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Gefängnisskandal in Augsburg„Keine Matratze, splitterfasernackt am Boden“​

​In einem Augsburger Gefängnis sollen Häftlinge über Jahre misshandelt worden sein. Im Zentrum der Vorwürfe steht die stellvertretende JVA-Leiterin.

Der Augsburger Gefängnisskandal beschäftigt mittlerweile auch die bayerische Politik Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

München taz | Noch ist vieles unklar – und natürlich: Es gilt die Unschuldsvermutung. Doch wenn auch nur ein Teil der Vorwürfe stimmen sollte, dann müssen in der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen über Jahre furchtbare Zustände geherrscht haben. Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat gegen mehrere Angestellte der JVA Ermittlungen aufgenommen.

Die heftigsten Vorwürfe: Immer wieder sollen Gefangene regelwidrig in „besonders gesicherten Hafträumen“ (BgHs) untergebracht worden sein. Die Räume sollen dazu dienen, Häftlinge bei Gewaltausbrüchen oder akuter Suizidgefahr für eine kurze Zeit aus dem Verkehr zu ziehen, also als eine Art Ausnüchterungszelle. In Augsburg sollen sie jedoch eher als Folterkammer benutzt worden sein.

So seien die Räume komplett leer gewesen. Die vorgeschriebene Matratze habe gefehlt. Auch hätten die Gefangenen noch nicht einmal eine Papierunterhose bekommen, sondern seien nackt in den Raum gesperrt worden, wo sie auf dem Betonfußboden hätten kauern müssen.

Auch seien die Häftlinge dort nicht nur für wenige Stunden, sondern teils tagelang eingesperrt worden – auch, ohne dass überhaupt irgendwelche Voraussetzungen für die „besondere Sicherung“ vorgelegen hätten. Manche der Männer seien daraufhin mit voller Wucht mit dem Kopf gegen die Zellenwand gerannt. Andere sollen von JVA-Bediensteten körperlich misshandelt worden sein.

Im Wartezimmer zusammengeschlagen

Im Zentrum der Vorwürfe steht die stellvertretende Leiterin der Anstalt, die ein sehr raues Regiment in der JVA geführt haben soll. Ein Seelsorger der JVA sagte dem Bayerischen Rundfunk allerdings auch, dass die Stellvertreterin zwar das Tagesgeschäft geführt, sich aber auch eng mit ihrer Vorgesetzten abgestimmt habe. Als er sich einmal hilfesuchend an die eigentliche JVA-Leiterin gewandt habe, habe diese ihm nur mitgeteilt, dass sie hinter ihrer Stellvertreterin stehe.

Was den Vorwürfen besonders großes Gewicht verleiht: Sie kommen von den unterschiedlichsten Seiten: ehemaligen Angestellten und Häftlingen, einer früheren Gefängnisärztin, dem Seelsorger. Eine Augsburger Rechtsanwältin hat nun im Namen eines Häftlings Anzeige erstattet.

Über die Erfahrungen des Mandanten in der JVA sagte sie dem Bayerischen Rundfunk: „Loch im Boden, wo er seine Geschäfte verrichten muss. Keine Matratze, splitterfasernackt am Boden.“ Die ehemalige Gefängnisärztin berichtete dem Sender, soweit sie es mitbekommen habe, hätten 80 Prozent der Häftlinge in den besonders gesicherten Hafträumen keine Unterhose, keine Matratze und keine Decke gehabt.

Auch ein Häftling berichtete dem BR von seinen Erlebnissen. Er sei krank gewesen und habe einen Arzt der JVA sehen wollen. Als er schon im Wartezimmer gewesen sei, habe ihn ein Beamter aufgefordert, wieder in die Zelle zurückzugehen. Er habe sich jedoch geweigert, da er schon seit Wochen auf den Termin gewartet habe.

Daraufhin habe der Wärter und einige seiner Kollegen ihn zusammengeschlagen. Anschließend hätten sie ihn auf eine Liege am Boden bugsiert. „Als ich schon an Händen und Füßen gefesselt war, schlugen und traten die Beamten weiter auf mich ein, darunter auch Tritte ins Gesicht, sowie Schläge mit dem Knie ins Gesicht“, berichtete er. Nackt und blutend sei er dann in einen der BgHs gesperrt und dort mehrere Tage sich selbst überlassen worden.

Anwälte streiten Vorwürfe ab

Neben den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden gegen die beschuldigten Mitarbeiter mittlerweile auch Disziplinarverfahren eingeleitet, wie das bayerische Justizministerium mitteilte. Auch Betretungsverbote für die JVA seien verhängt worden. Die Mitarbeiter dürften ihren Dienstgeschäften aktuell nicht nachgehen. Wie viele Mitarbeiter betroffen sind, gab das Ministerium jedoch nicht bekannt.

Die Anwälte der stellvertretenden Anstaltsleiterin, Holm Putzke und Alexander Stevens, weisen indes alle Vorwürfe zurück. „Die Welt in einem Hochsicherheitsgefängnis ist nicht schön, sie besteht aus permanenten Beschränkungen der persönlichen Freiheit und Grundrechtseinschränkungen“, schreiben sie in einer Pressemitteilung. Ihre Mandantin sehe es „als ihre oberste Pflicht an, für die Sicherheit sowohl der Inhaftierten als auch der Bediensteten zu sorgen und dabei selbstverständlich stets rechtskonform zu handeln“. Sie werde die vollständige Aufklärung der Sachverhalte unterstützen.

