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Genossenschaftlich organisierte KneipeWo man sich trifft

Dass die Kneipe im Dorf zu schließen drohte, schreckte die Einwohner in Merzbach auf. Jetzt geht es rund um den Zapfhahn gut genossenschaftlich zu.

Genossenschaftliches Treiben in der Dorfschänke Merzbach Foto: Karlotta Ehrenberg

Merzbach taz | Merzbach, ein rheinisches Dorf in der Voreifel an einem Freitagabend im November. Es ist stockdunkel und feuchtkalt. Die Rollläden der Einfamilienhäuser sind längst runtergelassen, nur wenige erleuchtete Fenster erlauben den Blick ins Innere. Auf der Straße ist keine Menschenseele zu sehen.

Umso überraschender ist die Geräuschkulisse, die einem beim Betreten der „Dorfschänke Alt-Merzbach“ entgegenschlägt. Der Gastraum erstreckt sich auf drei Ebenen – trotz der frühen Stunde sind so gut wie alle Tische voll besetzt. Hinter der Theke drängen sich gleich drei Leute um den Zapfhahn, die Küchentür schwingt auf, ein Mann kommt mit dampfenden Tellern heraus. Grünkohlessen ist heute angesagt.

Es braucht nicht lange, um zu begreifen, dass das hier keine normale Kneipe ist. Der Kellner, Gerd Wolters, scheint jeden Gast zu kennen, auch zapft er sich mal selbst ein Bier und gesellt sich dazu. Der Grund: Die Kneipe wird von einer Genossenschaft betrieben. Die Genoss:innen, die hier im Wechsel hinter der Theke und in der Küche stehen, arbeiten ehrenamtlich.

Der ausschlaggebende Grund für unsere Initiative war, dass der vorherige Pächter schließen musste

Gerd Wolters, Genosse

„Der ausschlaggebende Grund für unsere Initiative war, dass der vorherige Pächter schließen musste“, sagt Gerd Wolters. Damit drohte ein wichtiger sozialer Treffpunkt wegzufallen, neben einem Restaurant gab es nur noch eine Bäckerei im Dorf – die ebenfalls kurz vor der Schließung war. „Also dieses typische ‚Ich geh mal rüber und guck, wer da sitzt und unterhalte mich ein bisschen‘ – dafür war das hier der letzte Ort“, erinnert sich Wolters.

Im Sommer 2023 hätten er und seine Freunde sich also gezwungenermaßen im Freien treffen müssen. Bei einem Bier haben sie überlegt, wie sie die Dorfkneipe retten könnten – die Eigentümer der Gasträume dachten schon über die Umwandlung in Wohnraum nach. „Da kam die Idee mit der Genossenschaft auf“, sagt Wolters. Als Vorbild habe eine Genossenschaft aus Herchen gedient, einem Dorf im Rhein-Sieg-Kreis. „Die Stadt hatte das Fachwerkhaus mit der Kneipe gekauft und zur Verfügung gestellt. Auch den Saal, damit der Gesangsverein da weiterhin proben kann“, berichtet Wolters. „Wir waren begeistert von der Atmosphäre dort und wie schön das funktionierte.“ Eine Exkursion zu einem weiteren Genossenschaftsbetrieb im Oberbergischen gab den letzten Impuls zur Entscheidung.

Schänke in Merzbach

Der Ort

Merzbach gehört zur Stadt Rheinbach (Nordrhein-Westfalen) und ist Teil des Dorfverbunds Neukirchen, der 2.187 Einwohner:innen zählt.

Die Kneipe

Was so alles in der Dorfschänke Alt-Merzbach eG passiert, lässt sich online verfolgen: alt-merzbach.de. Gefördert wird die Kneipe durch das Programm „Dritte Orte“ des Landes NRW, das Initiativen unterstützt, die für Menschen in struktur­armen Gebieten neben Haus und Arbeit sogenannte dritte Orte in Form von kulturellen Begegnungsorten schaffen. Das Projekt befindet sich in der zweiten Förderungsrunde. www.dritteorte.nrw.

Bis zur Gründung mussten jedoch erst noch eine Satzung und ein Businessplan her. Auch hier standen die beiden Genossenschaftskneipen mit Rat und Tat zur Seite.

