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Geflüchtete in UngarnBerichte von Misshandlungen

Schläge und Glasscherben: Flüchtlinge in Auffanglagern berichten von Misshandlungen durch Polizei und Sicherheitskräfte.

Die Zustände in Röszke sind auch ohne Schläge schon untragbar. Foto: ap

Röszke/Wien taz |„Ich habe dem Vater eine Ohrfeige verpasst, dann dem Sohn, und dann war wieder Ruhe.“ Solche Sprüche hört man von ungarischen Polizisten, die im Erstaufnahmelager von Röszke, nahe der ungarisch-serbischen Grenze eingesetzt sind.

Die Polizisten wirken überfordert, wenn sie sich um zu viele Flüchtlingen kümmern müssen. Das Lager ist schlecht organisiert, alles ist dreckig, der Regen tut ein übriges. Einige Dolmetscher und freiwillige Helfer bestätigen, dass Flüchtlinge von Polizisten geschlagen wurden.

Polizeigewalt gegen Flüchtlinge in den Lagern ist nicht die Regel. Aber manche Übergriffe lassen sich nicht mit Übermüdung oder Stress erklären. So berichtet ein Sanitäter, der im österreichischen Nickelsdorf im Einsatz war, er habe mehreren Flüchtlingen Glassplitter aus den Fußsohlen operiert.

Die ungarische Polizei, so die übereinstimmende Auskunft der Verletzten, habe sie barfuß über Scherben laufen lassen. In der Zentrale des Roten Kreuzes in Wien kann man zwar diese Vorfälle noch nicht bestätigen, doch seien bei mehreren Flüchtlingen Hämatome gefunden worden, die auf Misshandlungen schließen lassen.

Kein Zutritt für Presse

Zu den Flüchtlingslagern in Bicske, Debrecen oder Vámosszabadi haben Sozialhelfer und Freiwillige genauso wenig Zutritt wie zum Erstaufnahmelager Röszke. Das Innenministerium hat auch Journalisten den Zugang untersagt. Manche Helfer zeigen Verständnis für überforderte Polizisten, die ohne spezielle Ausbildung mit Asylbewerbern aus Syrien oder Afghanistan konfrontiert werden.

Die freiwillige Helferin Michaela Spritzendorfer-Ehrenhauser aus Wien konnte in Röszke heimlich ein Video drehen. Es zeigt eine offensichtlich völlig desorganisierte Essensausgabe. Plastiksäckchen mit Nahrungsmitteln werden in die Menge geworfen. Die Menschen drängen dort hin, wo die Polizisten stehen. Sie strecken die Hände in die Luft, um mit etwas Glück ein Sandwich aufzufangen. Bemerkenswert ist aber, dass die Flüchtlinge trotz der chaotischen Essensausgabe friedlich bleiben.

Balázs Szalai hat im Juni mit einer Gruppe von Freunden in der Stadt Szeged die Freiwilligenorganisation MigSzol (Solidarität mit Migranten) gegründet, weil die Behörden untätig waren. Er hat beobachtet, wie sich das Verhältnis zwischen Flüchtlingen und Polizisten von Tag zu Tag verschlechtert. Er fürchtet, dass die Polizisten ihre Selbstbeherrschung verlieren oder den Flüchtlingen der Geduldsfaden reißt.

Noch größer sei das Problem dort, wo nicht Polizisten, sondern private Sicherheitsleute die Flüchtlinge bewachen. Flüchtlinge im Lager Nagyfa hätten sich wiederholt beschwert, sie seien mit Schlagstöcken oder Elektroschockern malträtiert worden.

Orban bereitet Notstand vor

Premier Viktor Orbán liebäugelt derweil mit der Ausrufung des Notstands. An der Grenze zu Serbien waren am Freitag dort, wo der Grenzzaun wegen der Eisenbahntrasse unterbrochen ist, bereits Soldaten mit Gewehren bei einer Geländebegehung zu beobachten.

Nach einem Treffen mit dem EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber am Freitag in Budapest richtete Orbán eine deutliche Warnung an die Flüchtlinge: „Wir werden sie nicht mehr höflich begleiten, wie bisher.“ Orbán und sein Gast waren sich einig, dass die EU ihre Außengrenze schützen müsse.

Ungarns Kabinett will am Dienstag entscheiden, ob der Krisenfall ausgerufen wird. Damit würde der Militäreinsatz zum Grenzschutz ermöglicht. Am 21. September debattiert das Parlament, ob die Armee auch ohne Krisenfall oder Notstand zum Grenzschutz herangezogen werden darf.

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4 Kommentare

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  • REICHTUM MACHT BLIND

     

    Auf dem wirtschaftlich verarmten Ungarn herumzuhacken weil die nicht so gut organisiert sind wie wir deutschen Organisationsweltmeister ist schon schäbig genug. Deutschland ist ein vor Reichtum stinkendes Land. In Ungarn verdient eine Vollzeitkraft im Durchschnitt 733 Euro, die Sozialhilfe beträgt 93 Euro. Das Land kann den Flüchtlingsstrom einfach nicht verkraften, genau so wenig wie Mazedonien, Griechenland oder Serbien. In allen diesen Staaten gleichen sich die Bilder und es ist bestimmt kein ungarisches Phänomen. Deutschland soll diesen Staaten finanziell helfen und die Flüchtlingshilfe selbst organisieren. Wer hindert das deutsche Rote Kreuz oder das Technische Hilfswerk Flüchtlingslager in Ungarn zu unterhalten?

    • 7G
      70023 (Profil gelöscht)
      @Helmut Janschke:

      Was Sie da erzählen stimme ich Ihnen zu aber auf der anderen Seite verharmlosen Sie die ungarische Faschismus und Islamphobie. Das kauft Ihnen niemand ab. Man kann trotzt Armut menschlich und freundlich sein. Sie versuchen alles mit Armut zu erklären. Das hört sich wie ein Ausrede.

      • @70023 (Profil gelöscht):

        Ausreden? Sie haben wohl noch keine Bilder aus griechischen Flüchtlingslagern gesehen, oder? Oder aus Lampedusa? Den Flüchtlingen geht es in Griechenland, Italien, Serbien und Kroatien genauso beschissen und werden genauso beschissen behandelt wie in Ungarn. Das war und ist kein ungarisches Phänomen. Unsere selbstherrliche deutsche Art geht mir sowas auf den Wecker. Orban ist zwar ein Riesenar... und wahrscheinlich auch ein Nationalistendepperl, aber das sind 50 % der deutschen Politiker auch. Oder wer wählt denn die CSU? Etwa Ungarn? Sie sollten lieber etwas gegen PEGIDA (garantiert deutsch) tun und nicht gegen ein armes Land hetzen. Die haben ihre eigenen Sorgen die schon groß genug sind.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Wie wurde Orban heute zitiert: "Juncker sei dabei, den europäischen Konsens zu zerstampfen“. Wir sehen hier den Preis, den wir dafür zu zahlen haben, dass man gegenüber Griechenland (Schuldenkrise) und Italien (Mare nostrum) die europäische Idee und ihren Wertehorizont mit Füßen getreten hat. Europa zerdriftet. Renzi hat angesichts der dankenswerten Initiative einiger europäischer Pressehäuser die Hand einmal mehr ausgestreckt. Es gibt eine ausgesprochene Alternative zu Osteuropa und Deutschland trägt die historische Verantwortung, diese nicht auszuschlagen. Es ist ein Skandal, der schon seit Monaten währt. Hier hätten sich Gabriel und die SPD einmal wahrlich hervortun können, wo doch ihr größtes Personendenkmal ohne Fluchthelfer nie eines geworden wäre.