"Gegengerade"-Produzentin Stephanie Blum: "Ich hasse Schubladen"
Vormittags büffelt sie Jura, nachmittags telefoniert sie mit Filmfestivals. Die Produzentin Stephanie M. Blum liebt Kontraste. In ihrem St. Pauli-Film "Gegengerade" treffen die unterschiedlichsten Charaktere aufeinander.
taz: Frau Blum, Sie haben den Film "Gegengerade" mitproduziert, der demnächst in den Kinos anläuft. Musste der FC St. Pauli erst 100 werden, damit der Verein zum Schauplatz eines Spielfilms wird?
Stephanie M. Blum: Ehrlich gesagt, habe ich mich das auch gefragt. Es gibt schon viele Dokumentarfilme über den Verein, aber fiktiv hat sich noch niemand daran gewagt. Aber wir dachten, man muss sich einfach mal trauen. Das Jubiläum hat natürlich gut gepasst, aber wir hätten den Film auch zu einem anderen Zeitpunkt gemacht. Wir wollten das auf jeden Fall.
Wer ist "wir"?
Tarek Ehlail und ich. Er hatte die Idee, sein Vorschlag lag vergangenen Herbst bei mir auf dem Tisch und mir war sofort klar: Das will ich machen! Und dann haben wir das in einem Jahr durchgerockt - ziemlich unkonventionell.
Inwiefern?
Jede andere Produktionsfirma hätte gesagt: "Einen solchen Film in so kurzer Zeit? Ihr seid ja irre!" Und das sind Tarek und ich beide auch ein Stück weit. Aber es motiviert einen noch einmal ganz anders, wenn einen etwas persönlich betrifft. Ich bin nämlich selbst seit einigen Jahren Pauli-Fan. Wir haben wirklich viel gearbeitet, aber es hat auch immer großen Spaß gemacht.
Was stand bei der Arbeit im Vordergrund?
Vor allem der zwölfte Mann. Die 90 Minuten Fußballspiel - übrigens auch die Filmlänge - sind nur der dramaturgische Rahmen für die Geschichten der Fancharaktere, die in Rückblenden erzählt werden.
Stephanie M. Blum
29, Produzentin aus Hamburg. Gründete kurz nach ihrem Abschluss auf der Filmhochschule ihre eigene Produktionsfirma, Triple Beat, und macht gerade ihr zweites Staatsexamen in Jura.
Ihre erste eigene (Co-)Produktion, der St.-Pauli-Spielfilm "Gegengerade", ist in dieser Woche beim Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken gezeigt worden. In die Kinos kommt er voraussichtlich im März, auch in Hamburg wird es eine große Premiere geben.
Wahre Geschichten?
Nein, die verschiedenen Handlungsstränge sind fiktiv und die Fancharaktere werden von Schauspielern wie Mario Adorf und Fabian Busch gespielt. Es gibt im Film aber ganz viele Dinge, die an die wirkliche St.-Pauli-Fankultur angelehnt sind.
Zum Beispiel?
Das "Jolly Roger", das auch in Wirklichkeit eine Fankneipe ist, der Soundtrack von Audiolith Records, ein bekanntes Hamburger Independent-Label, oder auch die Band Slime - beide in der Szene sehr bekannt. Außerdem haben wir auch bei St.-Pauli-Spielen gedreht.
Und was ist mit den echten Fans?
Die waren uns sehr wichtig, auch um den Film authentischer zu machen. Deswegen haben wir einen Aufruf gestartet und Fans getroffen. Jeder, der Lust hatte, konnte als Komparse mitmachen. Da gab es keine Gesichtskontrolle oder so einen Blödsinn.
Um die hundert Fans, einige von ihnen sind schon seit 30 Jahren dabei, sind nun auch im Film zu sehen. Sie haben sehr viel Einsatz gezeigt. Manche sind sogar jeden Tag ans Set gekommen.
Klingt harmonisch. Gab es nicht auch kritische Stimmen?
Ja. Einige fanden es falsch, dass es ein fiktiver Film mit Schauspielern ist und empfanden das als zu kommerziell.
Was sagen Sie dazu?
Einerseits habe ich Verständnis dafür, dass Fans Angst vor Verfälschung haben und gerade dem Thema Kommerzialisierung stehe ich auch sehr kritisch gegenüber. Aber andererseits sollte man auch genau hingucken und mit den Beteiligten sprechen. Dann wüssten sie auch, dass wir selber Fans sind und keine Leute, die das Stadion noch nie von innen gesehen haben.
Mit dem Film wollen wir möglichst viele erreichen, um dem Thema St. Pauli auch als Stadtteil mehr Präsenz zu geben. Auch das für Hamburg wichtige Thema Gentrifizierung spielt in dem Film eine wesentliche Rolle. Und wenn manche Leute eher durch jemand Prominentes erreicht werden, finde ich das völlig in Ordnung.
