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Gemeinsam auf einer Decke

Vollkommen offen: Zwei Picknickdecken dienen in Burg als Jugendzentrum. Jede Woche treffen die Betreuerinnen hier die Kinder Foto: Susanne Hagenmaier

Aus Bayreuth Susanne Hagenmaier (Text und Fotos)

Rein äußerlich ist Burg, der Stadtteil in der Nähe des Bayreuther Hauptbahnhofs, eine familienfreundliche Idylle. Die Häuser sind nicht mehr als sieben Stockwerke hoch, die Fassaden frisch gestrichen, dazwischen weitläufige Rasenflächen. Doch trotzdem gilt Burg vielen in der Stadt als „Problemviertel“. „Hier ist zu viel Druck im Kessel“, sagt Marco Marino. Der Soziologe, gebürtiger Bayreuther, ist Inhaber einer Personalvermittlungsfirma und Gründer des Vereins „Wundersam anders“, der aus dem Bundes-Förderprogramm „Kultur macht stark“ gefördert wird. Es ist ein klassisches Angebot der offenen Jugendarbeit, der Verein ist ein Anlaufplatz, ein Treffpunkt.

Es gibt viele solcher „Problemviertel“ in Deutschland, und viel Sozialarbeit, die versucht, sich der Schwierigkeiten dort anzunehmen. Doch während andernorts Mitarbeitende in Jugendzentren vielfältiges Programm anbieten können, fehlen in der Burg die Strukturen: Der Verein ist klein, ein Jugendzentrum gibt es nicht. Was es aber gibt: engagierte Ehrenamtliche, viele Ideen und viele Angebote. Reicht das, damit Jugendarbeit gelingen kann? Und was braucht es wirklich, damit sie gelingt?

An einem gnadenlos heißen Juninachmittag bekommen die Kinder der Burg Besuch von der Polizei. Der zehnjährige Ahmed ist da, ebenso sein 14-jähriger Bruder Kheralla, die jüngste Schwester Selina, 8, die ältere Schwester Lamis, 12, ihre gleichaltrige Freundin Lea und die etwas jüngere Oana. Sie sollen lernen, Polizistinnen und Polizisten als Verbündete zu sehen, die sie zu Hilfe holen können, wenn Unrecht passiert.

Zwei Jugendkontaktbeamtinnen lassen sich auf einer Picknickdecke nieder. Mangels Alternativen bildet diese Decke auf dem großen Rasen den Mittelpunkt der Jugendarbeit. In Zivil und in Socken, aber mit Waffe und Handschellen am Gürtel versuchen die Polizistinnen, Nähe herzustellen, aber der Weg ist weit. Die Kinder stellen Fragen. Was kann ich tun, wenn ich in der Schule unfair behandelt werde? Was mache ich, wenn der Lehrer selbst rassistisch ist? Was soll ich machen, wenn der Mann mit den Pfandflaschen am Bolzplatz auf mich zugelaufen kommt? Habt ihr Bizeps?

„Ihr könnt jederzeit die Polizei anrufen“, betonen die Beamtinnen immer wieder, aber die Kinder wundern sich, warum sie das tun sollen, nur weil sich – wie sie erzählen – ein paar Teenager prügeln. „Wir wollen euch abholen“, sagen die Beamtinnen, und meinen damit: „Wir wollen euch unterstützen“. Aber den Kindern macht dieser Satz Angst.

Auch sonst läuft die Kommunikation nicht reibungslos: Dass Lamis sich freut, weil sie erst zwölf und damit noch nicht strafmündig ist, finden die Beamtinnen nicht lustig. „Was machst du denn?“, fragt die eine. „Darf ich nicht sagen!“, sagt Lamis und grinst. Zuweilen ähnelt das Gespräch mehr einer Gefährderansprache als einem Unterstützungsangebot; die Kinder spüren das und werden misstrauisch. Die Beamtinnen allerdings gehen mit geschärfter Aufmerksamkeit nach Hause. Eine von ihnen stellt zum Abschied fest: „Ihr erlebt ganz schön viel Alltagsgewalt.“ – „Wir werden angeschrien, wenn wir nur irgendwo sitzen“, erzählt eins der Kinder mit größter Selbstverständlichkeit.

