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Gelbe Flüsse, bunte Ufer

Das ZDF startet heute eine dreiteilige Dokuserie über die Lebensadern Chinas: „Chinas Ströme“ (22.15 Uhr) erzählen, von der Quelle bis zur Mündung, auch die Geschichte eines Umbruchs

von JAN-RÜDIGER VOGLER

Sozialismus ist bunt. Junge Menschen mit rot gefärbten Haaren kleckern sich bei Kentucky Fried Chicken Currysauce auf die Nike-Kollektion, und vor dem neuen „Pizza Hut“ sammeln sich des Abends betuchte Träger feiner schwarzer Zweiteiler, um Einlass in den grell beleuchteten Backtempel zu finden. Nur der alte Mann, der langsam im blauen Mao-Anzug vorbeischlurft, gibt einen Hinweis darauf, dass sich diese Szenen in China abspielen.

„Es geht nicht mehr um die Verbreitung des Kommunismus“, sagt Dietmar Schulz, ehemaliger Agentur- und Fernsehkorrespondent in Peking, über die Ziele der chinesischen Machthaber: „Wer wirtschaftlichen Erfolg hat, bleibt von der Partei unbehelligt.“ Schulz gehört zu den drei ZDF-Autoren, die im Frühjahr die wichtigsten Flüsse Chinas bereisten, um sich einen Überblick über die aktuelle Lage im Reich der Mitte zu verschaffen.

Sein Beitrag „Ein Gürtel aus grüner Seide – Der Li- und Perl-Fluss“ ist Auftakt zur dreiteiligen Reihe von Dokumentarfilmen über die Lebensadern Chinas, die nach wie vor die bedeutendsten Verkehrsverbindungen in dem riesigen Land sind und mehreren hundert Millionen Menschen eine Heimat bieten.

Mit diesem Trio möchte das ZDF an den Erfolg seiner Doku-Reihe über die Flüsse Russlands anknüpfen, mit der letztes Jahr rund 3,5 Millionen Zuschauer an den Bildschirm gelockt werden konnten.

Die Entwicklung Chinas ist zur Zeit ähnlich spannend wie die des ehemaligen Sowjetreiches. Denn während in Moskau erst das politische System verändert wurde und sich die Wirtschaft im Nachhinein an die neuen Bedingungen anzupassen versucht, gehen die Machthaber in China den umgekehrten Weg, der sich im Beitritt zur Welthandelsorganisation dokumentiert. Zwischen Peking und Hongkong floriert das System des freien Handels, vom mobilen Kleingewerbe auf dem Handkarren bis zum milliardenschweren Medienaktien-Fonds. Überall wird gebaut und saniert, traditionelle Stadtviertel müssen Hochhäusern und stählernen Wolkenkratzern weichen und Fahrradfahrer haben auf mehrspurigen Straßen mit einer ständig wachsenden Zahl von Autos zu kämpfen.

Schnellzug Kapitalismus

Fast jede größere Stadt erhält einen neuen Bahnhof oder Flughafen. Nur das politische System will in dieser Aufbruchstimmung nicht ganz mitziehen. Zwar konnten vor zwei Jahren die Bürgermeister mehr oder weniger frei gewählt werden, doch an der Macht der KPCh darf nicht ernsthaft gerüttelt werden. Menschenrechtsverletzungen sind nach wie vor an der Tagesordnung. Arbeiter, die versuchen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, werden verhaftet oder als psychisch krank behandelt. In China rumpelt die Politik der Wirtschaft hinterher. Und die große Frage lautet, ob die Kommunistische Partei vom kapitalistischen Schnellzug nicht einfach abgehängt wird.

Zu den aufstrebenden Machthabern in China zählt auch der Hightech-Manager Duan Yongping, der Dietmar Schulz mit seinem weißen 600er-Mercedes durch die Industriestadt Changan südlich von Kanton chauffierte. Der Standort seines Unternehmens, das hochwertige Elektrogeräte produziert, die im ganzen von 1,3 Milliarden Menschen bevölkerten Land bekannt sind, ist kein Zufall, denn das Mündungsdelta des Perl-Flusses ist die bedeutendste Wachstumsregion des Landes. Hier sind Zehntausende neue Fabriken entstanden, eine neue Mega-City ist im Entstehen begriffen.

Gestaute Wassermassen

Ähnlich verhält es sich mit der Stadt Chongqing, die Thomas Euting auf seiner Jangtse-Tour besuchte und im zweiten Teil der Doku-Reihe vorstellt. „Der Große Sprung am Großen Drachen – Der Jangtsekiang“ (25. Juli, 22.15 Uhr) ist ein Porträt des längsten chinesischen Stromes und der Menschen, die von seinen Wassermassen abhängig sind und ihn ob seiner Zerstörungskraft gleichzeitig fürchten.

Chongqing entwickelt sich in rasantem Tempo zur wichtigsten und größten Stadt an seinen Ufern. Rund 15 Millionen Einwohner hat diese in Westeuropa weitgehend unbekannte Metropole in ihrem Kern, und ca. 33 Millionen Menschen wohnen in ihrem Großbereich. Durch den Bau des weltgrößten Staudamms, der rund sechshundert Kilometer östlich der Stadt entsteht und heftige Diskussionen bei Umweltschützern und Ingenieuren auslöste, wird hier – über tausend Kilometer von der Mündung entfernt – ein Tiefsee-Hafen entstehen, der den bislang unterentwickelten Westen Chinas am Wirtschaftsboom teilhaben lassen soll.

Hand wird aufgehalten

Bis Euting mit seinem Team diesen Industriemoloch von Schanghai kommend erreichte, musste er allerdings viele nervenaufreibende Auseinandersetzungen mit Behörden hinter sich bringen und eine Reihe von Provinz- und Distriktherrschern bezahlen. Korruption gibt es zwar offiziell nicht, aber die Hand wird überall aufgehalten. Das kann auch Joachim Holtz bestätigen, der dem Huang He flussaufwärts zu seiner Quelle in Tibet folgte („Strom ohne Wasser – Der Gelbe Fluss“, 1. August, 22.30 Uhr). Seine Reise wurde von unwilligen Führern und neugierigen Geheimpolizisten erschwert.

Zwar kämpfte sich das Reporterteam durch, doch am Ende standen alle vor dem Nichts: Die Quelle des rund 5.500 Kilometer langen Flusses ist versiegt, aus den saftigen Weiden des Hochplateaus in der Provinz Qinghai wird eine Wüstenlandschaft. So bunt der Sozialismus in China inzwischen auch ist, Umweltschutz ist hier nach wie vor eine sehr triste Angelegenheit.

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