Geflüchtete aus der Ukraine: Jedes Bett zählt
In Norddeutschland bereiten sich Länder und private Haushalte auf Schutzsuchende aus der Ukraine vor. Die Unterkünfte könnten dennoch knapp werden.
Es ist noch nicht absehbar, wie viele Geflüchtete in den kommenden Tagen und Wochen in Norddeutschland Zuflucht suchen werden. Wenige Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine befinden sich am Montag über 500.000 Menschen auf der Flucht. Ein Großteil von ihnen ist auf dem Weg in die EU. Die UN rechnen insgesamt mit zwei bis vier Millionen Flüchtenden, die EU sogar mit bis zu sieben Millionen.
Die EU-Staaten wollen allen kriegsvertriebenen Ukrainier:innen ohne Asylverfahren vereinfacht Schutz garantieren. Um genügend Unterkünfte zur Verfügung stellen zu können, haben die Landesregierungen von Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein angekündigt, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Alle Bundesländer betonen, dass ukrainischen Staatsangehörigen ausnahmslos Schutz geboten werde.
In Hamburg wurde ein Krisenstab gegründet, bestehend aus Mitarbeiter:innen der Behörden und Bezirksämter, der Polizei, Bundeswehr und weiteren Akteuren. Er soll die Situation beobachten und sich darum kümmern, dass ausreichend Wohnraum für die Erstaufnahme von Kriegsvertriebenen aus der Ukraine zur Verfügung steht.
Eine Unterbringung von Geflüchteten in Baumärkten wie 2015 sei vorerst nicht geplant, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) bei einer Pressekonferenz am Freitag. Das Unterkunftssystem sei mit rund 30.000 Plätzen deutlich besser ausgebaut als vor sieben Jahren. Mit dem bestehenden System könne Hamburg schnell bis zu 3.000 Menschen unterbringen, so ein Pressesprecher des Innensenators auf taz-Anfrage. Mit neuen Standorten könnten nach und nach auch noch mehr Menschen bedarfsgerecht untergebracht werden. Intern werde bereits mit 7.000 Geflüchteten gerechnet.
„Maßnahmen der Verdichtung“
Auch Schleswig-Holstein möchte einen interministeriellen Leitungsstab einrichten. Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) versicherte: „Kein ukrainischer Staatsbürger und keine ukrainische Staatsbürgerin, die sich heute in Schleswig-Holstein aufhalten, muss wegen eines abgelaufenen Visums zurück in die Ukraine.“ Auf eine Fluchtbewegung bereite man sich bereits vor.
Zusätzlich zu den aktuell knapp 800 freien Plätzen in den vier Landesunterkünften wolle man Strukturen vorbereiten, um „je nach Lage das Notwendige zur Verfügung stellen zu können“. Die Anzahl der Betten in den zu zwei Dritteln belegten Landesunterkünften ließe sich durch „Maßnahmen der Verdichtung“ erhöhen, also zum Beispiel der Zusammenlegung von Geflüchteten in Mehrbettzimmern. Mögliche weitere Reserven werden noch geprüft. Konkrete Zahlen kann das Innenministerium auf taz-Anfrage aktuell nicht nennen.
Niedersachsen meldete der taz am Montag 1.500 freie Plätze. Man habe Möglichkeiten, die Kapazität für mehr Geflüchtete je nach Bedarf zu erhöhen. Auch Niedersachsen hat einen Krisenstab „Ukraine“ eingerichtet.
In Bremen sind von den 5.400 Plätzen für Geflüchtete nur etwa fünf bis zehn Prozent frei. „Bis die Menschen über einen Aufenthaltsstatus verfügen, der ihnen das Anmieten einer Wohnung ermöglicht, bringen wir sie in einer Gemeinschaftsunterkunft unter und/oder in einem Übergangswohnheim, wenn eine Wohnung nicht unmittelbar verfügbar ist“, teilt das Referat von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) auf taz-Anfrage mit. Eine Anmietung neuer Unterkünfte ist in Planung, um die Kapazitäten zu erweitern. Dafür stehe die Stadt mit Investor:innen, Wohnungseigentümer:innen und Hotelbetreiber:innen in Kontakt.
5.000 private Betten als Erstunterkunft in Hamburg
Viele Menschen zeigen sich auch bereit, privat zu helfen und geflüchtete Ukrainer:innen übergangsweise aufzunehmen. Die Plattform elinor.network vermittelt private Zimmer oder Wohnungen an Geflüchtete. Bis Montagmorgen meldeten Freiwillige allein in Hamburg 5.000 Betten als Erstunterkunft, erzählt Lukas Kunert, Initiator der Plattform – mehr als die Stadt selbst bereithält.
Wie groß der Bedarf an Wohnraum, psychologischer Betreuung und weiteren grundlegenden Versorgungsleistungen in Norddeutschland letztendlich sein wird, hängt auch davon ab, ob die EU die „Massenzustrom-Richtlinie“ aktiviert. Damit würde den Geflüchteten nicht nur vorübergehend Schutz und Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt, sondern auch ein Verteilungsschlüssel in alle EU-Staaten festgelegt.
Rechnet man mit einer Verteilung nach Bevölkerungsschlüssel und sieben Millionen Geflüchteten in den kommenden Wochen, würde in Norddeutschland eine Kapazität für rund 200.000 Menschen benötigt. Das ist weit mehr, als die Länder aktuell bereitstellen.
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