Gehaltsaffäre in Niedersachsen: Dumm gelaufen, Herr Weil
Die Kritik in der Gehaltsaffäre hat sich der Ministerpräsident redlich verdient – auch wenn die manchmal einen komischen Unterton hat.
K lar, kaum ein Oppositionsredner kam in dieser Landtagsdebatte ohne den Verweis auf die Hannoversche Rathausaffäre aus. Passt ja auch prima ins Bild: Diese Sozis wieder, immer nur damit beschäftigt, den eigenen Genossen möglichst dicke Zulagen zuzuschanzen.
Das Lustige ist: Als Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) nach langem Gezerre um unzulässige Gehaltszulagen seinen Hut nehmen musste, hieß es noch: „Unter Weil wäre so etwas nie passiert.“ Der Vorgänger im Oberbürgermeisteramt, damals schon Ministerpräsident, galt stets als zu klug und zu vorsichtig. Haben ihn auf seine alten Tage die Instinkte verlassen? Wird er arrogant?
Es ist der Opposition natürlich überhaupt nicht zu verdenken, dass sie diese Gehaltsaffäre genüsslich ausschlachtet, die CDU wäre dumm, wenn sie diese Gelegenheit ausließe. Die Verteidigungslinie, man müsse die Attraktivität des Landesdienstes im Auge haben, ist tatsächlich ein bisschen dünne. Vor allem, wenn einem das erst auffällt, sobald es das persönliche Umfeld betrifft. Die SPD regiert immerhin schon ein Weilchen.
Quereinsteiger haben es auch anderswo schwer
Es gibt etliche Bereiche der öffentlichen Verwaltung, die Schwierigkeiten haben Fachleute aufzutreiben, weil die starre Besoldungsordnung ihnen nicht erlaubt, konkurrenzfähige Angebote zu machen – das fasst aber natürlich keiner an. Und auch darüber, ob es eigentlich noch gut und richtig ist, dass man sich im öffentlichen Dienst eine höhere Entgeltstufe schlicht ersitzen kann, könnte man ja vielleicht einmal reden.
Es gibt allerdings in den Debatten, die sich jetzt auf den Seiten der regionalen Medien entspinnen, auch den einen oder anderen unangenehmen Unterton. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung erklärt den lieben Lesern im Sendung-mit-der-Maus-Ton erst einmal, dass so eine Büroleiterin schon etwas anderes als eine Sekretärin ist.
Andere Zeitungen titulieren sie vorzugsweise als „Steuerfachangestellte“, obwohl in ihrem Lebenslauf noch ein paar andere Dinge stehen, ein Master of Law in Steuerrecht zum Beispiel, Tätigkeiten für den Hamburger Senat und eine große Unternehmensberatung, ein Bürgermeisteramt. Aber die Fallhöhe muss natürlich stimmen, Leserbriefschreiber finden dann prompt, dass so eine 33-Jährige ja auch echt nicht 8.000 Euro verdienen muss. Nun ja.
Es gäbe interessantere Dinge zu untersuchen
Wirklich interessant könnte es werden, wenn sowohl die SPD als auch die CDU eine Drohung wahr machen würde, mit der sie sich im Eifer des parlamentarischen Gefechts heute gegenseitig beharkten: nämlich die Beförderungspraxis der verschiedenen schwarz oder rot geführten Ministerien insgesamt unter die Lupe zu nehmen. Aber so weit wird es wohl nicht kommen.
Und wie viel Neues kann dieser Untersuchungsausschuss nun tatsächlich noch zu Tage fördern? Dass es ausreichen wird, um den Ministerpräsidenten zu Fall zu bringen, scheint im Moment nicht einmal die Opposition zu glauben. Aber vielleicht gelingt es ihr ja immerhin, ein deutliches Stopp-Zeichen zu setzen. Dann gibt es künftig vielleicht ein paar Beförderungen nach Gutsherrenart weniger.
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