Gedenken zum 9. Mai: Putins Hurra, Makeievs Blumen
Putins Propaganda-Rede zum "Tag des Sieges" steht in grellem Kontrast zum Stand der Erinnerungskultur in der Ukraine und anderswo.

S o erwartbar wie schlicht: Nichts Neues im Osten und in der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin zum 9. Mai, dem 78. Jahrestag des Sieges der Roten Armee über Nazideutschland. Der Kremlchef zieht eine direkte Linie von damals bis in die Gegenwart. Auch jetzt sei Russland das Opfer, gegen das der Westen, getrieben von aggressivem Nationalismus und Russophobie, einen Krieg entfesselt habe. Dessen Ziel sei kein Geringeres als der Zusammenbruch Russlands.
Kyjiw sei zu einer Geisel und Verhandlungsmasse der „westlichen Herren“ geworden. Der Überfall auf die Ukraine wird von Putin zur schicksalhaften Entscheidungsschlacht stilisiert, Russlands tapferen Kämpfern der „militärischen Spezialoperation“ gebühre Stolz. Sie seien in höherem und heiligem Auftrag unterwegs – dem Kampf gegen den Faschismus, der als Begründung für das Vorhaben herhalten muss, Moskaus Nachbarn samt seiner Bevölkerung auszulöschen.
Auch wenn sich seit dem Beginn von Putins Angriffskrieg am 24. Februar 2022 nichts an diesem Narrativ geändert hat, sollte es gerade in diesen Tagen besonders aufmerksam zur Kenntnis genommen werden. Zweifellos: Man kann sich an dem Begriff des „Raschismus“, einer Anleihe aus dem Englischen „Russian fascism“, abarbeiten, der als Terminus seit Kurzem auch in die ukrainische Gesetzgebung Eingang gefunden hat. Dasselbe gilt für eine Neujustierung der ukrainischen Erinnerungskultur im Hinblick auf das Ende des Zweiten Weltkriegs. Oder die Geste des ukrainischen Botschafters Oleksii Makeiev, Blumen in der Neuen Wache in Berlin anstatt an sowjetischen Gedenkstätten niederzulegen.
Doch statt kontrovers zu diskutieren, steht derlei Gebaren sofort unter dem Generalverdacht, den Holocaust relativieren zu wollen. Einige wussten es schon immer, spätestens jedoch seit 2014: Das ist sie eben, die „faschistische Junta“, die sich in Kyjiw an die Macht geputscht hat. In der Ukraine hat die Debatte nicht nur über die eigene Geschichte längst begonnen und sie wird weitergehen. Dem setzt Wladimir Putin in Moskau ein „Für den Sieg, hurra!“ entgegen. Es ist dies eine Ansage, die es ernst zu nehmen gilt.
Mit reinem Gewissen wissen
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Informationen auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich aber leisten kann, darf – ganz im Zeichen des heutigen "Tags des guten Gewissens" – einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Koalitionsverhandlungen
Der SPD scheint zu dämmern: Sie ist auf Merz reingefallen
Parkinson durch Pestizide
Bauernverband gegen mehr Hilfe für erkrankte Bauern
Iranische Aktivistin über Asyl
„Das Bamf interessiert wirklich nur, ob du stirbst“
Anlegen nach dem Crash
Ruhe bewahren oder umschichten
Strafe wegen Anti-AfD-Symbolik
Schule muss Tadel wegen Anti-AfD-Kritzeleien löschen
Von Frankreich lernen
Wie man Rechtsextreme stoppt