Geistige Wegbereiter der Nazis: Mönche und Krieger
Die Neue Sachlichkeit steht für ein progressives Menschenbild. Dass sie sich auch rechten Ideologien andiente, analysiert Volker Weiß.
Viele Museen in Deutschland arbeiten derzeit an einer Revision der eigenen Kunstgeschichtsschreibung. Lange galt die Kunst der Klassischen Moderne allgemein als progressiv, sozialkritisch, von den Nazis verfemt und daher auch nach dem Zweiten Weltkrieg als recht unbescholten.
Doch sollte man in der heutigen Kunstvermittlung differenzierter auf die künstlerischen Strömungen der Weimarer Zeit schauen, das zeigt nicht nur der Fall des Expressionisten Emil Nolde. Die Weimarer Avantgarden konnten den Nationalsozialismus vorausgreifen, sich rechten Ideologien andienen, weshalb man sie auch lieber im Plural nennen sollte.
Der Historiker Volker Weiß publiziert vielfach über die politische Rechte und ihre europäische Ideengeschichte. In der Neuen Nationalgalerie Berlin, Mies van der Rohes gläsernem Tempel für die Moderne, analysierte er bei einem Vortrag, wie sich eine rechte Kunsttheorie auch in einer Malerei niederschlagen konnte, die vor allem für ihren sozialen Verismus und ihr progressives Menschenbild bekannt ist: die Neue Sachlichkeit.
Man kennt Christian Schads Porträt der „Sonja“ von 1928. Das Bildnis einer modernen Frau, kurzes Haar mit tief in die Stirn fallender Wasserwelle, die Packung Camel vor ihr auf dem Cafétisch, schaut sie einen direkt an. Schads nüchterner, isolierter Blick auf diese Frau, der sie so selbstbestimmt darstellt, macht die „Sonja“ zu einem viel zitierten Werk für diese Malerei zwischen 1920 und 1940.
Angeblicher Nationalcharakter
Christian Schad wird wenige Jahre nach Anfertigung des Bildes versuchen, sich den Nazis anzubieten. Doch die Formensprache, die er anwendete, diese Reduktion, die Bekennung zum Sachlichen, sie wurde, so führt Weiß aus, bereits im späten 19. Jahrhundert in einem rechtsideologischen Kunstdiskurs aufgegriffen, vom damals äußerst populären Kulturpessimisten Julius Langbehn etwa.
In Abgrenzung zum Pomp des Wilhelminismus habe sich in den Debatten um einen vermeintlich deutschen Nationalcharakter in der Kunst das Motiv einer Ästhetik der Kargheit ausgeprägt, mythisch formuliert: eine „Ästhetik der Mönche und Krieger“. Anfang 1900 brachte dann der völkisch-nationalistische Publizist Arthur Moeller van den Bruck, der 1923 „Das dritte Reich“ veröffentlichen sollte, eine Begeisterung für die Technik in die rechte Kunsttheorie ein, forderte eine neue Schönheit mit aggressiven modernen Formen. „Eine Stahlplatte ist für die Kultur wertvoller als eine Dichtung voller erlesener Subtilitäten“, zitiert Weiß ihn.
In Carl Grossbergs Traumbild „Dampfkessel mit Fledermaus“ von 1928 verschwimmt dann die strenge Darstellung der Maschine mit einem Irrationalismus. Und Franz Radziwill überhöht 1927 die Backsteinarchitektur einer Schleusenanlage bei Petershörn zu einer mittelalterlichen Burganlage. Der Mystizismus und der historische Revisionismus eines Moeller van den Bruck sind auch in diesen Bildern der Neuen Sachlichkeit zu erkennen.
Widersprüche einer Gesellschaft
Die Malerei der Neuen Sachlichkeit, so resümiert Weiß, zeigt aber letztlich die Widersprüche einer Gesellschaft in der Weimarer Republik. Diese spiegelten sich besonders in der Kunst Rudolf Schlichters. Um 1926 fertigte er noch das berühmte Porträt Bert Brechts an: große Nase, der Hemdkragen unkorrekt, in der überformt großen Schriftstellerhand eine Zigarre. Schlichter hatte ihn drauf, den kritischen, beschlagenen Blick der Neuen Sachlichkeit.
Doch vier Jahre später wird er Ernst Jüngers Band „Krieg und Krieger“ nur noch Gewalt verherrlichend mit einem aufragenden Weltkriegspanzer voller Blutschlieren illustrieren. Jüngers Essay „Die totale Mobilmachung“ ist Teil des Bandes. Schlichter war zunächst Kommunist und sollte sich im Laufe der 1920er immer mehr rechts radikalisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind