: Unter der Fassade
In Bremen erinnert nun ein Mahnmal an die Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs. Hier zeigt die Stadt, dass sie auch pietätvoll mit ihrer eigenen Geschichte umgehen kann
Von Lotta Drügemöller
Da liegt sie nun, die „Gewaltgeschichte des Hafens“, dieser Ausdruck wird am Mittwoch immer wieder verwendet: Eine Fassade aus alten Backsteinen, zwischen Kieselsteinen, ganz leicht erhöht. Fast eins zu eins soll sie den alten Ulrichsschuppen nachgebaut sein, die hier einmal standen, aber am Boden liegend wirkt die Fassade seltsam klein. Das Tor in der Mitte aus unbehandeltem Eisen ist nach dem Regen der letzten Nächte schon gelb geworden.
Normalerweise bewegen sich hier nur ein paar Arbeiter*innen, Lkw liefern Güter. Heute aber sind 70, 80 Leute gekommen zur Einweihung des Gedenkortes, den die Künstlerin Michaela Melián gestaltet hat. Die nachgebaute Fassade des Ulrichsschuppens soll erinnern an die Zwangsarbeiter, die hier in der NS-Zeit untergebracht waren. 983 Männer haben zwischen 1942 und 1945 als Zwangsarbeiter in den Backsteinschuppen 9 und 10 gelebt, Franzosen, Polen, Sowjetbürger.
Es ist nur einer von über 200 Orten in Bremen, an denen Zwangsarbeiter lebten. Schätzungsweise 75.000 Menschen mussten in der Stadt Zwangsarbeit leisten, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge, aber auch „Zivilarbeiter“: Zivilist*innen vor allem aus Frankreich, die zwangsrequiriert wurden.
Untersucht worden ist die Geschichte der Lager in Bremen detailliert, ein Standardwerk der Wissenschaft von Helga Elisabeth Bories-Sawala hat die Lage der Zwangsarbeiter in den Neunzigern am Beispiel Bremens untersucht. Dennoch ist es mit vielen dieser Lager ein bisschen wie mit dem Juchtenkäfer: Der größeren Öffentlichkeit fallen sie meist erst ein, wenn es eine neue Nutzung an dem Ort zu verhindern gilt. So geschehen beim ehemaligen Zwangsarbeiterlager in Grolland, das in die Presse kam, als ein Bordell einzog, und an der Reitbrake, an der Zwangsarbeiter beerdigt liegen – in die Öffentlichkeit gekommen ist das, als die Fläche mit emissionsstarker Industrie bebaut werden sollte.
Dass es auch pietätvoller geht, das zeigt der neue Gedenkort in Walle, wo viele Leute vieles richtig gemacht haben: In seinem Bürgerhaus „Brodelpott“ verfügt der Stadtteil über eine eigenes Geschichtsabteilung, samt „digitialem Heimatmuseum“. Angela Piplak untersucht dort seit Jahren die Geschichte des Stadtteils, organisiert Ausstellungen und Stadtteilspaziergänge, auch zur Situation von Zwangsarbeitern in der NS-Zeit im Stadtteil.
Als der Beirat, das Stadtteilparlament von Walle, Ende 2018 vom bevorstehenden Abriss des historischen Ulrichsschuppens hörte, suchte man schnell nach einer Möglichkeit, zumindest Teile als historische Stätte zu erhalten.
Der dritte wichtige Akteur ist das Unternehmen J. Müller aus Brake, das das Gelände 2018 erworben hatte, um seine Lagerkapazität für Rohkaffee auszubauen. Was sie da gekauft hatten, das wusste bei der Hafengesellschaft niemand. „Für uns waren das nur Lagerschuppen. Die mussten weg“, sagt Uwe Schiemann vom Unternehmen. Auf die Bitten des Beirats aber ging man gern ein: Die Fassade erhalten, das sei nicht möglich gewesen; hundert Quadratmeter für den Gedenkort abzwacken, darauf konnte man sich aber einlassen.
Ein bisschen zu kurz kommt am Tag der Einweihung das eigentliche Gedenken an die Zwangsarbeiter. Wer sie waren, ob sie entschädigt wurden, wie sie gelebt haben – das wird nicht erzählt. Dabei gäbe es einiges zu erzählen über die 986 Männer. Gearbeitet haben sie für den Hafenbetriebsverein; profitiert von ihrer Arbeitskraft haben wohl alle Unternehmen, die damals im Hafen ansässig waren. Unter den Männern waren Kriegsgefangene, aber auch „Zivilarbeiter“: Zivilist*innen die zwangsrequiriert wurden. Gut ging es ihnen nicht, eine wissenschaftliche Studie berichtet von Elf- und Zwölf-Stunden-Tagen, von Sieben-Tage-Wochen. Wie schlecht hing auch davon ab, in welchem Schuppen sie lebten: Die „Zivilarbeiter“ aus Frankreich im Schuppen 10 fielen unter die Genfer Konvention. Die Sowjets im Schuppen 9 waren schlechter gestellt, für sie galt die Genfer Konvention nicht.
Bekannt geworden ist die Geschichte der französischen Insassen durch eine historisch einmalige Überlieferung: Die Zwangsarbeiter hatten mit deutscher Genehmigung großflächige Wandbilder gemalt: 13 Szenen auf 105 Quadratmetern stellten die Tage im Lager dar. Die Bilder waren später übertüncht worden, aber durch die Erinnerung eines ukrainischen Zwangsarbeiters aus dem benachbarten Sowjetlager wieder ins Gedächtnis gerufen, geborgen und restauriert worden. Die Bilder sind unter anderem im Staatsarchiv ausgestellt.
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