Gedenkkonzert für Mikis Theodorakis: „Eine besondere Freundschaft“
Der Konzertpianist Gerhard Folkerts war ein Freund des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis. In Hannover erinnert Folkerts an dessen Musik.

taz: Herr Folkerts, Sie kannten Mikis Theodorakis persönlich, waren mit ihm befreundet. Was war er für ein Mensch und wie war es, mit ihm zusammenzuarbeiten?
Gerhard Folkerts: Ich habe 2005 meinen ersten Klavierabend in Athen gegeben, ein Jahr später ein Konzert – Hälfte Theodorakis-Lieder, Hälfte Folkerts-Lieder – und beide Male ist Theodorakis trotz seines schlechten gesundheitlichen Zustandes in den Konzerten gewesen. Nach dem ersten hatte er mich und meine Frau eingeladen, ihn zu besuchen. Wir haben dann lange miteinander gesprochen und ihn seitdem bis zum Beginn der Coronapandemie regelmäßig in seinem Haus in Athen besucht. Diesen Kontakt gab es natürlich wegen der Musik, aber daraus ist eine besondere Freundschaft entstanden. Ich hatte außerdem das große Glück, seine schriftliche Erlaubnis zu bekommen, seine Opernarien und Lieder so zu bearbeiten, dass sie in einer Klavierfassung aufgeführt werden können, und seine Lyrik zu vertonen.
Wie war es, mit ihm zusammenzuarbeiten?
Es war immer unglaublich freundlich mit ihm. Mit ihm zu arbeiten war sehr angenehm. Im Dezember 2018 habe ich ihm noch einmal das Programm, das wir in Hannover spielen, vorgestellt. Zusammen mit der griechisch-kanadischen Sängerin Frances Pappas, die das Konzert gemeinsam mit uns durchführt. Mir war es immer wichtig, dass die Programme, die ich aufführe, von ihm autorisiert waren.
Rolf Becker führt die Rezitation in Ihrem Konzert durch, wo haben Sie ihn kennengelernt?
Mit Rolf Becker arbeite ich schon lange zusammen. Ich hatte ihn bei diesem Projekt gebeten, Texte von Jannis Ritsos und Giorgos Seferis und Theodorakis zu sprechen, weil ich wusste, dass er eine große Affinität zu Griechenland hat. Theodorakis selbst hat Ritsos und Seferis ja mehrfach vertont. Frances singt, Rolf spricht die Rezitationen zwischen den Liedblöcken.
Theodorakis war nicht nur Komponist, sondern auch Politiker und Freiheitskämpfer.
Dichter vor allen Dingen auch. Es wird in Deutschland kaum wahrgenommen, dass er ein ganz bedeutendes lyrisches Werk hat.
Wie kommen sein politisches Wirken und seine Kunst zusammen?
Er hat zum Beispiel einen Liederzyklus „Die Ballade vom toten Bruder“ geschaffen, um die Wunden des Bürgerkriegs, der in Griechenland direkt nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand, symbolisch zu schließen. Bei ihm gibt es kaum ein Werk, das keinen politischen Bezug zur Gegenwart hat.
Warum ist das Schaffen von Theodorakis noch heute aktuell?
In der letzten seiner fünf Schaffensphasen hat Mikis die griechische Mythologie aufgegriffen und fünf Opern geschrieben. Unter anderem Antigone, Elektra und Medea und hat vielfältige Kommentare zu diesen gegeben. In diesen hat er über den großen Riss und Bruch gesprochen, der durch die Gesellschaften geht. Er hat gesagt – und das erleben wir ja aktuell – dass Kriege nicht überwunden, sondern immer wieder neu entfacht werden. Indem er die griechische Mythologie nutzte, versuchte er aufzuzeigen, dass sich dies in den Jahrtausenden nicht geändert hat, sich aber ändern muss. Ihm geht es also um die ungelösten Probleme der Menschheit. Unter dem Vater des jetzigen griechischen Ministerpräsidenten Mitsotakis war Mikis sogar Minister ohne Geschäftsbereich. In diesem Amt setzte er sich auch für die Verbesserung der griechisch-türkischen Beziehungen ein.
Die Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei sind aktuell wieder an einem Tiefpunkt.
Genau. Auch Mikis hat einsehen müssen, dass er dieses Problem nicht lösen kann und hat das Amt nach etwa zwei Jahren niedergelegt.
Was können deutsche beziehungsweise mitteleuropäische Komponist:innen oder Musiker:innen von Theodorakis lernen?
Dialogbereitschaft zu zeigen. Das war eine der wesentlichen Forderungen, im Brecht'schen Sinne mit dem Publikum in die Kommunikation zu treten. Und, dass man nicht abgehoben, jenseits der Menschen für eine kleine Elite von Fachleuten schreibt, sondern dass man die Zuhörer als Komponist erreichen muss. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt bei Theodorakis.
“Mikis Theodorakis. Die Seele Griechenlands“, mit Frances Pappas, Gerhard Folkerts und Rolf Becker: Fr, 2.9., 19.30 Uhr, Hannover, Pavillon
Wie sehr hat Sie selbst Theodorakis’ Musik beeinflusst?
Ich bin ja schon ein alter Herr und war natürlich schon einige Zeit vor 2005 musikalisch tätig. Aber dennoch faszinieren mich sein besonderes Wort-Ton-Verhältnis, seine Textauswahl und die kompositorische Umsetzung der Inhalte mit ihren gesellschaftlichen Bezügen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung