Genossen machen die taz: Warum denken wir, wie wir denken?
Politische Psychologie zwischen Topfpflanzen, Putzmitteln und Alkohol.
Schaun Sie sich bitte um: Was für Pflanzen sehen Sie in Ihrer direkten Umgebung? Davon könnten Ihre politischen Überzeugungen abhängen. Absurd? Menschen glauben viel stärker an die globale Erwärmung, wenn sie in einem Raum befragt werden, in dem eine vertrocknete Topfpflanze steht.
Was bestimmt unsere politischen Ansichten, wie fest oder wie beeinflussbar sind sie? Und wie hängen sie mit unserer Persönlichkeit zusammen? Vor allem in den USA gibt es eine relativ neue Forschungsrichtung, die politische Psychologie. Für diese Sonderausgabe der taz habe ich ein paar meiner Lieblingsstudien zusammengesucht: über Gummibäume und globale Erwärmung, Jutetaschen und gute Taten sowie über Alkohol, der uns konservativer macht.
Zurück zur Forschung: Studierende füllten Fragebogen aus zu ihren Überzeugungen. „Ich habe den Eindruck, dass es heute heißer ist als früher“, oder: „Ich bin sicher, die globale Erwärmung findet bereits statt“. Die Gruppe, in deren Raum eine vertrocknete Pflanze stand, stimmte diesen Aussagen deutlich vehementer zu als die Kontrollgruppe. Wie erklärt sich dieser moderne Voodoozauber? Unsere Gedanken sind nicht so frei, wie wir gerne denken. Unser Gehirn kennt keine Schubladen, aus denen man seine fertigen Konzepte zieht.
Jahrgang 1967, studierte Medizin und Wissenschaftsjournalismus. Seit über 15 Jahren ist er als Komiker, Autor und Moderator unterwegs. Seine Bücher erreichen eine Gesamtauflage von über 4 Millionen. Im NDR führt er durch die Talksendung „Tietjen und Hirschhausen“, in der ARD moderiert er „Frag doch mal die Maus“ und „Das fantastische Quiz des Menschen“. 2008 gründete er seine Stiftung HUMOR HILFT HELFEN für mehr gersundes Lachen im Krankenhaus. Er ist seit 2010 Mitglied der taz-Genossenschaft.
Es ist ein assoziatives Netzwerk, wo der vorherige Gedanke eine Kette von Nervenzellen schon voraktiviert hat und damit den nächsten Gedanken prägt. Ein beliebter Psychospruch der 80er Jahre war ja: „Sei einfach du selbst.“ So einfach ist das ja bekanntlich gar nicht. Was ist denn mein wahres Selbst? Das „Kurz-nach-dem-Aufwachen“-Selbst hat mit dem vom Vorabend doch praktisch keine Ähnlichkeit. Meiner Mutter erzähle ich andere Geschichten als meiner besten Freundin, und auf dem Berg denke ich anders als in der U-Bahn. Wir sind immer vernetzt, unser Hirn ist ein offenes WLAN, nach außen und innen.
Spreading Activation Theory
Dieses „Priming“ laut „Spreading Activation Theory“ passiert oft, ohne dass wir es mitbekommen. Deshalb ist es eben nicht egal, womit wir uns umgeben, was wir lesen. Und wo. Und erst recht nicht, wo Klimakonferenzen stattfinden! Kein Wunder, dass da in Kopenhagen nichts herausgekommen ist. Wer da aus den klimatisierten Räumen abends – diesig, kalt, regnerisch – in sein Hotel lief, musste doch geradezu denken: „Och – zwei Grad wärmer, hätte ich eigentlich nichts dagegen“. Warum findet die nächste Klimakonferenz nicht in der Sahara statt? Zwischen toten Yuccapalmen?
Daniel Gilbert, ein brillanter Emotionspsychologe aus Harvard, meint, wir sind evolutionär darauf getrimmt, auf unmittelbare Gefahren zu reagieren, nicht auf abstrakte. Jeder rennt, wenn das Haus lodert. Auf drohende lokale Erwärmung reagieren wir sehr viel schneller als auf die globale. Dazu ist ja morgen auch noch Zeit.
Was bringt es, sein Konsumverhalten zu ändern? Und wie ändert das Konsumverhalten uns? Werden wir, wenn wir gerade ein „grünes“ Produkt gekauft haben, auch sozial zu besseren Menschen? Das peinliche Fazit: Just wenn man etwas erstanden hat, was einem ein gutes Gewissen macht, verrechnet man das in seiner privaten Umweltbilanz – und verhält sich danach egoistischer!
