Geheimnisse in Zeiten des Oversharings: Weniger teilen, mehr verschweigen

Das 21. Jahrhundert scheint keine Geheimnisse mehr zu kennen. Überall wird alles und immer geteilt. Höchste Zeit, wieder geheimnisvoller zu werden.

Moderatorin Arabella Kiesbauer in den 90er Jahren

Oversharing im vordigitalen Zeitalter: Moderatorin Arabella Kiesbauer in den 90er Jahren Foto: imago

Neulich sprach ich mit jemandem über Geheimnisse und stellte dabei fest, dass ich so gut wie keine Geheimnisse habe. Vielleicht bin ich das, was man im Internet „Oversharer“ nennt. Was heißt vielleicht. Ich weiß es ganz sicher, dass ich ein Oversharer bin.

Aber ich empfinde es irgendwie als befreiend zu wissen, dass es nichts gibt, was mir unangenehm wäre, wenn es rauskäme. Also etwas, womit mich jemand unter Druck setzen könnte.

Ich glaube mein Verständnis von Geheimnissen wurde stark von den Sendungen beeinflusst, die ich früher als Teenager jeden Nachmittag geschaut habe. Gerade Talkshows und Soaps leben von diesen Momenten, in denen das Geheimnis einer Person gelüftet wird. Geheimnisse sind wichtig, dramatisch und auf eine Art cool. So meine damalige simple wie auch logische Schlussfolgerung. Also beschloss ich, geheimnisvoll zu werden.

Ich dachte, Geheimnisse bedeuten gleichzeitig auch Schutz vor der Außenwelt. Niemand kann dir etwas antun, weil niemand genug in der Hand hat, um dich unter Druck zu setzen. Außerdem fand ich geheimnisvolle Menschen so viel spannender und interessanter als mein Oversharing-Ass, der jedem alles sofort erzählen wollte. Nicht zuletzt erhoffte ich mir auch der ewigen Kumpelrolle, in der ich als Teenie (und vielleicht heute auch noch) war, zu entkommen.

Arabella Kiesbauer schauen

Geheimnisvolle Menschen kriegen die heißesten Typen ab, war meine sehr einfache Rechnung. Operation geheimnisvolle Anna war geboren. Ich trainierte einen Blick im Spiegel, den ich für geheimnisvoll hielt. Und überlegte, wie eine geheimnisvolle Garderobe wohl aussieht und wie ich sie mir mit dem Taschengeld einer 15-Jährigen leisten könnte. Ich las die Mädchen, die Bravo Girl und die Jolie und die Joy und die günstigen Variationen der Designerkleidung waren immer noch Mango, Zara und damit für mich zu teuer.

Also versuchte ich meine Kleidung mit wenig Geld cooler und geheimnisvoller zu machen. Ich schnitt meine Hosen auf und experimentierte mit Aufnähern und Sicherheitsnadeln. Aber egal was ich versuchte: Ich wurde nicht geheimnisvoller. Ich versuchte abzunehmen und androgyner zu wirken, weil ich dachte, dass das auch geheimnisvoll bedeutet. Es half nichts.

Meine Hobbys waren schließlich Nutellabrote essen und Arabella Kiesbauer schauen. Und selbst wenn ich abnahm, blieb mein Hintern gleich. Toll, Riesenhintern und dazu auch noch null geheimnisvoll. Jetzt sind große Hintern angesagt, und die, die sich früher über meinen lustig gemacht haben, lassen sich ihren beim Schönheitschirurgen vergrößern.

Alle oversharen auf Twitter, Instagram, Facebook, Clubhouse und im Bus auf dem Handy. Und jetzt will ich wieder geheimnisvoll werden. Nach der nächsten Kolumne.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.