"Geisterspiel"-Urteil gegen St. Pauli: Auch die Werder-Fans sind sauer
Hartes Urteil des DFB-Sportgerichts wegen eines Becherwurfs: St. Pauli muss gegen Bremen daheim vor leeren Rängen spielen. Der Verein erwägt Einspruch. Werder-Fans fahren trotzdem an die Elbe.
HAMBURG/BREMEN dpa | Fußball-Bundesligist FC St. Pauli muss wegen des Becherwurf-Skandals das nächste Heimspiel gegen Werder Bremen am Ostersamstag ohne Zuschauer austragen. Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes bestätigte am Freitag den Antrag des DFB-Kontrollausschusses. Dieser hatte dem Verein mangelnden Schutz des Schiedsrichter-Assistenten und fortgesetztes unsportliches Verhalten vorgeworfen.
Am Freitag vor einer Woche war das Heimspiel gegen Schalke 04 in der 88. Minute beim Stand von 0:2 nach einem Bierbecherwurf gegen Linienrichter Thorsten Schiffner durch Schiedsrichter Deniz Aytekin abgebrochen worden. Als Werfer konnte inzwischen ein St. Pauli-Fan identifiziert werden. Den 43 Jahre alten Tatverdächtigen erwartet eine Schadenersatzklage des FC St. Pauli.
Der Kiezclub hatte sich vehement gegen das vom DFB-Kontrolausschuss beantragte Strafmaß gewehrt. Seine Vertreter forderten stattdessen eine Geldstrafe, die laut Teammanager Christian Bönig auch "gut dotiert" ausfallen könne.
"Der Verein hat die Verantwortung für alle Zuschauer, trägt an dem Becherwurf aber keine Schuld. Wir verurteilen das, sehen uns aber nicht als Schuldige. Der Täter ist eine Einzelperson, gehört keiner Fangruppe an, ist nicht organisiert somit nicht über intensive Fanarbeit zu erreichen", hatte Bönig gesagt und versicherte, es handele sich um eine Affekthandlung und nichts Geplantes. Bönig wollte stattdessen erreichen, dass eine eventuell verhängte Geldstrafe mehreren gemeinnützigen Projekten zukommen sollte.
Die Hamburger, die auf einem Abstiegsplatz stehen und jede Unterstützung in den restlichen beiden Heimspielen benötigen, sehen die Heimkulisse als unverzichtbar an. "Es wäre bedauerlich, wenn wir in so einem wichtigen Spiel ohne unsere Zuschauer auskommen müssten", sagte Trainer Holger Stanislawski.
Jetzt muss wohl den Zuschauern für das bereits ausverkaufte Spiel im Millerntor-Stadion die Ausgaben erstattet werden. In der Wirtschaftsbilanz des Clubs droht ein Minus von rund einer Million Euro aufzutreten. Allerdings kann der Kiez-Club bis Montag Einspruch einlegen und eine mündliche Verhandlung beantragen - was er auch erwägt, wie St. Paulis Pressesprecher Josip Grbavac auf Anfrage erklärte.
Werder Bremen hält sich mit Stellungnahme zurück
Bremen hat mit großer Zurückhaltung auf das mögliche "Geisterspiel" beim FC St. Pauli reagiert. Der Bundesligaclub wollte das Urteil des DFB-Sportgerichts zunächst nicht bewerten. "Wir geben keine Stellungnahme ab, solange das Urteil nicht rechtskräftig ist", teilte Mediendirektor Tino Polster mit.
Auch die Werder-Fans fühlen sich durch das DFB-Urteil zu Unrecht bestraft. Viele haben bereits Tickets für die Begegnung am Ostersamstag gekauft, wo sie ihre Mannschaft im Abstiegskampf unterstützen wollten. "Wir fahren trotzdem hin", sagte ein Bremer Anhänger, der sich am Freitagvormittag beim Bremer Fan-Projekt auf dem Laufenden hielt.
"Das ist ein Urteil, das ich als sehr schwierig empfinde. Es sind Fans betroffen, die dafür nicht verantwortlich sind", erklärte Thomas Hafke, hauptamtlicher Mitarbeiter beim Bremer Fan-Projekt. "Fußball ist, was im Stadion passiert. Die Fans trifft das hart." Die Einrichtung ist unabhängig vom Bundesligaverein und betreut mit sozialpädagogischen Maßnahmen jugendliche Fußballfans.
Auch die organisierten Bremer Fan-Clubs reagierten kritisch auf die angedrohte Aussperrung der Werder-Fans. Der Fan-Club "Hot Spots" warnte in einem Offenen Brief an den DFB, nicht alles über einen Kamm zu scheren und erinnerte an ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit.
"Nach dem Spiel Hamburger SV gegen Hannover 96 warf der Spieler Paolo Guerrero eine Trinkflasche auf einen Zuschauer. Der Spieler wie auch der HSV erhielten hierfür eine Geldstrafe, Guerrero zudem fünf Spiele Sperre, die er dann als Zuschauer im Stadion verbringen durfte", heißt es in dem Schreiben. Erinnert wurde auch an den Golfball, der Bayern-Keeper Oliver Kahn im Jahr 2000 in Freiburg traf.
"Falls eine Gleichbehandlung bei Fällen von Verstößen Ziel des DFB-Schiedsgerichtes ist, so wurde dies bislang nicht ersichtlich. Vielmehr legt die bisherige Handhabung den Verdacht nahe, dass vor allem die Funktion des Opfers und Täters über das Strafmaß mit entscheidet und nicht die Tat an sich", argumentierte der Fan-Club und stellte die Frage, ob eine Kollektivstrafe das richtige Mittel zur Stärkung der Selbstkontrolle der Zuschauer und Fans ist.
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