Gemeinschaftliches Singen in Hamburg: Vom Glück des Singens

Singen wirft immer auch Fragen auf: Ob man als Kölnerin etwa bei Shantys mittun darf? Klärung findet sich beim Chorsingen im Museum am Rothenbaum.

Singen ist das Ding der Beach Boys. Und Beach-Boys-Titel singt man gern Foto: Author unknown, Public domain, via Wikimedia Commons

Ist das jetzt peinlich, wenn man Shantys mag? Womöglich sogar singt, wenn auch nicht im Fischerhemd? Hm! In meiner Kölner Heimat ist es jedenfalls nicht ehrenrührig, ganzjährig Mundartlieder der Bläck Fööss zu singen. Dabei tun die ja nur tümelnd, sind gar keine echten Volkslieder, sondern wurden seit Bandgründung 1970 erfunden. Haben sich aber inzwischen als Volksgut breitgemacht.

Das norddeutsche Shanty dagegen ist ja wohl handfestes Seebärkulturgut, tief in Nord- und Ostsee, in den großen weiten Weltmeeren verankert, man denke an den guten alten Hans Albers. Schön rhythmisch, evoziert es nicht nur flotte Fahrt bei gutem Wind, sondern gab einst auf Großseglern den Arbeitsrhythmus vor beim Takeln, Fieren und sonsterlei Betätigung an Bord. Wohingegen das kölsche Lied immer Feierlied war und ist – ob an Karneval oder beim Sommerfest. By the way: Darf ich als Kölnerin überhaupt Shantys singen, oder ist das eine kulturelle Aneignung? Soll ich gefälligst nicht so tun, als gehörte ich dazu, nur weil ich „When the Wellerman comes“ mitgrölen kann?

Egal, beim offenen Chorsingen im Innenhof des ethnologischen Hamburger Museums, 2018 griffig umbenannt in „Museum am Rotherbaum. Kunst und Kulturen der Welt“ (kurz MARKK), werde ich das nicht gefragt. Da spielt Herkunft keine Rolle, alle sind willkommen. Als MitarbeiterInnenchor ist das zweiwöchentliche Treffen 2018 entstanden, ansteckungsarm draußen im Hof unter einem Zeltdach, damit sich der Klang nicht in alle Winde zerstreut.

Im MARKK Museum am Rotherbaum. Kunst und Kulturen der Welt sind derzeit unter anderem in Ausstellungen die Hamburger Faszination für Tirol und die Jurte als Wohnraum zu sehen. Zum Singen treffen kann man sich dort alle zwei bis drei Wochen donnerstags um 18 Uhr.

Hier im Hof des 1879 gegründeten, seine koloniale Vergangenheit peu à peu aufarbeitenden Museums wurden schon viele Feste gefeiert. Hier hat der kanadisch-indigene Künstler David Seven Deers 1997 den meterhohen „Totempfahl“ geschnitzt, der jetzt am Museum steht. Hier gab und gibt es rauschende Feste verschiedenster Hamburger Communitys. Hinten rechts sitzt ein steinerner Wasserbüffel, der sehnsüchtig nach dem Vogeltrinkschälchen schaut, das er zeitlebens verfehlen wird. Gleich daneben der gemauerte Ofen, den der frühere Museumsdirektor bauen ließ, damit bei portugiesischen Festen Brot gebacken werden konnte.

Zuerst muss man noch leise sein

Drinnen im Museum geht gerade das Junge-Leute-„Get Together“ zu Ende, da müssen wir Chorleute noch leise sein. Empfangen wurden wir übrigens mit dem freundlichen Hinweis, man solle nicht zu viel erwarten, „denn wir sind keine Profis“.

Habe ich sowieso nicht erwartet, stelle mich jetzt aber auf schlimmes Gequietsche ein – und werde angenehm überrascht: Alsbald betreten zwei Gitarristen den Hof, ein Xylophon wird geholt und eine Cachon. Jeder bekommt einen Stapel Liedtexte in die Hand, und es fängt an: „I like the flowers“ – wie schön, das hatte ich schon vergessen. „Copacabana“ – das wusste ich noch. Wunderbar grölig: „Sloop John B.“, das man von den Beach Boys kennt, hier mit hochkarätiger Xylophon­begleitung. Beim „Wellerman“ triumphiert die Cachon.

Wir singen uns durch die Jahrzehnte; auch ein, zwei deutsche Lieder sind dabei, „Heute hier, morgen dort“ von Hannes Wader zum Beispiel. Alle sind glücklich, die Stimmung ist groß. Kein Gedanke an die Vorbehalte der 1960er Jahre gegen das im NS-Staat so misshandelte Volkslied, kein Gedanke an die schwer erträglichen, andererseits so beliebten Fischer-Chöre der 1970er – sondern einfach nur harmloses Glück.

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Und wie ich da so selbstvergessen singe, fällt mir ein, dass etliche aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis irgendwie, irgendwo singen – die einen experimentell, die anderen 1960er-Jahre-Songs, wieder andere im Projektchor. Auch das sommerliche Dünensingen auf Spiekeroog ist Kult, und in Köln gibt es samstags das Straßen­ecken­singen, zweckfrei und gut besucht.

Weil es ein Bedürfnis ist – und weil es Gemeinschaft stiftet, sogar revolutionäre Kräfte freisetzen kann. Man denke an die „Singende Revolution“ von 1989 – jene 620 Kilometer lange Menschenkette durch Estland, Lettland und Litauen, mit der sich diese Völker von der Sowjetunion befreiten.

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Seit 2000 Redakteurin der taz am Standort Hamburg. Schwerpunkte: Kultur und -politik, Drittes Reich, Judentum, Religion allgemein.

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