Damit diese Alltagsgewalt weniger wird, brauche es Begegnungsräume für die Bewohner der Burg, die Erwachsenen und die Kinder, sagt Marco Marino. „Denn wenn man sich nicht begegnet, sondern sich untereinander abschottet, entstehen Vorurteile, und daraus entstehen Ängste.“ Anderswo in Bayreuth habe man damit schon gute Erfahrungen gemacht; am Menzelplatz in der Altstadt etwa.

Dort gibt es einen offenen Stadtteiltreff, einen Familientreff und ein Jugendzentrum und daran angegliedert niederschwellige Sozialberatung. Kochkurse für Kinder, Spieletreff mit Digitalsprechstunde für Senioren, Yoga und Gymnastik für Frauen, Flüchtlingsberatung, präventive Wohnungslosenhilfe, Beratung des Kinderschutzbunds: Das soziale Netz ist eng am Menzelplatz.

2023 wurde an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg eine Studie veröffentlicht, die die Bedeutung Offener Jugendarbeit aus Sicht der Jugendlichen untersucht hat. Als „Rückzugsort“, „Safe Place“ oder „Ruheort“ haben die befragten Hamburger Jugendlichen ihren Treffpunkt, ihren Begegnungsraum beschrieben.

In der Burg gibt es keinen Begegnungsraum, weder für die Erwachsenen noch für die Kinder, obwohl Marino und sein Verein sich seit Jahren dafür einsetzen. Das „Haus des Spiels“, offener Treff und Vereinszentrale, ist eine Viertelstunde Fußweg von der Burg entfernt; von den Kindern hat kaum eins die Erlaubnis, die Strecke allein zu laufen. Der Bolzplatz in der Nähe, von den Kindern liebevoll „Bolzer“ genannt, ist näher, hat aber seine eigenen Tücken, die später noch eine Rolle spielen werden. Und die Wiesen zwischen den Wohnblöcken der Burg täuschen nur vor, ein Ort für alle zu sein.

„Wundersam anders“ schafft deshalb genau hier regelmäßig einen offenen Begegnungsraum. Offen, weil die Kinder und Jugendlichen kommen und gehen können, wann sie wollen – und weil er nur aus zwei Picknickdecken besteht, sommers wie winters. Die Jugendarbeiterinnen bieten Spiele an, vor allem aber hören sie zu.

Die 29-jährige Isa Wörner und ihre Kollegin Vanessa Jüttner, 27, sind den Sommer über die Haupt-Ansprechpartnerinnen für die Kinder der Burg, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen: Während der drei Stunden, die sie dort verbringen, werden sie von den Kindern komplett vereinnahmt. Geschichten aus der Schule, Auseinandersetzungen in der Familie oder die Frage, ob man ein Labubu – das Plüschtier mit dem zahnbewehrten Grinsen – braucht oder nicht: Alles wird besprochen, oft auch alles gleichzeitig.

Ab und zu verlassen die Jugendarbeiterinnen mit den Kindern die Burg und organisieren einen Ausflug in die Innenstadt. Mit acht Mädchen und Jungs besuchen Isa, Vanessa und ihre Kollegin Franziska Fröhlich heute die Bayreuther Stadtbibliothek. Sie bekommen erklärt, wie sie sich etwas ausleihen können und wo sie was finden. „Habt ihr noch Fragen?“, fragt die Bibliothekarin am Ende ihres Vortrags. Ahmed hat zwei. „Wenn man zu Hause Bücher hat, die man nicht mehr lesen will, kann man die hier abgeben und bekommt Geld dafür?“ Und: „Wenn bei einem spannenden Buch die Schrift richtig klein ist, aber man hat eine Leseschwäche – gibt es dafür extra Bücher?“

Die Bibliothekarin hängt dieser Frage noch länger nach, denn die Antwort ist Nein – bisher gibt es kaum Bücher für leseschwächere ältere Kinder. Ahmeds Schwester Lamis interessiert weder der Vortrag noch die anschließende Rallye; sie albert mit ihrer Freundin herum, verdrückt sich aufs Klo und wirkt, als fühle sie sich fehl am Platz. Aber sie hat ihren Bibliotheksausweis dabei. Zwei Bücher nimmt sie mit nach Hause: „Deutsch Gymnasium 6. Klasse“ und „Kinder unterm Hakenkreuz“.

