piwik no script img

Gefängnisstrafe nach AbschiebungSchluss mit Auslieferungen in den Knast​

Neun Oppositionelle werden nach Tadschikistan und Aserbaidschan abgeschoben und landen gleich im Knast. Ein SPD-Politiker will das künftig verhindern.

Dortmund, 10. Dezember 2024: Mahnwache für die Freilassung von A. Shamsiddin und Dilmurod Ergashev Foto: Cornelia Suhan

Bochum taz | Mehrere tadschikische und aserbaidschanische Regimegegner landeten gleich nach ihrer Abschiebung aus Deutschland im Gefängnis. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe will das so nicht hinnehmen. Mit einer „Veto-Ebene“ möchte der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit solche Deportationen ins Gefängnis künftig verhindern. „Wenn politisch verfolgte Oppositionelle etwa nach Aserbaidschan oder Tadschikistan abgeschoben werden, reiben sich die dortigen Machthaber Ilham Alijew und Emomalij Rahmon und ihre Geheimdienste die Hände“, kritisiert Schwabe.

Erst Anfang November war der tadschikische Regimegegner Dilmurod Ergashev, Mitglied der in dem Land verbotenen „Gruppe 24“, von der deutschen Bundespolizei an die Behörden in Duschanbe übergeben worden. Seitdem fehlt von dem 40-Jährigen jede Spur. „Wir wissen nicht, wo er ist, haben kein Lebenszeichen von ihm“, sagt ein in Deutschland lebender Bekannter Ergashevs, der seinen Namen aus Angst vor Repressionen nicht in der Zeitung lesen will. Um Oppositionelle unter Druck zu setzen, geht die tadschikische Regierung auch gezielt gegen Verwandte vor.

Klar ist dagegen das Schicksal der 2023 abgeschobenen Dissidenten Abdullohi Shamsiddin und Bilol Qurbonaliev: In kurzen Schauprozessen wurden sie unter dem fingierten Vorwurf, kriminelle Vereinigungen bilden und die verfassungsmäßige Ordnung stürzen zu wollen, zu 7 und 10 Jahren Haft verurteilt. Der von Deutschland über Polen abgeschobene Oppositionelle Farrukh Ikromov wurde gar mit 23 Jahren Haft bestraft, was angesichts der Zustände im tadschikischen Gefängnissen einem Todesurteil gleichkommen könnte. Wie Ergashev und Qurbonaliev hatte auch er im September 2023 bei einem Besuch des tadschikischen Präsidenten Rahmon in Berlin gegen dessen Regierung demonstriert.

„Die Teilnahme an einer Mahnwache gegen das Regime bedeutet 10 Jahre Haft“, sagt Cornelia Suhan. Die Dortmunder Fotografin ist Teil eines Unterstützer:innen-Netzwerks und hat Dilmurod Ergashev wie Abdullohi Shamsiddin im Abschiebeknast im nordrhein-westfälischen Büren besucht. „Psychisch und körperlich völlig entkräftet“ habe besonders Ergashev schon in Deutschland auf sie gewirkt, sagt Suhan: „Beide wussten, was sie erwartet: Knast und Folter.“

Dazu komme Druck auf Verwandte: So werde Shamsiddin offenbar dazu gezwungen, am Telefon auf seine Frau Sumaya einzureden, freiwillig nach Tadschikistan zurückzukehren. Die Mutter von zwei kleinen Kindern ist die Nichte des Vorsitzenden der verbotenen Partei der Islamischen Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT), Muhiddin Kabiri. Auch der wird vom Regime verfolgt. „Wenn die Sumaya haben, haben sie Kabiri“, sagt Suhan.

Von „transnationaler Repression“ spricht deshalb auch Hugh Williamson von Human Rights Watch: Friedliche Proteste in Deutschland führten zu langjährigen Haftstrafen in Tadschikistan. Jetzt müsse sich die Bundesregierung für eine Freilassung der Oppositionellen starkmachen – und untersuchen, warum deren Abschiebungen direkt in die Hände des Regimes überhaupt möglich waren, fordert die Menschenrechtsorganisation.

Denn offenbar haben deutsche und tadschikische Behörden bei den Abschiebungen eng zusammengearbeitet. Sowohl Ergashev wie Shamsiddin seien in die Zentrale Ausländerbehörde Essen vorgeladen worden, wo mit Hilfe tadschikischer Offizieller ihre Identität festgestellt und die nötigen Reisepapiere ausgestellt wurden, erklärt Sebastian Rose von der Initiative Abschiebungsreporting NRW. „Konkret bedeutet das: Die tadschikischen Behörden können sich quasi aussuchen, welche verfolgten Oppositionellen ausgeliefert werden“, kritisiert Rose. „Die deutschen Behörden verstehen das nicht und rollen ihnen dabei unwissentlich den roten Teppich aus“, klagt auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Schwabe.

Das betrifft auch nicht nur Tadschikistan: Schwabes Büro nennt mit Mutallim Orujev, Malik Rzayev, Punkhan Karimli, Jafar Mirzoyev und Samir Ashurov allein fünf Namen von Oppositionellen aus Aserbaidschan, die aus Deutschland abgeschoben wurden. Sie alle wurden zwischen 2022 und 2023 zu Haftstrafen zwischen sechs und sieben Jahren verurteilt. „Ich finde unser Asylsystem grundsätzlich sehr funktionsfähig“, sagt Schwabe, der in Aserbaidschan als unerwünschte Person gilt und deshalb Einreiseverbot hat. „Doch leider gibt es eben auch Fälle, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge definitiv falsch entscheidet.“

Abschiebungen nachweislich verfolgter Oppositioneller verstießen gegen Deutschlands politische Werte und Interessen, findet der Sozialdemokrat. Die Bundesregierung brauche deshalb dringend eine „Veto-Ebene, die solche Abschiebungen verhindern kann“, fordert er. Die könne etwa mit je einem Staatssekretär aus dem Außen- und aus dem Innenministerium besetzt sein, die dann Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, korrigieren solle, schlägt der Bundestagsabgeordnete vor. Er wirbt um fraktionsübergreifende Unterstützung: „Es geht nicht darum, das Asylrecht in großen Stil auszuhebeln – wir sprechen über vielleicht 10 bis 20 Fälle im Jahr.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Es ist ein Trauerspiel, totaler Kontrollverlust. Die, für die das Asylrecht ursprünglich gedacht war, politisch engagierte Leute, die für ihr Engagement verfolgt werden, schieben wir ab. Wir schieben Leute aus Mangelberufen ab. Die Kriminellen nur in homöopathischen Dosen zu Seehofers Geburtstag.

  • Der Traum eines jeden progressiven Politikers: Im Parlament werden die Gesetze erlassen, dann wird die Polizei losgeschickt ( Notfalls auch unterhalb der Strafbarkeit ) und anschließend werden Urteile / Bescheide per Veto ganz einfach im eigenen Sinne revidiert. Für einige Politiker muss die Gewaltenteilung wirklich eine schwere Last sein…..

  • Ich weiß, es ist heute extrem schwer, sich für Asylbewerber einzusetzen. Deshalb mein besonderer Dank an Frank Schwabe, es doch zu tun. Auch ich meine, die Fälle sollten hier genauer untersucht werden und die Verantwortlichen evtl. bestraft werden. Die Sache mit der "Veto-Ebene" ist gut.

  • Was ist das wieder für ein Unsinn? Politisch Verfolgte genießen Asyl.



    Da kommen im Jahr 240000 Leute, teils ohne Papiere in's Land, behaupten, sie wären politisch verfolgt, es stellt sich nach langer Prüfung heraus, dass sie es nicht sindund sie dürfen dennoch bleiben, weil sie ja keine Papiere haben oder weil irgendwas anderes ist. Und die echten politisch verfolgten, die werden abgeschoben und prompt von ihren Heimatländern in den Knast gesteckt. Wie irre ist das denn?

  • Das frage ich mich auch, warum waren die Abschiebungen überhaupt möglich - politische Verfolgung ist doch ein eindeutiger Asylgrund.

    • @Ciro:

      Wenn bei der Abschiebung mit den Ländern, aus denen die Leute kommen, Zusammenarbeit ganz groß geschrieben wird, dann erhalten diese Länder Gelegenheit zu behaupten, dass da überhaupt keine politische Verfolgung vorliegt, sondern dass es sich stattdessen um einfache Kriminelle handelt.



      Deren Auslieferung wäre dann ja sogar im Sinne des Gesetzes.



      Als Regierung muss man eben genauer schauen, mit welchen Ländern man auf diese Weise zusammenarbeitet. Und ob man nicht lieber selbst eine juristische Bewertung der Vorwürfe vornehmen möchte. Letztere bleibt aufgrund fehlender Zuständigkeit aber aus.



      eine Auslieferung erfolgt nicht aufgrund rechtsstaatlicher Verurteilung, sondern aufgrund von Behördenentscheidungen.

    • @Ciro:

      Weil den Menschen nicht geglaubt wurde, dass sie verfolgt werden.

      Bei so gravierenden Fehlern müsste es eine genauere Untersuchung geben.

      Wer war zuständig, welche Informationen waren bekannt, usw.

      Bei nachweisbarer grober Fahrlässigkeit sollten Sachbearbeiter:innen auch rechtliche Konsequenzen fürchten müssen.