Ich hoffe sehr, dass auch die kritischen Leute sich den Film angucken und danach anders gestimmt sind, weil sie Dinge wiedererkennen, sich damit identifizieren können und sehen, dass es uns darum ging, eine Momentaufnahme von St. Pauli zu zeigen.
Was ist für Sie das Besondere am FC St. Pauli?
Man muss ein bisschen aufpassen, weil ich nicht für jeden sprechen kann und das will ich auch nicht. Aber ich finde St. Pauli ist nicht nur ein Verein. Es ist auch ein Lebensgefühl, das die Fans, die sehr unterschiedlich sind und meiner Meinung nach auch sein sollten, verbindet. St. Pauli war beispielsweise einer der ersten Vereine, der sich offen und massiv gegen rechte Fankultur gestellt hat.
Außerdem positioniert er sich auch klar gegen Homophobie und Sexismus. Ich finde es gut, dass das so deutlich gemacht wird. St.-Pauli-Fan zu sein, bedeutet nicht nur im Stadion zu stehen, sondern diese Werte auch mit ins Privatleben zu nehmen.
Hat sich die Fankultur verändert?
Ich bin selbst nicht in einer St.-Pauli-Windel geboren und noch nicht lange genug Fan, um das beurteilen zu können. Aber ich glaube schon, dass sich einiges verändert hat. Es gibt viele Leute, die auf dieses "St.-Pauli-Ding" aufspringen und sich einen Totenkopfpullover anziehen - aber noch nie im Stadion waren.
Das finde ich nicht so prickelnd. Auf der anderen Seite finde ich es auch in Ordnung, wenn Leute es nicht immer zum Spiel schaffen und trotzdem einen St.-Pauli-Pulli tragen. Solange sie auch die Philosophie leben, die dahinter steht.
Es gibt also gar keinen typischen St.-Pauli-Fan?
Nein. Ich finde es nicht gut Menschen zu kategorisieren. Ich hasse Schubladen. Vielleicht bin ich selbst ein gutes Beispiel dafür: Ich habe in den letzten Monaten immer den halben Tag in der Staatsanwaltschaft gearbeitet und den anderen halben Tag für "Gegengerade" mit Leuten telefoniert.
Können Sie da so einfach umschalten?
Ja, ich brauche diese Kombination von intensivem Denken und Argumentieren bei den Jura-Fällen und dem Organisieren und Ideenentwickeln als Produzentin geradezu. Langfristig möchte ich aber Filme machen. Staatsanwältin werde ich garantiert nicht.
Warum nicht?
Natürlich sind die Erfahrungen, die ich jetzt bei meinem Jura-Referendariat mache, spannend, sonst hätte ich mich auch nicht bewusst dafür entschieden. Aber als Juristin müsste ich mich immer mit Leuten auseinandersetzen, die sich streiten. Auch das ständige am Schreibtisch sitzen ist auf Dauer nicht, was ich will. Beim Film hingegen kann ich Geschichten erzählen und einfach mal durchdrehen.
Ich kann auch mal Fünfe gerade sein lassen, das wäre bei Jura ganz schlecht. Ich glaube da habe ich Glück, dass ich einen Beruf gefunden habe, der mir wirklich Spaß macht. Denn der Spaß steht bei meiner Arbeit schon sehr im Vordergrund.
Wie kam es überhaupt zu dieser Kombination?
Weil man als Produzent täglich mit Jura zu tun hat. Man macht quasi für jeden Film eine kleine Firma auf, in der zahlreiche Angestellte arbeiten und sehr viele Verträge gemacht werden müssen. Ich habe mich entschlossen, Jura zu studieren, um besser auf diesem Gebiet Bescheid zu wissen und um unabhängiger zu sein.
Ist Ihnen Unabhängigkeit wichtig?
Sehr wichtig. Ich kann sehr gut damit umgehen, wenn mir Leute sagen, was ich zu tun und zu lassen habe, aber das muss begründet sein. Aber ich mag es nicht, wenn Leute keine Argumente haben und ihr Ding trotzdem einfach so durchsetzen. Deswegen habe ich lieber meine eigene Produktionsfirma Triple Beat gegründet.
Und worauf kommt es Ihnen bei Ihren Produktionen an?
Ich möchte die Leinwand nutzen, um Bewusstsein zu schaffen und mal näher hinzusehen. Denn es gibt viel zu viele Vorurteile und die meisten Menschen sehen irgendjemanden und denken sie wissen Bescheid. Aber ich möchte zeigen, was wirklich dahinter steckt.
Gibt es schon einen neuen Stoff?
Also ich arbeite gerade an einem Projekt mit jemanden, aber das ist noch geheim. Außerdem dauert so eine Projektentwicklung ja normalerweise auch einige Jahre. Ich hoffe jetzt erst mal, dass ich mein zweites Staatsexamen bestehe und das neue Projekt danach drehfertig ist.
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