Die Angebote haben die Jugendlichen in der Hamburger Studie ebenfalls als Grund genannt, warum sie die Jugendzentren besuchen: Kicker, Küche, Musikinstrumente – vieles ist da und kann genutzt werden. In der Burg muss alles Equipment für die Jugendarbeit in einen Autoanhänger passen und bei jedem Treffen raus- und wieder zurückgeräumt werden. Trotzdem eröffnet „Wundersam anders“ wie viele andere soziale Einrichtungen den Kindern Möglichkeiten, die für viele von ihnen sonst außer Reichweite wären, indem sie Projekte oder Ausflüge anbieten. Im Verein gehen die Meinungen, ob und wie häufig das nötig ist, allerdings auseinander.

Isa lässt den Kindern gern viel unverplanten Freiraum. Sie und Vanessa tendieren dazu, weniger zu agieren und mehr zu reagieren. Und darin sind sie Meisterinnen. Sie sind vorbehaltlos einfach da für das, was die Kinder und Jugendlichen gerade brauchen: Verständnis für das Unbehagen gegenüber dem „weirden“ Englischlehrer, ein Lachen über die Idee, ihren Eltern die SIM-Karten der Smartphones zu vertauschen, aber auch mal einen Exkurs zum Kapitalismus, wenn es um vermeintliche Must-haves geht wie die angesagten, aber teuren Jellycat-Kuscheltiere.

Isa und Vanessa urteilen nicht, sie erziehen nicht, sie nehmen die Kinder ernst und sind mit ihnen solidarisch. Die Kinder lieben das. „Jedes Mal, wenn ich nach Hause gehe, bin ich wirklich kaputt“, sagt Vanessa nach einem der Nachmittage in der Burg. „Aber ich gehe auch jedes Mal voller Freude nach Hause.“ Gleichzeitig steckt sie mit dem Verein und den Kindern der Burg in einem der komplexesten Projekte, das sie bisher hatten: Sie sollen ein Stadtteilmagazin erstellen. Die Idee zur „Burg-Zeitung“, sagt Marino, sei aus Gesprächen mit Kindern und Politikern bei einem Sommerfest entstanden: „Es ist so schade, wenn das, was da besprochen wird, dann ins Leere läuft.“ Die Zeitung solle zeigen, „dass wir die Kinder ernst nehmen, weil sie das, was sie bewegt, sichtbar und greifbar macht“.

Vollkommen offen: Zwei Picknickdecken dienen in Burg als Jugendzentrum. Jede Woche treffen die Betreuerinnen hier die Kinder

Ein Teil des „Burgzeitung“-Projekts steht am Anfang der Sommerferien an: Isa, Vanessa und die Kinder der Burg haben einen Termin beim Oberbürgermeister der Stadt Bayreuth, Thomas Ebersberger von der CSU. Der Termin droht zu scheitern, bevor er überhaupt begonnen hat. Es will nämlich niemand mitkommen. Die Jüngeren spielen lieber, und Lamis sagt: „Ich hab halt keinen Bock, dem sein kack Büro zu sehen.“ Isa und Vanessa sind hin- und hergerissen. Einerseits könnte es eine gute Erfahrung für die Kinder sein, ihre Sorgen direkt an den Oberbürgermeister zu adressieren. Andererseits widerstrebt es ihnen, die Kinder überreden zu müssen.

Ahmed entscheidet sich fünfmal um, bis seiner Schwester der Kragen platzt: „Ahmed! Isa kommt immer und nimmt sich Zeit für dich! Also kommst du jetzt mit!“ Dieses Argument zieht. Ahmed kommt mit.

Im Rathaus purzelt die laute Horde aus dem Aufzug in einen Gang mit muffigen gelben Teppichen und Ölgemälden vergangener Bürgermeister an den Wänden. Die Kinder stellen die Fragen, die sie in der Woche zuvor mit den Jugendarbeiterinnen erarbeitet haben, ertragen die Erwachsenenantworten und fordern Ebersberger dann mit spontanen Fragen heraus. Ahmed will wissen, ob der Bürgermeister auch in Jogginghose ins Rathaus kommen darf. Lamis fragt, ob er für oder gegen die AfD ist. Ebersberger hat sich vorbereitet, antwortet konkret und detailliert, arbeitet mit Beispielen und beendet das Treffen erst, als wirklich keine Fragen mehr kommen. Er gibt sich Mühe, eine Brücke zu den Kindern zu bauen. Doch auch diesmal zeigt sich: Der Weg ist weit.

