Gekommen, um zu prügeln: Jung, rechts, gewalttätig
In Berlin stehen vier Neonazis aus Sachsen-Anhalt wegen Körperverletzung vor Gericht.
Die Gewalttat sorgte bundesweit für Bestürzung und steht beispielhaft für die Dynamik der neuen rechtsextremen Jugendgruppen, die vergangenen Sommer zunächst in den sozialen Netzwerken in Erscheinung traten, wenig später erste Mobilisierungserfolge auf der Straße verzeichneten – und inzwischen bundesweit die Sicherheitsbehörden beschäftigen. Man beobachte diese Entwicklung „intensiv“, schreibt etwa das Bundesinnenministerium in einer aktuellen Antwort auf eine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag. Die Gruppierungen hätten sich im Laufe des zurückliegenden Jahres als „Anlaufpunkt für eine neue aktionsorientierte und ideologisch weniger gefestigte Zielgruppe“ etablieren können, heißt es darin weiter.
Posieren mit Reichsfahnen
Eine dieser Gruppierungen ist die „Deutsche Jugend zuerst“, der die vier Angeklagten zugerechnet werden. „Wir fahren auf Demos gegen CSDs und Links“, heißt es auf ihrer Instagram-Seite. Andere nennen sich „Deutsche Jugend Voran“, „Der Störtrupp“ oder „Jung & Stark“, zum Teil handelt es sich um regionale Ableger und Nachahmer. Ihr Auftritt erinnert an die Neonazi-Ästhetik der 1990er Jahre; die Jugendlichen posieren mit Reichsfahnen und formen mit ihren Händen das „White Power“-Zeichen.
Aber in vielen Fällen bleibt es nicht bei der Provokation. Inzwischen ist die Liste der Gewalttaten lang: Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke in Dresden im Mai 2024, Überfall auf Demonstrant*innen am Bahnhof Ostkreuz im Juli in Berlin, Attacken gegen Politiker*innen in Gifhorn, Dresden und Görlitz – und in Berlin im Dezember.
Politisch Andersdenkende
Die Angriffe richten sich gegen politisch Andersdenkende, als „links“, „queer“ oder „nicht deutsch“ identifizierte Menschen. Fast immer sind die Tatverdächtigen sehr jung. Und viele Vorfälle werden gar nicht angezeigt. Beratungsstellen für Betroffene verzeichnen zurzeit Höchststände an Gewalttaten, aber auch an Bedrohungen und Einschüchterungsversuchen, die teils unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen. Hinzu kommen Sticker und Schmierereien, Mobbing an Schulen – und Angriffe auf Jugendklubs und Hausprojekte.
Von der rechten Jugendkultur profitieren unterdessen die zuvor dahinsiechenden Nachwuchsorganisationen der Neonazi-Kleinparteien Die Heimat (ehemals NPD) sowie Der Dritte Weg. Das Bundesinnenministerium stellt einen „merklichen Zulauf“ fest.
Spätestens seit Mitte Februar ein Sprengstoffanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft im südbrandenburgischen Senftenberg wohl nur durch den Hinweis einer Investigativjournalistin verhindert werden konnte, scheinen die Sicherheitsbehörden den Ernst der Lage erkannt zu haben. Im Mai schaltete sich erstmals die Bundesanwaltschaft ein und ging mit Razzien gegen die Gruppe „Letzte Verteidigungswelle“ vor. Der Vorwurf: Terrorismus; das Alter des mutmaßlichen Anführers: 15 Jahre. Auch erste Gerichtsurteile gegen Angehörige der Szene fallen verhältnismäßig hart aus. Bleibt es bei dieser Linie, dürfen sich auch die vier mutmaßlichen Angreifer in Berlin wenig Hoffnung auf eine milde Strafe machen.
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