Auch Fleischesser sind ja nicht per se alle böse Menschen. Klar ist es für die Welt und uns gesünder, weniger Fleisch zu essen. Vorschlag: Nicht moralisch, sondern ganz praktisch die versteckten Kosten unserer Nahrungs-, Kühl- und Supermarktketten vor Augen führen. Ab sofort gibt’s zu jedem Kilo Fleisch automatisch die 10 Kilo Gülle, die bei der Produktion entstanden sind, dazu.
Sich mehr Gedanken zu machen als andere macht nicht unbedingt glücklicher. Damit komme ich zum wunden Punkt der politischen Psychologie. Sie behauptet: Linke sind unzufriedener als Konservative. Mit Recht?
Linke haben mehr Sex
In den USA sind diese Dinge sehr viel besser erforscht, es ist auch einfacher. Man ist entweder Demokrat oder Republikaner, liberal oder konservativ. So etwas Verwirrendes wie die Piraten gibt es da (noch) nicht. Setzt man Persönlichkeitstests mit politischer Orientierung in Beziehung, kommen ulkige Zusammenhänge zutage: Konservative sind eher extrovertiert, gewissenhaft und selbstdiszipliniert. Linke sind eher offen für Erfahrung, kooperativer und verträglicher. Konservative haben aufgeräumtere Schreibtische und verwenden mehr Putzmittel! Dafür haben Linke mehr Sex. Konservative lieben Oper, Linke Jazz. Alles Zufall?
In der „World Value Survey“ mit 90.000 Testpersonen aus über 70 Ländern inklusive Deutschland gab es keine Ausnahme: Je weiter links eine Person politisch steht, desto unglücklicher ist sie. Sind Linke einfach unzufriedener, weil sie weniger verdienen, seltener heiraten und lieber auf die Straße als in die Kirche gehen? All diese Faktoren spielen keine Rolle, sondern es liegt offenbar an einem zentralen Denkmuster: Konservative haben ein höheres Bedürfnis nach klaren, einfachen und sicheren Antworten (cognitive closure). Linke freuen sich an neuen Gedanken (need for cognition), unabhängig von der Intelligenz. Linke sehen Ungerechtigkeit als Handlungsaufforderung, sie auszurotten. Konservative erkennen darin die Bestätigung ihrer Weltsicht, dass Fleiß und Talent belohnt werden.
Die unglücklichsten Staaten sind die Diktaturen, die instabilen und die postsozialistischen. Ungleichheit macht Europäer übrigens unglücklicher als die Menschen in den USA, vermutlich weil Amerikaner aus Tradition mehr daran glauben, dass jeder es zu etwas bringen kann. Man ahnt, warum große Koalitionen sich selten großer Beliebtheit erfreuen – wenn sich der Starrsinn der Konservativen mit dem Missmut der Sozialdemokraten verbindet und sich alle wundern, warum es nicht vorangeht. Noch nicht mal in die falsche Richtung.
Und der letzte Wermutstropfen: Alkohol macht konservativ! Wer nüchtern noch die Welt verändern wollte und linke Positionen befürwortete, wird mit jedem Promille konservativer. Das ist keine Stammtischparole, sondern Wissenschaft. Psychologen der University of Arkansas ließen 70 Kneipengänger ihre politischen Grundeinstellungen bekennen – und anschließend in einen Alkoholtester pusten. Ihr ernüchterndes Ergebnis: Wenn mit steigendem Alkoholgehalt das Denken langsamer und anstrengender wird, findet man die Welt, wie sie ist, immer besser und bejaht Aussagen wie: „Wenn man versucht, Dinge zu ändern, wird es meistens schlimmer als vorher.“
Einen Gegenentwurf zu denken braucht Hirnschmalz, und die Fähigkeit dazu leidet mit jeder Ablenkung und dem Alkoholpegel. Man kann sich nicht nur die Umstehenden in der Kneipe schöntrinken, sondern auch die Umstände in der Gesellschaft. Die Untersuchung wirft ein neues Licht auf Politiker und Promille, auf Wahlen und Prozente. Wer hätte das gedacht: Grüne werden durch Rotwein nicht blau, sondern schwarz!
QUELLEN: N. Guéguen: „Dead indoor plants strengthen belief in global warming“, in: Journal of Environmental Psychology 2012; Nina Mazar, Chen-Bo Zhong: „Do Green Products Make Us Better People?“, in: Psychological Science, August 27, 2009; Barry R. Schlenker: „Conservatives are happier than liberals, but why? Political ideology, personality, and life satisfaction“, in: Journal of Research in Personality, 2011; Scott Eidelman et al.: „Low-Effort Thought Promotes Political Conservatism“, in: Personality and Social Psychology Bulletin 2012.
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