Dass der nächstgelegene überdachte Ort, wo man sich treffen kann, einen langen Fußweg entfernt ist? „Laufen ist gesund!“, sagt Ebersberger. Ob es nicht möglich ist, die Schulturnhalle zu nutzen? „Da stehen teure Geräte und es gibt immer Dödel, die die Sachen kaputtmachen und beschmieren.“ Die Kinder fühlen sich damit gemeint. Ob er mal in die Burg kommt, um sich die Probleme selbst anzusehen? „Ich fahre da oft auf dem Heimweg mit dem Fahrrad durch.“ Die Kinder sind ernüchtert nach dem Besuch. „Der hat uns doch gar nicht ernst genommen“, sagen die Älteren. Das Angebot, das Ebersberger ihnen gemacht hat – zum Beispiel, ihm persönlich Fotos von der Situation am „Bolzer“ zu schicken, der im Sommer nicht beschattet und nachts nicht beleuchtet ist – erreicht sie schon nicht mehr.

Den Besuch beim Bürgermeister und auch den Besuch der Polizistinnen hat der Bayreuther Journalist Thorsten Gütling organisiert. Vereinsvorstand Marino hat ihn engagiert, um mit den Kindern die „Burgzeitung“ zu entwickeln. Wenn es ihm seine Arbeit erlaubt, kommt Gütling dienstags dazu, spielt mit den Kindern Fußball oder sitzt mit ihnen auf der Picknickdecke. Mit einigen der erwachsenen Jugendarbeiterinnen kommen die Kinder nur schwer ins Gespräch, aber Gütling ist sehr direkt und trifft dabei offensichtlich den richtigen Ton, denn die Kinder hören ihm zu und antworten.

Aber das heißt noch lange nicht, dass sie auch tun, was er von ihnen will. Ohne eine gewisse Verbindlichkeit wird das nichts mit der Zeitung, das weiß Gütling, aber er braucht das Frühjahr und den Sommer, um zu erkennen, dass er zu viel vorausgesetzt hat und zu viel erwartet – auch von Isa und Vanessa. „Ich komme da hin mit einem Plan, was eigentlich gemacht werden muss“, erzählt er im Frühsommer. „Aber wenn die Kinder lieber Fußball spielen wollen, dann spielen sie Fußball.“

Kalte Tristesse: die Siedlung Burg im November – ohne den wöchentlichen Treff

Nach solchen Nachmittagen delegiert er Aufgaben an Isa, Fragen vorbereiten für den Besuch beim Bürgermeister etwa; oder er bittet die Kinder, die zugesagten Comics oder versprochenen Fotos ihrer Lieblingsorte beim nächsten Mal mitzubringen. Weil der Rücklauf oft schleppend ist, ist Gütling im Juni kurz davor, das Projekt aufzugeben. Doch stattdessen lässt er irgendwann einfach locker. Lässt sich überraschen, was die Kinder zustande bringen. Bringt Ideen ein, überlässt es aber dann ihnen, was sie daraus machen. Er hat sich, wenn man so will, Isas und Vanessas Methode angepasst: weniger vorgeben, mehr reagieren, und die Kinder kommen lassen.

Und es funktioniert. Im Herbst ist die „Burgzeitung“ fertig. Mehr als 40 Seiten haben die Kinder gefüllt mit Geschichten, Fotos, Zeichnungen, Rätseln und Rezepten. Oana war schon lange nicht mehr dienstags auf der Picknickdecke und auch bei keinem der Ausflüge, aber sie hat den versprochenen Comic beigesteuert, die Handlung: Der Hausmeister nimmt den Kindern für fünf Tage den Fußball ab. Samantha hat eine Kurzgeschichte geschrieben mit dem Titel „Die Burg – Viel Ärger heute“.

Ahmed hat seine Lieblingsorte in der Burg fotografiert; zu sehen sind hauptsächlich leere Wiesen und Spielgeräte, für die er eigentlich zu groß ist. Aber auch ein Interview mit der „Zuckeroma“ findet ihren Platz, die seit Jahrzehnten in der Burg wohnt, fünf Enkel hat und sich zusätzlich mit viel Liebe um die Kinder der Burg kümmert.