Im Spätsommer 2023 war es dann so weit. Je­de:r der 23 Gründungsmitglieder erwarb mindestens einen Anteil von 100 Euro, knapp 8.000 Euro Startkapital kamen zusammen. Ein Aufsichtsrat wurde gebildet, Gerd Wolters ist nun einer der vier Vorstände.

Das Besondere an der Genossenschaft sei, dass man durch den Kauf eines Anteils Teil einer gemeinsamen Sache werde, meint Wolters. Und beteiligen wollten sich viele: Nach einem Wochenende der offenen Tür trudelten etliche Mitgliedsanträge ein. „Nach drei Wochen waren wir schon über 100,“ berichtet Wolters nicht ohne Stolz. Seit der Eröffnung vor rund einem Jahr macht die Kneipe drei Mal die Woche auf, mitunter gibt es kleine Konzerte, Lesungen oder Singabende. Dazu kommen Mitmachangebote wie etwa eine Schach-, Bingo-, Spiel- und Handarbeitsgruppe. Auch Feste wie Karneval und Silvester werden hier gefeiert. Ein Highlight sei kürzlich das Hubertusfest gewesen, erzählt Wolters. Dazu gab es Wildschwein am Spieß und Jäger, die auf dem Horn spielten. „Das machen wir nächstes Jahr wieder.“

Inzwischen ist die Mitgliederzahl auf rund 200 gewachsen, circa 60 davon arbeiten ehrenamtlich in der Dorfschänke mit. Auch Leute von außerhalb haben sich angeschlossen. So wie Hobbykoch Dieter Bückmann, der heute in der Küche steht. „Wir sind aus der Stadt mit dem Dart-Verein gekommen und haben hier eine neue Heimat und gute Freunde gefunden“, sagt Bückmann.

Ich habe hier in acht Monaten mehr Leute kennen gelernt als in den fast zwanzig Jahren davor

Oliver Schnell, Kneipengänger

Von neuen Bekanntschaften berichten alle Ge­nos­s:in­nen an diesem Abend. „Ich habe hier in acht Monaten mehr Leute kennen gelernt als in den fast zwanzig Jahren davor“, erzählt Oliver Schnell. „Ich war alleinerziehender Vater, voll berufstätig, hab in Köln gearbeitet. Das hieß früh weg und spät wieder zu Hause. Vom Dorf kannte ich nur die beiden Spielplätze.“ Die Frau neben ihm, Uschi Felicetti, hat er hier auch kennengelernt. Sie wohnen nicht mehr als 600 Meter auseinander, begegnet sind sie sich aber nie. „Und jetzt sind wir ein Paar“, sagt Felicetti und strahlt über das ganze Gesicht. „An dem Tag, als du deinen Antrag abgegeben hast, hatte ich Dienst. Wir haben uns angeguckt … das hat dann nicht lange gedauert, ne?“ Verliebt lächeln die beiden sich an. Ohne diesen Ort wäre ihr das nicht passiert, da ist sich Felicetti sicher: „Ich war auch gar nicht auf der Suche. Mein Mann ist vor zwei Jahren gestorben. Mir ging es lange sehr schlecht.“

Über die Erfahrung mit Tod und Trauer konnte Uschi Felicetti am Stammtisch der „Sürsche Frauen“ (Anm. d. Red.: Sürsch nennt sich diese Gegend auf rheinischem Platt) sprechen, der sich hier einmal im Monat trifft. Felicetti ist nicht die einzige Witwe dort. „Wir haben kein Programm“, sagt sie. „Wir reden einfach und haben es zusammen lustig.“ Ähnliches erzählt Ute Bois vom Handarbeitskränzchen, das Nähen und Häkeln sei zweitrangig, ja, es gebe sogar Leute, die kämen nur zum Quatschen dazu. Auch komme mal jemand mit einem kaputten Kleidungsstück zum Flicken vorbei, berichtet Bois, und auch Rat könne man sich hier holen. „Manchmal ist es ganz unerwartet, dass jemand eine passende Erfahrung hat, die man dann mitnehmen kann.“ Auch Henriette Seutter von Loetzen kommt zum Reden her. „Zu Hause den ganzen Tag auf dem Sofa zu sitzen, das ist nichts für mich“, sagt die fast 78-jährige Hauptaktive. Ihr Mann sei sehr krank, erzählt sie, der letzte Sommer sei schwer für sie gewesen. „Ich brauche den Außenkontakt.“

