piwik no script img

Genitalverstümmelung in DeutschlandPolitischer Aktionismus ohne Anlass

Die Beschneidung von Mädchen ist in Deutschland als Körperverletzung strafbar. Obwohl bisher kein Fall vor Gericht war, sollen neue Gesetze her.

Vor immer neuen Herausforderungen: Justitia. Bild: dpa

FULDA taz | Grüne, SPD und der Bundesrat wollen die Genitalverstümmelung von Mädchen härter bestrafen als bisher. Die Bundesregierung zögert jedoch. Dass die Beschneidung von Mädchen als Körperverletzung strafbar ist, ist unbestritten. Wenn dabei ein gefährliches Werkzeug, etwa ein Messer, eingesetzt wurde, gilt die Tat sogar als „gefährliche Körperverletzung“. Mindeststrafe: sechs Monate Gefängnis.

Allerdings kann die Mädchenbeschneidung bisher nicht als „schwere Körperverletzung“ (Mindeststrafe ein Jahr) bestraft werden, weil keine äußerlich sichtbare Entstellung vorliegt. Ein Gesetzentwurf der Grünen von 2011 will die Beschneidung von Mädchen daher als Unterfall der „schweren Körperverletzung“ einführen. Der Bundesrat hat ein Jahr zuvor sogar einen eigenen Straftatbestand „Genitalverstümmelung“ (Mindeststrafe 2 Jahre) gefordert. Die SPD hat am Dienstag einen ähnlichen Gesetzentwurf zumindest angekündigt.

Der politische Aktionismus steht in lebhaftem Kontrast zur strafrechtlichen Praxis. Bisher ist in Deutschland keine einzige Verurteilung wegen einer rituellen Genitalverstümmelung erfolgt. Auch entsprechende Strafanzeigen hat es wohl nicht gegeben. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) steht einer Verschärfung des Strafrechts daher skeptisch gegenüber und setzt auf bessere Information der Betroffenen und der Behörden.

2009 hatte der Bundestag beschlossen, dass die Verjährung bei einer Genitalverstümmelung erst beginnt, wenn das Opfer volljährig wurde. So ist es schon länger bei sexuellem Missbrauch üblich.

Eingeschränktes Sorgerecht

Ende 2004 hat der Bundesgerichtshof geurteilt, dass das Sorgerecht von Eltern eingeschränkt werden kann, wenn dem Mädchen eine Genitalverstümmelung droht. So kann das Jugendamt Reisen ins Ausland verbieten.

Ende letzten Jahres hatte der Bundestag klargestellt, dass die Vorhautbeschneidung von Jungen nicht strafbar ist, wenn die Eltern in den Eingriff einwilligen. Dieser Beschluss hat aber keine Auswirkungen auf die rechtliche Situation von Mädchen. Die Genitalverstümmelung von Mädchen gilt als Eingriff, der ungleich schwerwiegender ist, dem auch keine medizinischen Vorteile gegenüberstehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • SD
    Stimme der Demokratie

    "Obwohl bisher kein Fall vor Gericht war..."

    Sind denn keine Fälle oder Verdachtsmomente bekannt?

    Gesetzte, die sich Explizit mit Genitalverstümmelung beschäftigen, könnten deutlich machen, das dies keine beliebige Körperverletzung ist. Es würde ein Zeichen setzen und zeigen, dass unsere Gesetze über Tradition oder Religion stehen.

  • HH
    Heinz Hertlein

    Einige unserer Politiker hat scheinbar, nachdem nun das Sondergesetz zur Knabenbeschneidung erlassen wurde, die Reglementierungswut gepackt und sie wollen nun damit weitermachen.

     

    Da dürfte es langsam notwendig sein, sie auf ein Grundprinzip in einem Rechtsstaat hinzuweisen, den diese Politiker offensichtlich vergessen haben oder was noch schlimmer wäre, gar nicht kennen.

     

    Die Legislative setzt mit den Gesetzen, die sie beschließt, die Rahmenbedingungen, die in einem Staat gelten.

    Die Iudikative urteilt dann "im Einzelfall" unter Nutzung dieser Gesetze.

    Und eigentlich reicht es, wenn Körperverletzung verboten ist.

    Sondergesetze zum Nasenabschneiden, Ohrenabschneiden oder zur Geschlechtsteilverstümmelung bedarf es da eigentlich nicht, wenn in den bestehenden Gesetzen klar definiert ist, wie Körperverletzung zu beurteilen ist.

     

    Wichtiger wäre es die Problematik mit der Genitalverstümmelung öffentlich zu thematisieren und die Öffentlichkeit für dieses Problem zu sensibilisieren.

     

    Und ein Aspekt sollte hierbei nicht ausgeklammert werden, wenn die Folgen einer weiblichen Beschneidung auch allermeist erheblich folgenschwerer sind, als die der Jungenbeschneidung:

     

    Dort wo Mädchen mit Rasierklingen und Glasscherben beschnitten werden, dort werden auch Jungen nicht von ausgebildeten Ärzten beschnitten.

