Gentechnik im Freiland-Versuch: Gen-Mücke gegen Stechmücke
Gewagtes Experiment in Florida: Ein Biotech-Konzern lässt gentechnisch veränderte Mücken frei, um die Mückenplage zu mildern. Nicht alle finden das gut.
W enn Bryon Elliot auf Mücken-Jagd geht, lässt er die Chemikalien erst einmal im Auto. Stattdessen greift der Schädlingsbekämpfer zu einem Kescher und einem Eimer, in dem Silberkärpflinge schwimmen. Behutsam setzt er die Fische in einem Regenüberlaufbecken aus. „Die sind sehr nützlich“, sagt Elliot, „denn sie fressen Mückenlarven für ihr Leben gern.“
Es ist Mittagszeit auf den Florida Keys, einer Inselgruppe am südlichsten Zipfel der Vereinigten Staaten. Selbst im Winter klettern die Temperaturen hier regelmäßig über 25 Grad. Jetzt im Juni sind für die nächsten Tage 30 Grad angekündigt, noch dazu Chancen auf Niederschläge. Die Luft ist warm und feucht – ein Urlaubsparadies, in dem Kokospalmen und Mangroven gedeihen, aber auch Insekten, die Krankheiten übertragen können. Jeden Tag streift sich Bryon Elliot deshalb seinen weißen Pullover mit der Aufschrift „Mosquito Control“ über, um nach Brutstätten der Plagegeister zu fahnden.
Mücken sind in Florida seit jeher ein Problem. Doch je näher die Menschen an die natürlichen Sumpflandschaften heranrücken, desto akuter wird die Gefahr: Die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti), eine invasive Spezies aus den Tropen, breitet sich aus. In den vergangenen Jahren kam es ihretwegen mehrfach zu Denguefieber- und Zika-Virus-Ausbrüchen auf den Keys. Um das Problem zu lösen, haben sich die Behörden vor Ort auf ein gewagtes Experiment eingelassen: gentechnisch veränderte Mücken. Es ist der erste derartige Großversuch in den Vereinigten Staaten.
Andrea Leal, „Mosquito Control District“
„In diesem Kampf brauchen wir jedes Werkzeug, das wir kriegen können“, sagt Andrea Leal, die Direktorin des „Florida Keys Mosquito Control District“ (FKMCD). Die staatliche Behörde ist für die Bekämpfung der Schädlinge zuständig. Allein auf der Inselgruppe arbeiten 70 Angestellte für das FKMCD. Sie gehen von Haus zu Haus, suchen nach Larven oder setzen Fische aus, so wie Bryon Elliot. Zusätzlich versprühen Helikopter und Flugzeuge tagtäglich Chemikalien. Das Ganze hat etwas von einer militärischen Operation, doch die Krieger sind zunehmend in der Defensive: „Viele Mücken werden gegen die Insektizide resistent“, sagt Andrea Leal. „Deshalb sind wir dankbar für jedes neue Mittel in unserem Arsenal.“
Früher als sonst In Deutschland sind derzeit besonders aktive Stechmücken unterwegs. Das gelte etwa für die Mückenarten, die sich nur mit einer Generation pro Jahr entwickeln, etwa den Großteil der Wald- und Wiesenmücken, sagte Doreen Werner vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg. Sie sind im Vergleich zu Hausmücken etwas größer und teilweise aggressiver. Auch die Gemeine Hausmücke baue ihre erste Population auf – und das in diesem Jahr zwei Wochen früher als sonst.
Invasive Arten Eine invasive Art, die Asiatische Buschmücke, ist seit April bereits sehr aktiv. In den vergangenen Jahren wurden fünf neue Stechmückenarten in Deutschland identifiziert. Zudem habe man zahlreiche Einschleppungen und Gründerpopulationen der Asiatischen Tigermücke entdeckt. Die exotischen Arten, die tropische Erreger wie Zika-, Chikungunya- oder Dengue-Viren übertragen können, seien nicht mehr auszurotten, sagte Werner.
