterinnen und Mieter der beiden Häuser Lausitzer Straße 10 und 11 – typische Berliner Altbauten, die sich über drei Hinterhöfe erstrecken – eben nicht. Sie wollen ihrem Vermieter, der dänischen Immobilienfirma Taekker, einen unangemeldeten Besuch abstatten, mit Blumen zwar, aber auch einer deutlichen Botschaft: „Lause bleibt“ steht auf den orangenen Schildern, und „Milljöh statt Millionen“.
Denn das Haus, in dem sie wohnen und arbeiten – die Nummer 10 ist unter anderem an Gewerbe vermietet – soll verkauft werden, das haben sie durch Zufall erfahren. Und wenn ein Haus in dieser Gegend verkauft wird, ist in den meisten Fällen klar, was das heißt: Raus mit den alten Mietern, rein mit den Eigentumswohnungen. So weit, so üblich – auch in Berlin.
Doch dieser Konflikt hier ist ein besonderer, und das liegt an den Akteuren, die sich hier gegenüber stehen: Auf der einen Seite der Immobilienkonzern Taekker, der es in den letzten Jahren geschafft hat, in Berlin zu einer Art Codewort für Immobilienspekulation zu werden. Auf der anderen Seite die „Lause10“: Ein Haus, in dem nicht irgendein Gewerbe sitzt, sondern es nur so wimmelt von linken Aktivisten und Kollektiven.
Hervorragendes Geschäft
Das antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum (apabiz) hat hier ebenso seine Räume wie das für seine subversiven Öffentlichkeitskampagnen bekannte Peng-Kollektiv oder die VideomacherInnen von Left Vision. Dazu kommen Bürogemeinschaften voll gut vernetzter linker Medienmacher, Grafiker und Journalisten. Kurz: In diesem Haus ist alles versammelt, was es für einen ordentlichen Protest gegen eine drohende Verdrängung braucht.
Weit hat es der Protestzug nicht: Die Büros von Taekker befinden sich gleich um die Ecke, direkt am Paul-Lincke-Ufer am Landwehrkanal. Dort angekommen, macht sich eine leichte Nervosität breit, doch alles geht glatt: Die Gruppe schiebt sich durchs Treppenhaus, bis alle in dem großen, weiß getünchten Büroloft stehen. „Wer ist denn hier Herr Taekker von Ihnen?“, ruft eine Frau den sichtlich überraschten MitarbeiterInnen hinter ihren Schreibtischen zu, von denen einige sofort ihre Handys zücken, um die Menge zu filmen. Dann eilt eine Frau mit eckiger Brille und Kurzhaarschnitt auf die BesucherInnen zu: Lene Mortensen, Geschäftsleiterin von Taekker. Jorn Taekker, Gründer und Eigentümer der Firma, sei leider nicht in Berlin, sie helfe aber gerne weiter.
Durch einen zufälliges mitgehörtes Gespräch zwischen einem Makler und einem Interessenten hatten die MieterInnen im Dezember von den Verkaufsabsichten Taekkers erfahren, um die „Sexyness“ der Lage hier sei es darin gegangen, erzählt Jan-Ole Arps am Vortag der Aktion in seinem Büro im zweiten Stock der Nummer 10, dass er sich mit zwei anderen teilt. Stehlampen und Topfpflanzen stehen zwischen den Schreibtischen, durch die großen Fenster fällt Licht auf den Holzfußboden.
Arps ist Redakteur der linken Monatszeitschrift Analyse & Kritik, früher hat er von zu Hause gearbeitet, „aber das ist ein ganz anderes, viel tristeres Arbeiten als an einem Ort wie hier“. Bei dem in Hamburg ansässigen Maklerbüro Engel&Völkers, mit dem Taekker zusammenarbeitet, haben die MieterInnen dann das Exposé für ihr Haus entdeckt: 18 Millionen Euro soll die mit Gewerbe gefüllte ehemalige Glasfabrik kosten, dazu fast anderthalb Millionen für das unsanierte Mietshaus nebenan.