     

    In Großbrittannien mag das Schicksal von Goodluck Cauberg ein Einzelfall sein. Aber wie ist das in den Ländern, in denen Mädchenbeschneidung Tradition ist?

  • C
    Celsus

    Sicherlich sind im bekleideten Alltag keine körperlichen Entstellungen junger Frauen im Alltag sichtbar. Ausgesprochen wichtig empfinden es allerdings die meisten Menschen bei einer Partnerwahl, auch in dem dann zum Vorschein kommenden intimen Bereich nicht entstellt zu sein. Ich bezweifle, ob die Beschneidung von Mädchen nicht auch eine körperliche Entstellung darstellt, die dann schärfer bestraft werden kann.

     

    Wie aber kommt es zu Strafverfahren? Bei dem kleinen Jungen dessen Beschneidung in einem Strafverfahren in Köäln beurteilt wurde, hatten die Eltern wegen eines vermeintlichen Kunstfehler und der darin dann liegenden Körperverletzung Anzeige erstattet.

     

    Und Körperverletzung ist ein Delikt, das nur auf Antrag dazu befugter Personen verfolgt werden kann und darf. § 77 Abs. 3 StGB regelt, dass für Geschäftunfähige oder beschränkt Geschäftsfähige sorgebrechtigte Personen - meist die Eltern - den Antrag stellen. Befürworten die sorgeberechtigten Eltern eine Beschneidung, kommt es nicht zur Strafanzeige und damit nicht zur Berechtigung der Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung.

     

    Wie hoch die Zahl die Zahl der Beschneidungen von Beschneidungen von Mädchen in Deutschland ist, kann ich aber so nicht erkennen. Dafür braucht es wahrscheinlich Personen, die eng mit potentiell betroffenen Frauen beruflich zusammen arbeiten.

  • I
    Irene

    "Die Genitalverstümmelung von Mädchen gilt als Eingriff, der ungleich schwerwiegender ist, dem auch keine medizinischen Vorteile gegenüberstehen."

    Ach, so kann man ein Verbrechen an Mädchen auch umschreiben? Toll.

  • D
    Demokratie-Troll

    Zitat: "Die Genitalverstümmelung von Mädchen gilt als Eingriff, der ungleich schwerwiegender ist (als an Jungen), dem auch keine medizinischen Vorteile gegenüberstehen."

     

    Ist doch lachhaft so eine Differenzierung, mit der eine eklatant sexistische Ungleichbehandlung beschönigt wird. Das Beschneiden der Geschlechtsteile kleiner Kinder ist grausam, so oder so. Wer es nicht glaubt, sollte sich mal selbst so ein Teil abschneiden lassen.^^

  • J
    Jörn

    Der Bundestag hat nicht "klargestellt" dass die Beschneidung von Jungen straffrei wäre, sondern die bestehende Rechtslage geändert. Die Beschneidung von Jungen, wurde selbst ohne Einhaltung der medizinischen Standards (Durchführung durch einen Arzt und effiziente Betäubung) nicht nur straffrei gestellt, sondern auch als rechtmässig deklariert.

    Wenn die Beschneidung von Mädchen in Deutschland nicht geahndet wird, so liegt die Bundesrepublik auf der gleichen Ebene wie viele afrikanische Staaten. Dort gibt es ein Verbot, das jedoch nicht durchgesetzt wird.

    Nicht eine Strafverschärfung sondern eine bessere Durchsetzung würde hier etwas ändern. Das Problem ist, dass eine Beschneidung meistens unsichtbar bleibt. Ärzte, die feststellen, dass ein Mädchen beschnitten wurde, können dies auch nicht anzeigen. Sie unterliegen der Schweigepflicht und im Gegensatz zu Kindesmisshandlungen gibt es auch keine Wiederholungsgefahr, die ein Bruch der Schweigepflicht rechtfertigen würde. Nicht selten werden die Beschneidungen von den Müttern propagiert. Mütter werden in Deutschland für Straftaten an ihren Kindern jedoch selten belangt, da eine Bestrafung der Mütter die Kinder treffen würde - eine seltsame Verdrehung und Gleichsetzung des Kindeswohls mit den Interessen der Mütter. Welche volljährige Frau möchte zudem ihre Mutter anzeigen - wohlwissend, dass ihr dies nichts Abgeschnittenes zurückgibt?

    Wenn eine Beschneidung - eine grobe Kindesmisshandlung - als Ausdruck der Erziehungsunfähigkeit gewertet würde und daher den Verlust des Sorgerechtes zur Folge hätte, würde dies etwas ändern. Hier könnte der Bundestag tätig werden - eine Strafverschärfung alleine ist nur Kosmetik.