„Miteinander – füreinander“, das ist das Motto der Kneipe. Je­de:r sei willkommen, wird allseits beteuert. Soziale Blasen? Gibt’s hier nicht. Meinungsdifferenzen? Kein Thema, Politik interessiere hier kaum. Die Diversität der Leute bekomme man an den Vinylabenden buchstäblich zu hören, berichtet Lorenz Fischer. An denen dürfe je­de:r seine Musik mitbringen. „Von Roland Kaiser bis Sex Pistols war da alles mit dabei.“ Dass man trotz aller Verschiedenheit sitzen bleibe und sich die Musik der anderen anhöre, habe ihm sehr imponiert, sagt Fischer. Eine Freundin aus der Tischrunde, Judith Kleinschmidt, pflichtet ihm bei: „Es ist anders hier.“ Im Gegensatz zu „normalen“ Kneipen würde sie sich hier als Frau auch allein hintrauen. „Wahrscheinlich, weil hier so viele Frauen arbeiten. Die Kellner sind außerdem alle so offen und verwickeln einen sofort ins Gespräch.“

Manchmal greifen die Kellner auch in das Kneipengeschehen ein. „Kann sie sich zu euch setzen?“, fragt Gerd Wolters das Ehepaar Bois und deutet zu einer Genossin, die einsam vor ihrem Grünkohl sitzt. „Na klar!“, antwortet das Paar sofort – obwohl die beiden eigentlich gerade gehen wollten. Davon ist jetzt keine Rede mehr, ja, am Ende des Abends werden sie hier immer noch zu dritt zusammen sitzen. Dieter Bois: „Wir sind im Ruhestand, wir haben doch Zeit.“

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und die braucht es auch: Eine Genossenschaft bedeute viel Arbeit, sagt Gerd Wolters. Besonders jetzt, wo sie in der heißen Antragsphase seien. Das Kneipenprojekt hat sich um eine Förderung des Landes NRW beworben, „Dritte Orte“ heißt das Programm. Die erste Hürde ist geschafft, mit 50.000 Euro haben die Ge­nos­s:in­nen nun die Möglichkeit, ein Konzept für einen Kulturort zu entwickeln. „Der Plan ist, den Saal auszubauen“, erzählt Wolters. Wie in vielen historischen Gasthäusern gehört zu der Kneipe auch ein Festsaal. „Dort hätten wir nicht nur die Möglichkeit, größere Veranstaltungen zu machen, sondern könnten auch barrierefreie Toiletten einbauen.“ Dank des Preisgelds habe man nun einen Ingenieur mit der Planung beauftragen können, auch gebe es eine Kooperation mit dem Architekturstudiengang der Alanus-Hochschule, um Nutzungsideen zu entwickeln. „Aber auch die Genossen kommen mit Ideen“, sagt Wolters. Hat die Initiative mit ihrem Konzept Erfolg, gibt es 450.000 Euro für die Umsetzung.

Aber egal, ob die Mittel nun kommen oder nicht – auf die Kneipe muss in diesem Dorf kei­ne:r mehr verzichten.

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1 Kommentar

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  • Eine schöne Geschichte und eine gute Lösung. Das gilt übrigens nicht nur für das Dorf. In meinem Stadtteil gibt es seit Jahren ein Kneipensterben, was unter anderem an den Mietpreisen und Nimby-Nachbarn liegt.

    Kneipen, Cafés und kulturelle Treffpunkte werden selten mal in Neubaugebiete eingeplant und dadurch bleiben dieses Neubaugebiete in aller Regel anonyme Wohnblocks und Trabantensiedlungen.

    Die Wichtigkeit für die Zufriedenheit der Anwohner/innen bezüglich des kulturellen Lebens um sie herum, wird oft unterschätzt.