Gefängnisfilm von Narges Mohammadi: Ihre Stimmen verstummen nicht
Narges Mohammadi hat dieses Jahr den Friedensnobelpreis erhalten. Ihr Dokumentarfilm „White Torture“ ist Irans politischen Gefangenen gewidmet.
Die Räume im Trakt 209 des Teheraner Evin-Gefängnisses sind kahl, weiß getüncht und klein, 2 x 2 Meter vielleicht, ohne Mobiliar. Hier sperrt das iranische Regime Gefangene in Isolationshaft. Die Inhaftierten dürfen ihre Zellen über Tage, Wochen, ja teils Monate nicht verlassen – außer wenn sie sich einem der unzähligen Verhöre unterziehen müssen. Am Ende haben die Folterknechte einzelne Häftlinge psychisch gebrochen: Sie bekennen sich Taten schuldig, die sie nie begangen haben.
Im Moment des Geständnisses, so schildert es einer der Protagonist*innen im Dokumentarfilm der diesjährigen Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, spüre man nichts als Selbsthass. „White Torture“ heißt ihr Film, genau wie die Foltermethode der Isolationshaft. Gedreht wurde er 2021 im Iran unter denkbar widrigen Bedingungen.
Denn Mohammadi ist dort selbst in Haft. Zusammen mit den Filmemacher*innen Vahid Zarezadeh und Gelareh Kakavand interviewte sie in einer Haftpause ehemalige Gefangene und ließ sie von ihrer Zeit hinter Gittern erzählen. Von den Demütigungen, der Gewalt und der Einsamkeit.
Den Weltbezug zurückerobern
Im Rahmen des „Human Rights Film Festival Berlin“ wurde der Film im Kino Colosseum gezeigt, angestoßen durch die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal. Sie betonte im Gespräch die Aktualität des Themas und würdigte Mohammadi, „die so laut war, obwohl ihr der Weltbezug genommen wurde“.
An Aktualität gewinnt der Film nicht nur wegen der Vergabe des Friedensnobelpreises an Narges Mohammadi. Auch die Angriffe der Hamas auf Israel vorige Woche erzählen etwas über das Mullah-Regime. Denn das unterdrückt nicht nur die iranische Bevölkerung, es unterstützt auch die Hamas finanziell.
Seine Stärke gewinnt der Film nicht durch die Form, es sind die Drastik der Schilderungen und die Produktionsbedingungen, die ihn besonders machen. „White Torture“ deckt die kunstfeindlichen Verhältnisse in dem seit der Islamischen Revolution 1979 theokratisch-autoritär regierten Land auf. Die Kamera muss bei Autofahrten durch Teheran teils versteckt werden, der Ton ist schlecht abgemischt. Mitreißend ist der Film trotzdem.
Die Interviews bezeugen auch die Langzeitfolgen der menschenunwürdigen Behandlung. Einer der Gefolterten vergleicht die Isolationshaft mit einem Fleischwolf. Zu Beginn noch Mensch, habe er sich am Ende nur noch gefühlt wie „Menschenmaterial“. Dass sie für den Film über die Folter sprechen, bringt sie erneut in Gefahr: Vier der Protagonist*innen sitzen erneut in Haft.
Filmemacher*innen stehen im Iran unter besonderem Druck. In Mohammadis Film ist auch kurz Jafar Panahi auf den Straßen Teherans zu sehen, dessen heimlich produzierter Film „Taxi Teheran“ 2015 bei der Berlinale gewann. Auch er wurde im Sommer 2022 verhaftet und erst im Februar dieses Jahres nach einem Hungerstreik wieder freigelassen. Vahid Zarezadeh, Mitregisseur Mohammadis, erzählte nach der Vorführung, wie das Regime auf „White Torture“ reagierte. Man habe ihm gedroht: „Du bist wie ein Stück Obst, das sich unter faules Obst gemischt hat. Darum wirst auch du verfaulen.“
Eine weitere politische Gefangene im Evin-Gefängnis ist die Mutter von Mariam Claren: Nahid Taghavi ist deutsch-iranische Menschenrechtlerin und Mohammadis Zellennachbarin. Claren berichtete auf der Bühne über den Moment, in dem Mohammadi erfuhr, dass sie den Friedensnobelpreis erhalten würde. Bescheiden sei sie gewesen, „die Frauen waren glücklich“.
Ihre Dokumentation spiegelt die zentrale Parole der iranischen Freiheitsbewegung. Eine Parole, die auch das Wirken der herzkranken Mohammadi auf den Punkt bringt: Jin, Jiyan, Azadî. Frau, Leben, Freiheit.
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