Geheimdienst in Südkorea: Zur Flucht aus Nordkorea gezwungen
Zwölf Kellnerinnen flohen 2016 aus Nordkorea. Jetzt enthüllt ein Ex-Agent Südkoreas, dass es eine Entführung war.
Die Flucht galt als politisch brisant, denn schließlich gehören Angestellte nordkoreanischer Staatsrestaurants im Ausland in der Regel der Elite an. Die meisten Medien deuteten denn auch die Flucht als Indiz, dass selbst unter Angehörigen hochrangiger Parteikader die Loyalität zu Kim Jong Un schwindet.
Heute nimmt die Geschichte nun eine thrillerartige Wendung: „Es war eine Entführung. Ich weiß das, weil ich sie selber ausgeführt habe“, sagte Ex-Restaurantmanager Huh Kang Il kürzlich Südkoreas TV-Sender JTBC.
Eine der Kellnerinnen, sagt anonym und verpixelt im gleichen Beitrag: „Ich möchte nach Hause. Das hier ist nicht das Leben, das ich mir vorgestellt habe.“ Als Beleg der Echtheit der Identitäten verweist der Sender auf die nordkoreanischen Reisepässe.
Wer glaubt schon Nordkorea?
Nordkorea behauptete schon 2016, seine Staatsbürgerinnen seien gegen ihren Willen ins Ausland gebracht worden. Von den meisten Beobachtern inklusive der internationalen Presse wurde dies als unhaltbarer Vorwurf abgetan: Wer wollte schon freiwillig nach Nordkorea zurück?
Dabei gibt es unter den 30.000 Nordkoreanern im Süden jedes Jahr ein Dutzend freiwilliger Rückkehrer. Oft spielen finanzielle Schulden eine Rolle oder der Wunsch, gegen Lebensende noch einmal die Heimat zu betreten.
Ältere Flüchtlinge haben auch Probleme, sich in Südkoreas äußerst kompetitiven Gesellschaft zu integrieren. Statistiken legen nahe, dass die Hälfte der Flüchtlinge unter Depressionen leidet. Oft hatten sie unrealistische Erwartungen an ihr Leben im Süden.
Rückkehrern drohen nicht wie im Süden angenommen grundsätzlich hohe Gefängnisstrafen in Nordkorea. Schließlich bieten sie dem Regime einen hohen Propagandawert.
Flüchtlinge dienen der Propaganda
In Fernsehbeiträgen werden sie gedrängt, „Reue“ zu zeigen und die „Überlegenheit“ des nordkoreanischen Systems zu bezeugen. Doch auch südlich des 38. Breitengrads, der die Koreas trennt, werden die Flüchtlinge oft politisch instrumentalisiert.
Im Fall der Kellnerinnen äußerten vor allem linksgerichtete südkoreanische Zeitungen leise Zweifel an Seouls offizieller Sichtweise.
Viele Fragen blieben schließlich offen: Wieso wurden Menschenrechtsanwälten der Zugang zu den Nordkoreanerinnen verweigert? Weshalb dauerte die gefährliche Flucht von China über Südostasien nur zwei Tage statt wie sonst mehrere Wochen? Wieso machten die Behörden den Fall umgehend öffentlich, wo sonst mit Verweis auf die Sicherheit der Angehörigen in Nordkorea Stillschweigen vereinbart wird?
Vor allem der Zeitpunkt kam verdächtig vor: Nur wenige Tage später fanden in Südkorea Parlamentswahlen statt. Die konservative Partei war intern zerstritten und brauchte einen Erfolg. Früher hatte sie immer die Nordkorea-Karte ausgespielt, um ihre Kernwählerschaft zu mobilisieren.
Laut Restaurantmanager Huh steckte Südkoreas Geheimdienst hinter der erzwungenen Flucht: 2014 heuerte Huh dort als verdeckter Spion an, nachdem Kim Jong Un bei einer Säuberungswelle fünf seiner Ex-Klassenkameraden hingerichtet habe.
Geheimdienst besteht auf „Flucht“ der Kellnerinnen
Zwei Jahre später jedoch drohte Huhs Informantentätigkeit aufzufliegen. Mithilfe seines Kontaktmanns wollte er nach Südkorea fliehen. Der jedoch bestand darauf, dass er sein Personal mitnimmt.
„Er hat mir gedroht, mich an Nordkoreas Botschaft zu verraten“, behauptet der Ex-Spion. Die Kellnerinnen hätten bis zur Einfahrt von Südkoreas Botschaft im malaysischen Kuala Lumpur gedacht, sie würden zu einem neuen Restaurant versetzt.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Südkoreas Geheimdienst politisch manipuliert. Im Wahlkampf 2013 ordnete der Geheimdienstchef an, mit gefälschten Twitter-Profilen die spätere Präsidentin Park Geun Hye zu unterstützen.
Ihr Vater, Park Chung Hee, hatte in den 1960er Jahren den Geheimdienst zum brutalen Überwachungsapparat aufgebaut. Kritiker sagen, der habe sich bis heute nicht ausreichend reformiert.
Ein Deutscher, der in den 1990er Jahren eine parteipolitische Stiftung in Seoul geleitet hat, sagt mit Verweis auf Anonymität: „Wann immer wir von einer Delegationsreise aus dem Norden in den Süden zurückkamen, verfolgten uns Geheimdienstmitarbeiter die nächsten Wochen auf Schritt und Tritt. Teilweise fühlten wir uns stärker überwacht als in Nordkorea“.
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