Feuchte Wärme hilft Mücken In den vergangenen Wochen war es warm – ein günstiger Umstand für die Entwicklung der Population. Aktuell brauchen die Mücken von der Eiablage der blutsaugenden Weibchen bis zum Schlupf der folgenden Generation nur eine Woche. „Mücken mögen es feucht und warm und wenn eine dieser Komponenten wegbricht, dann ist es für die Mücken schwerer, sich fortzupflanzen“, erklärte die Biologin. Bei Trockenheit fänden die Insekten keine Brutplätze, in denen sie ihre Eier ablegen können. „Dann fliegen sie schwanger für Wochen durch die Gegend.“ Wenn es wiederum regnet und nicht wärmer wird, ziehe sich die Entwicklungszeit für den Aufbau der Population in die Länge. (dpa, taz)
Das neue Mittel ist – eine Mücke. Die Aedes aegypti vom britischen Biotechnologie-Konzern Oxitec tragen zwei veränderte Gene in sich. Das Versprechen: Wenn sich die gentechnisch veränderten Männchen mit freilebenden Weibchen paaren, schlüpfen hinterher nur Männchen, die nicht stechen können. Auch diese geben ihre veränderten Gene weiter. So findet eine Art Geburtenkontrolle statt: Da nur männliche Mücken überleben, soll die Population sinken.
Ed Russo, Umweltverband Florida Keys
Im April letzten Jahres stellte Oxitec auf den Inseln verteilt mehrere Boxen auf, in denen sich die Larven entwickelten. „Insgesamt wurden weniger als fünf Millionen Mücken freigelassen“, erklärt Behördenleiterin Leal. „Wir hätten sogar eine Genehmigung für bis zu 750 Millionen gehabt.“ In einer nächsten Phase soll nun untersucht werden, ob sich die Gen-Mücken tatsächlich paaren. Dafür werden Fallen aufgestellt und die gefangenen Insekten gezählt. Um die Labormücken zu identifizieren, hat Oxitec ein weiteres Gen verändert: Werden sie mit einem bestimmten Licht angestrahlt, leuchten sie im Dunkeln. Nach Angaben von Oxitec geht keinerlei Gefahr von den gentechnisch veränderten Mücken aus.
Doch viele Einheimische sind sich da nicht so sicher. Neben dem Overseas Highway, der Hauptverkehrsstraße der Florida Keys, thront ein Plakat, das lokale Umweltverbände aufgestellt haben. Es zeigt eine riesige Mücke, die einer Frau ins Auge sticht. Bildunterschrift: „Gen-Mücken? Was kann da schon schiefgehen?“ Das Motiv ist reißerisch, fasst aber die Sorgen der Projektgegner zusammen. „Bei solchen Experimenten gibt es keinen Raum für Fehler“, sagt Ed Russo, der Präsident des Umweltverbands „Florida Keys Environmental Coalition“. Wer wisse schon, wie sich die Gen-Mücken in der Nahrungskette auswirken?
Seit Jahren kämpfen Russo und sein Team gegen das Experiment, das sie für intransparent und gefährlich halten. „Ich habe nicht generell etwas gegen Gen-Technik“, sagt Russo. „Am Anfang war ich sogar richtig begeistert. Wir dachten, dass nun keine Chemikalien mehr eingesetzt werden müssen.“ Aber das habe sich als Trugschluss herausgestellt – immerhin machten die Aedes aegypti nur vier Prozent aller Mücken auf den Keys aus. Gegen alle anderen Arten müssten weiterhin Insektizide versprüht werden, was auch das FKMCD bestätigt. Auch sei es noch völlig unklar, ob die Gen-Mücken überhaupt wirken.
Mara Daly, Inhaberin eines Friseursalons in Key Largo, sieht sich als Versuchskaninchen. „Diese Firma hat Millionen investiert, um die Bevölkerung einzulullen“, kritisiert sie. In den vergangenen Jahren gingen Mitarbeitende von Oxitec von Tür zu Tür, um für das Projekt zu werben – oder sachlich darüber zu informieren, wie die Firma beteuert. Die Kampagne hatte jedenfalls Erfolg: Sowohl die US-amerikanische Umweltbehörde EPA als auch das FKMCD von den Florida Keys stimmten am Ende zu.