Gleichzeitig sehen die Anwälte in den konkreten Vorwürfen offenbar einen Kollektivvorwurf gegen sämtliche bayerischen JVA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter. Sie erwarteten, dass „alle im Justizvollzug tätigen Mitarbeiter gegen unberechtigte Vorwürfe in Schutz genommen werden und der Freistaat Bayern damit seiner Fürsorgepflicht gerecht wird“.

Grüne fordern Reform des Strafvollzugs

Der Augsburger Gefängnisskandal beschäftigt mittlerweile auch die bayerische Politik. Der Grünen-Politiker Toni Schuberl forderte, dass der Justizminister dem Landtag über die Vorfälle in der JVA Augsburg-Gablingen und über die Lage in anderen bayerischen Haftanstalten berichtet. Ähnliche Vorwürfe wie jetzt in Augsburg habe es auch schon im Zusammenhang mit der JVA Kaisheim gegeben, so Schuberl. „Das nährt den Verdacht, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt.“

Ohnehin liegt beim bayerischen Strafvollzug nach Meinung Schuberls einiges im Argen. Der Landtagsabgeordnete fordert daher Reformen auf grundsätzlicherer Ebene: „Regelmäßig wird die Söder-Regierung von Gerichten zu Reformen gezwungen, weil die Grundrechte der Gefangenen verletzt werden.“ Daher brauche es eine Verbesserung des bayerischen Strafvollzugsgesetzes mit einem stärkeren Fokus auf Resozialisierung. „Denn Resozialisierung schafft Sicherheit.“

Auch die SPD im Landtag verlangt „schonungslose Aufklärung“. Jedes Blatt müsse umgedreht werden, um „diese völlig inakzeptablen und eines Rechtsstaats unwürdigen Vorfälle schonungslos aufzuklären – und vor allem auch abzustellen“, sagte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Horst Arnold. „Das Innere eines Gefängnisses darf kein rechtsfreier Raum sein.“

Das Justizministerium arbeitet nach Angaben einer Sprecherin bereits an einer Aufklärung der Vorwürfe. Man werde vor allem die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen auf den Prüfstand stellen. „Die im Raum stehenden Vorwürfe sind gravierend. Die Vorwürfe müssen rückhaltlos aufgeklärt werden“, sagte Justizminister Georg Eisenreich (CSU). „Sollte es zu Straftaten durch Bedienstete gekommen sein, werden diese strafrechtlich konsequent verfolgt und auch dienstrechtlich konsequent geahndet. Straftaten im Justizdienst sind inakzeptabel.“

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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Das ist ja grauenhaft und extrem verstörend! Warum werden hier nicht die Namen der verantwortlichen Straftäter im Amt (z.B. der„JVA-Leiterin“) veröffentlicht. Oder sollen wie üblich Beweise unter den Teppich gekehrt werden? Wäre in CSU Bayern ja nicht verwunderlich..

  • naja, das mit den unterhosen ist schon sehr schlimm. falls das stimmt.



    ansonsten sind das nur behauptungen (verprügelt) und standard prozedere welches jedes Land hat ( Troublemaker kommen zum wohle aller temporär in Einzelhaft.)



    von daher nicht wirklich den Aufreger wert, wir haben größere Baustellen zurzeit (REchtsruck!?!)

    • @Peter Müller:

      Das sag den Betroffenen mal ins Gesicht. Und dann erklär ihnen, dass sie nicht rechts wählen sollen.

  • In Brandenburg ist es nicht anders dort geht es genauso ab. Wird jemand mit Canabis erwischt geht er für mehrere Tage in den BgH. Und auch dort gibt es nur eine 3-5cm dicke Matratze die auf dem Boden liegt ein Loch im Boden für die Fäkalien die nur gereinigt werden wenn Nahrungsausgabe ist, weil die Beamten keine Zeit dafür haben die Klospülung zu drücken. Das ist der Alltag in der JVA Wulkow. Eine Resosialisierung in dieser Haftanstalt ist auch nicht möglich obwohl direkt vor der Anstalt ein offener Vollzug ist wo aber nur 15 Häftlinge leben dürfen obwohl die Abteilung für mindestens 30 Häftlinge ausgelegt ist. Aber auch dort heißt es es gibt einen zu hohen Personalmangel. Das Wort Personalmangel hört man an jeder Ecke und steht dafür das nicht in der JVA etwas schief läuft sondern es vom Ministerium so gewollt ist um Kosten zusparen.

  • Wie fortgeschritten eine Gesellschaft ist, lässt sich an der Behandlung ihrer Gefangenen ablesen.

  • Bayern ist nur die Spitze des Eisberges. Aber wie sehr werden sich Leute für die Belange von Häftlingen einsetzen? Zumal von rechts bereits genug Gegenwind kommt.



    Es ist sehr traurig, dass es dringendere Baustellen gibt. Aber: "You can easily judge the character of a man by how he treats those who can do nothing for him." Selten, dass ein englischer Satz mal durchgegendert werden sollte, aber inhaltich nur zu wahr.