An einem Dienstag im September hat sich der Sommer verabschiedet. Die zwei Bäume auf der Wiese dienen der Picknickdecke nicht mehr als Sonnen-, sondern als Regenschutz. Eine Kiste auf Rollen dient als improvisierter Tisch; es gibt Kuchen, weil eine neue Hauptverantwortliche übernimmt, Céline Kabella. Isa zieht sich zurück – sie will nicht mehr als Projektverantwortliche vom Verein bezahlt werden, sondern nur noch als Ehrenamtliche weitermachen; weniger Projektarbeit organisieren, mehr für die Kinder auf der Picknickdecke da sein.

Lamis hatte gerade einen Monat Handyverbot, weil sie ihren Bruder geärgert hat, „aber das war es wert“, findet sie. Den jüngeren Mädchen wird langweilig. Sie verabschieden sich und ziehen los zu ihrem Lieblingsspiel: Klingelstreiche. Sie bitten und betteln, Isa soll mitspielen, aber die macht ihnen klar: Dafür ist sie nicht zu haben. Sie bleibt bei den Älteren auf der Picknickdecke. Keiner von ihnen hat ein Handy in der Hand – sie spielen Karten.

Mit Plan und Plane: Betreuerin Isa (links) und die Kinder behelfen sich im November mit Unterschlupf und warmen Getränken

Ende November wird es ungemütlich auf der Wiese der Burg, nasskalt, grau und dunkel. Wo im Sommer die Picknickdecke lag, hat sich eine quadratmetergroße Pfütze ausgebreitet. Céline ist trotzdem da und auch Isa. Sie baut mit Ahmeds und Lamis` jüngster Schwester Selina aus einer Plane, einem herumstehenden kaputten Einkaufswagen und ein paar Stöcken einen Unterstand gegen den Schneeregen.

Ahmed liefert sich mit seinem älteren Bruder Kheralla und einem weiteren Jungen aus der Nachbarschaft eine Schneeballschlacht mit den dreckigen Resten eines Schneemanns. „Jeder hat drei Leben!“, brüllt Ahmed. „Halt die Fresse, du hast nur noch zwei!“, brüllt sein Bruder zurück. Sobald die Schimpfwörter das „Hurensohn“-Niveau erreichen, greift Isa ein: „Ahmed und Kheralla! Wir beschimpfen uns nicht…“

Was ist so cool an der Jugendarbeit auf der Wiese, dass sie fast jede Woche kommen, bei Wind und Wetter? Lamis versucht es zuerst mit ein paar Floskeln, die sie für angemessen hält. Aber dann wird sie ehrlich: „Eigentlich kann man nur mit Isa Scheiß machen. Die anderen maulen uns an.“ Ahmed: „Isa ist cool. Die lässt uns alles machen. Sie hat keine Regeln.“ Zumindest keine, die Ahmed als solche wahrnimmt.

Große Projekte und kleine Ausflüge: Mit geringen Mitteln stemmt „Wundersam anders“ vieles, was Offene Jugendarbeit ausmacht. Entscheidend für das Gelingen sind aber die Bezugs- und Vertrauenspersonen, Menschen wie Isa. Auch die Hamburger Studie zeigt deren Bedeutung: Die Jugendlichen beschrieben sie als wichtige Gesprächspartner, sogar als „zweite Familie“ – oder, von einem Befragten auf den Punkt gebracht: Billard spielen mache Spaß – aber herzlich empfangen werden, das sei fast wie nach Hause kommen, „weil es ist immer jemand da, der sich freut, wenn man kommt“.

Im November meldet sich auch Oberbürgermeister Thomas Ebersberger per Mail. Er schreibt: „Bezüglich des Bolzplatzes kann ich Ihnen mitteilen, dass ich diesen zweimal besucht habe.“ Das Ergebnis: Der „Bolzer“ könnte Solarleuchten bekommen. Und für kommendes Jahr ist das Stadtgartenamt angewiesen, Rankpflanzen hinter Gittern zu pflanzen. Dann hat der Bolzplatz nicht nur Licht, sondern auch Schatten.

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