Gegner des Projekts argumentieren jedoch, dass die vermeintliche Zustimmung nur durch juristische Winkelzüge zustande kam. In der Stadt Key Haven – dem Ort, an dem die Mücken zuerst ausgesetzt werden sollten – stimmten 2016 bei einem Referendum zwei Drittel gegen das Projekt. Gewertet wurde aber am Ende die Abstimmung im gesamten Landkreis. Dort votierten 58 Prozent der Wählerinnen und Wähler für das Aussetzen der Gen-Mücken. Oxitec erklärte hinterher: „Die Wähler (…) haben klar gesprochen.“
Aktivistinnen wie Mara Daly zweifeln an der Bilanz des Konzerns: „Angeblich hat diese Technologie schon in Brasilien brillant funktioniert. Aber wenn man genaue Daten sehen möchte, halten sie sie mit Verweis auf das Geschäftsgeheimnis unter Verschluss.“ Behörden-Chefin Andrea Leal bestätigt, dass sie für die Florida Keys ebenfalls nicht alle Daten kennt. Sie sieht das aber nicht als Problem an – die Biotechnologie-Branche stehe eben im starken Wettbewerb.
Unpassende Vergleiche?
In der Vergangenheit gab es schon mehrfach Heilsversprechen, wenn es um die Bekämpfung von Schädlingen ging. Oft hatten sie unerwartete Nebenwirkungen. Auf Hawaii wurden Ende des 19. Jahrhunderts Mungos ausgesetzt, um Ratten auszurotten. Da die kleinen Raubtiere anders als Ratten aber tagaktiv sind, vermehrten sich beide Arten – und gelten noch heute als Plage. In den 1940er Jahren wurde das Insektizid DDT als Wundermittel gepriesen. Erst deutlich später stellte sich heraus, dass es krebserregend und schwer abbaubar ist. Noch heute kann man es in Bodenproben in den USA nachweisen. Nicht zu vergessen: die aktuelle Debatte um Glyphosat, das im Verdacht steht, Bienen zu töten.
Die Befürworter der Gen-Mücken finden solche Vergleiche unangemessen. „Heute ist die Wissenschaft viel weiter“, sagt Doug Mader, der als Tierarzt auf den Keys arbeitet. Mader wirbt für das Projekt – „ohne einen Cent von Oxitec zu bekommen“, wie er betont. Er sorgt sich vor allem um Hunde: „Die Aedes aegypti übertragen Herzwürmer“, sagt er, „das ist eine sehr grausame Krankhei.“. Außerdem töteten die aktuell eingesetzten Chemikalien viele Schmetterlinge und andere Insekten. Deshalb unterstütze er Alternativen.
Die Aktionen der Gegner findet er unsachlich, allen voran das Horror-Plakat am Overseas Highway. „Mücken stechen nicht in menschliche Augen“, sagt Mader. „Da werden bewusst Ängste geschürt.“ Er selbst habe sich alle Studien zu den Gen-Mücken genau angesehen und keine Probleme entdeckt. Ähnlich argumentiert auch Oxitec. Im Rahmen der Zulassung habe man die Insekten sogar an Fische verfüttert, um ihre Wirkung auf die Nahrungskette zu überprüfen.
Die erste Phase des Projekts ist beendet. Oxitec hat die Brutboxen, aus denen die Gen-Mücken schlüpfen, nach eigenen Angaben wieder eingesammelt. Nun widmet sich das Biotech-Unternehmen dem nächsten Ziel: der Anwendung im großen Stil. Im Mai stimmte das Landwirtschaftsministerium in Florida zu.
Doch das ist erst der Anfang: Wenn das Experiment auf den Keys erfolgreich verläuft, könnten die Gen-Mücken auch in anderen Bundesstaaten zugelassen werden. Auf lange Sicht ist sogar ein Einsatz in Europa denkbar, angepasst etwa auf die Asiatische Tigermücke, die sich hierzulande verbreitet. Dass Oxitec den aktuellen Versuch als Aushängeschild betrachtet, zeigt sein Geschäftsgebaren: Für den Einsatz in Florida stellt das Unternehmen keinen Cent in Rechnung. Das große Geld will man erst später machen – in den USA und auf der ganzen Welt.
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