Genozid an den Armeniern: Ein Mahnmal to go
In Köln gibt es Streit über ein Denkmal für den Genozid an den Armeniern. Woran die Genehmigung scheitert, dazu hat die Initiative dahinter eine Vermutung.
Wer an Völkermorde mit deutscher Beteiligung denkt, der kommt wohl nicht sofort auf den Genozid an den Armeniern 1916 durch das Osmanische Reich. Dabei war das Deutsche Kaiserreich der wichtigste Verbündete der Osmanen und billigte das Vorgehen gegen die armenische Minderheit, an dessen Ende bis zu 1,5 Millionen Tote standen. Ein weiterer dunkler Fleck auf der Weste des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. Und ein guter Grund, ein Mahnmal des Genozids in Sichtweite seines Reiterstandbilds an der Hohenzollernbrücke in Köln aufzustellen.
Das dachte sich auch die Initiative „Völkermord erinnern“ und stellte im Jahr 2018 eine rostbraune Stele auf, die an den Genozid erinnern soll – zunächst ohne Genehmigung. „Das war nach guter alter Kölner Tradition, weil viele wichtige Institutionen in Köln erst einmal ohne die Obrigkeit und nur durch gesellschaftliches Engagement entstanden sind. Die Stolpersteine wurden zum Beispiel auch erst ohne Genehmigung verlegt“, sagt Ilias Uyar. Er ist einer der Initiator*innen des Mahnmals.
Die erhoffte Genehmigung blieb aber aus. Fünf Jahre sind inzwischen vergangen. Das Mahnmal wurde mehrmals auf- und abgebaut. Uyar und seine Mitstreiter*innen versuchten eine dauerhafte Lösung zu erreichen. Mehrfach versicherte ihnen die Stadt, dass ein Ratsbeschluss für Klarheit sorgen werde. Doch die Initiative musste über den Umweg der Bezirksebene gehen, um die Stadt zum Handeln zu drängen. Nach zähen Verhandlungen stand am Ende ein Beschluss: Vom 24. April, dem Gedenktag des Genozids, bis zum 24. Mai 2023 durfte das Mahnmal stehen.
Massive Widerstände
„Das ist äußerst seltsam und fragwürdig. Nirgendwo in Deutschland gibt es ein Mahnmal to go“, ärgert sich Uyar. Eine Verlängerung lehnte die Stadt ab. An der Stelle, wo das Mahnmal steht, solle eine Fahrradbrücke entstehen. Auf der anderen Rheinseite habe die Stadt aber selbst erst Sitzmöbel angebracht, die der Brücke genauso im Weg stehen wie das Mahnmal, sagt Uyar.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Er vermutet einen anderen Grund. Teile der türkischen Community in Köln wehren sich massiv gegen das Mahnmal. Besonders stark engagiert sich die Türk-Initiative. Ihr gehören unter anderem Ditib- und Atib-Verbände an, aber angeblich auch Anhänger der rechtsradikalen Grauen Wölfe.
Auf ihrer Website schreibt sie von einem „Pseudo-Genozid-Mahnmal“. „Wir möchten ein Mahnmal, das dem Frieden dient und nicht eine Seite beschuldigt“, sagt die Sprecherin der Initiative, Nergiz Bölükbaşı.
Der Ausgang ist offen
In einer Pressemitteilung schreibt die Initiative von möglichen Unruhen in der türkischstämmigen Bevölkerung, die es zu vermeiden gelte. Eine versteckte Drohung? Bölükbaşı widerspricht: „Drohungen liegen uns völlig fern. Wir wollen eine friedliche Lösung im Dialog. Aber es gibt auch Gegner des Mahnmals, die nicht in unserer Initiative sind. Und da weiß ich nicht, wie die reagieren werden.“
Ilias Uyar fühlt sich nicht bedroht, er glaubt aber, dass die Stadt dem Druck nachgibt. Die Stadt Köln teilt mit, dass es keine Einschüchterungen gebe. Die Pressemitteilung von der Türk-Initiative habe man gar nicht erst erhalten.
Zurzeit steht das Mahnmal noch. „Völkermord erinnern“ hat einen Eilantrag an das Verwaltungsgericht gestellt, die Stele länger aufstellen zu dürfen. Der Ausgang ist offen. So oder so bleibt ein unwürdiges Hin und Her um eine kleine Gedenkstelle, die der armenischen Community aber viel bedeuten würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?