Ein hervorragendes Geschäft für Taekker: Vor zehn Jahren erwarb die Firma die einst bezirkseigenen Häuser vom landeseigenen Liegenschaftsfonds für etwa drei Millionen Euro. Auch das eine typische Berliner Geschichte: Um Geld in die chronisch klammen Kassen zu spülen, verkaufte das Land Berlin jahrelang seine Liegenschaften teils zu Schleuderpreisen – eine günstige Gelegenheit für private Investoren, die mit den in den letzten Jahren rasant an Wert gewonnenen Immobilien nun große Gewinne einstreichen können.
Existenzielle Bedrohung
Dass der 1997 gegründete Konzern aus Aarhus in diesem Spiel eine besondere Prominenz erlangt hat, liegt vor allem an seiner Geschäftsstrategie: Mitte der Nullerjahre begannen die Dänen, ihr Berliner Portfolio zusammenzustellen, bevorzugt bestückt mit damals noch recht günstigen Berliner Gründerzeitbauten in Mitte, Prenzlauer Berg und vor allem Friedrichshain-Kreuzberg. Ab 2010 etwa verkaufte die Firma viele ihrer neu erworbenen Häuser weiter – weil Taekker im Zuge der Finanzkrise viel Kapital verloren hatte, brauchte er dringend neues Geld, und das lässt sich auf dem Berliner Immobilienmarkt seit einigen Jahren hervorragend machen.
Schon für MieterInnen von Wohnungen ist es eine schlechte Nachricht, wenn ihr Haus verkauft wird. Für Menschen mit Gewerbemietverträgen aber ist es noch bedrohlicher, weil sich diese viel einfacher kündigen lassen und meist ohnehin befristet sind. „Unsere Verträge hier laufen alle bis Ende des Jahres aus, rechtlich gesehen haben wir da keine Handhabe“, sagt Arps.
Gleichzeitig ist klar: Büroräume in dieser Größe und zu bezahlbaren Preisen gibt es in der Innenstadt nicht mehr. „Wenn wir hier raus müssten, würden wir in alle Winde zerstreut, mit der gewachsenen Gemeinschaft wäre dann Schluss“, sagt Constanze, die ihren Schreibtisch zwei Stockwerke höher in der Bürogemeinschaft Metrogap stehen hat. Für alle hier sei das ein Problem, für einige der zum Teil jahrzehntealten, fest in der Kreuzberger Alternativkultur verwurzelten Projekte aber auch existenziell.
Lene Mortensen versucht es derweil diplomatisch: Man habe ja Verständnis für die Situation der MieterInnen, und noch sei ja auch nichts entschieden. Doch dafür erntet sie Gelächter: „We love this house“, habe Jorn Taekker persönlich versichert und dass es keine Verkaufsabsichten gäbe. „Warum sollen wir Ihnen denn jetzt noch glauben?“, ruft einer.
Die Forderung der BesucherInnen ist einfach: „Wir wollen einen Termin mit Herrn Taekker, um zu besprechen, wie wir eine langfristige Perspektive für uns schaffen können“, sagt Lisa, die junge Frau mit dem Pony. Bis dahin suchen sie nach Lösungen, die sie dem Eigentümer anbieten wollen. Beispielsweise hatten sie vor zwei Jahren schon einmal überlegten, das Haus mit Hilfe einer Stiftung selbst zu kaufen, erzählt einer.
Zurück bleiben Tulpen und ein Konflikt
Nach einigen Telefonaten mit Taekker willigt Mortensen schließlich ein. Dass die Besichtigungen bis zu dem Termin ausgesetzt werden, wie es die Gruppe ebenfalls fordert, will sie aber nicht zusichern: „Herr Taekker hat das Recht, sein Eigentum zu betreten.“ Die Stimmung bleibt angespannt, trotz Blumen und Präsentkorb.
Fürs Erste geben sich die BesucherInnen schließlich doch damit zufrieden und ziehen ab. Dass sich in dem Gespräch mit Taekker eine schnelle Lösung abzeichnen wird, ist angesichts der sich hier diametral gegenüberstehenden Interessen nicht besonders realistisch. Dass die Lause10 zu einem neuen Symbol im Antigentrifizierungskampf in Berlin wird, hingegen umso mehr. Gut möglich, dass Taekker bald noch mit größeren Problemen zu kämpfen hat als den herumliegenden Tulpen, die einer Mitarbeiterin eilig einsammelt, sobald die BesucherInnen im Treppenhaus sind.
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