Gedenken am 8. und 9. Mai in Berlin: Spassiba sagen – aber wie und wo?
Berlin feiert den Tag der Befreiung, nicht nur mit einem einmaligen Feiertag, sondern auch mit vielen Veranstaltungen – und Konfliktpotenzial.

Wer nicht feiert, hat verloren!
Der 8. Mai, Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, muss gefeiert werden – daran gibt es aus antifaschistischer Sicht schon immer nichts zu rütteln. Den 80. Jahrestag der Kapitulation der Wehrmacht begeht Berlin als einziges Bundesland mit einem Feiertag. Der Senat begründete dies mit der immensen historischen Bedeutung und damit, dass Berlin im Ländervergleich die wenigsten Feiertage hat.
Es ist das zweite Mal nach dem 75. Jahrestag 2020, dass Berlin den Tag als Feiertag begeht. Einen bundesweiten und dauerhaften Feiertag zu etablieren statt eines „Gedenktages“, fordern linke Organisationen und Gewerkschaften schon lange. Doch wahrscheinlich ist das nicht angesichts der politischen Mehrheiten im Bund sowie lautstarken Forderungen, Feiertage zum Wohle des Bruttoinlandsproduktes zu streichen.
Pogen gegen Faschos
Am Tag der Befreiung wird gefeiert – ist doch klar. In der Linie 206 wird in den 8. Mai hineingepogt – mit den Bands Nidare (Post-Black-Metal), Mißträu (Black Metal), Pos (Post-Hardcore) und Fish People (Punk). Einnahmen gehen an die Antirassistische Aktion Magdeburg. Eintritt 7–15 Euro. Mittwoch, 7. Mai, Linienstraße 206, 20 Uhr
Antifas nach Demmin
Wer am 8. Mai verloren hat, lässt sich leicht an den Tränen erkennen. Jedes Jahr versuchen etwa Neonazis im mecklenburg-vorpommerschen Demmin, die Stadt zu einer „Heldenstadt“ zu verklären – weil sich hier nach der Kapitulation Hunderte Menschen in einem Massensuizid das Leben genommen haben. Dieses Jahr gibt es eine große Mobilisierung gegen die Nazidemo – auch aus Berlin. Denn weiter gilt, auch 80 Jahre später: Den Nazis keinen Meter. Tickets für den Solibus aus Berlin: pretix.eu/widersetzen
Fahrradkorso der Befreiung
In Berlin werden am 8. Mai bunte und lustige Fahrradkorsos durch die Stadt ziehen, um die Befreier:innen zu ehren. Die Auftaktorte sind: Museum Karlshorst, 13.30 Uhr; Urnenfriedhof Seestraße in Wedding, 14 Uhr; Garbatyplatz in Pankow, 14.30 Uhr; Denkmal für die polnischen Befreier*innen, Ernst-Reuter-Platz, 14 Uhr; Sowjetisches Ehrenmal Treptow, 14 Uhr – und am Schulenburgring 2 in Tempelhof, dem Ort der Kapitulation Berlins am 2. Mai 1945, 14 Uhr. Alle Korsos führen zur Kundgebung des VVN-BdA. Kundgebung: Donnerstag, 8. Mai, Bebelplatz, 16 Uhr
Ostkreuz bleibt bunt
Die Initiative „Ostkreuz bleibt bunt“, gegründet nach den jüngsten Naziaufmärschen in Friedrichshain, lädt zum Straßenfest: Besucher:innen erwartet ein Programm aus Musik, Workshops, Lesungen, Spiel- und Bewegungsangeboten für Kinder sowie Mitmachangeboten für alle. Donnerstag, 8. Mai, Annemirl-Bauer-Platz, ab 13.30 Uhr
Pasta gegen Nazis
Am 25. Juli 1943 erfährt die Familie Cervi aus Campegine, einer Gemeinde in der norditalienischen Provinz Emilia, vom Sturz des Mussolini-Regimes – und feiert das prompt mit etlichen Kilos Nudeln, die sie an das ganze Dorf verteilt. In Kreuzberg wird diese Tradition fortgeführt. Das Künstler*innenmanagement Beat The Rich! organisiert ein gemeinsames Pastakochen, bei dem sich über Engagement gegen die extreme Rechte ausgetauscht werden soll. Donnerstag, 8. Mai, Oranienplatz, 16–20 Uhr
Raven gegen Deutschland
Am 9. Mai – wegen der Zeitverschiebung fand die Kapitulation in Moskau rechnerisch einen Tag später statt – geht die Party weiter. Im Treptower Park laden die SDAJ und Rave against the Zaun zum Befreiungsfest. Unter dem Motto „Wer nicht feiert, hat verloren“ gibt es Techno, ein Fußballturnier, Redebeiträge, T-Shirt-Druck und Stände von Antifa-Gruppen. Freitag, 9. Mai, Rosengarten, 15 Uhr
Stendal bleibt links
Auch am 9. Mai heißt es: Die Kleinstädte supporten. Das Antifaschistische Kollektiv Stendal organisiert etwa eine Demo, um sich dem Rechtsruck entgegenzustellen und linke Projekte zu supporten. Es gibt eine Anreise aus Berlin: Freitag, 9. Mai, Bahnhof Spandau, Gleis 3, 15.30 Uhr. (tk)
Hilfe, die Russen kommen!
Knapp 80.000 sowjetische Soldaten ließen allein in den beiden Wochen der Schlacht um Berlin ihr Leben. Doch seit 2022 Russland den Krieg gegen die Ukraine entfesselte, ist das Gedenken an die Befreiung durch die Rote Armee nicht mehr so unbeschwert, wie es einmal war. Denn in Russland wird das Gedenken, das dort am 9. Mai begangen wird, für die eigene Kriegspropaganda instrumentalisiert, und auch hierzulande ist der Grat zwischen Gedenken und Werbung für Putins Russland bei einigen sehr schmal.
Ein erstes Opfer dieser unseligen Vermischung war das traditionelle Fest der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist:innen (VVN-BdA) am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park, wo 7.000 Sowjetsoldaten bestattet sind. Jahrelang feierten hier Antifas und russische Migrant:innen zusammen oder zumindest nebeneinander, tanzten zu Ska-Musik und tranken Wodka. Während sich viele, vor allem anti-autoritäre Linke zurückgezogen haben und auch von offizieller Seite dort keine Kränze mehr niedergelegt werden, kommt die russische Community weiter, vor allem am 9. Mai.
Erwartet werden dann auch wieder Rocker des russischen Motorradclubs Nachtwölfe. Sie wollen im Konvoi vom Tiergarten nach Treptow fahren, 200 Teilnehmer sind angemeldet – unter strenger Beobachtung der Polizei.
Zeigt her eure Winkelemente!
Für die Ehrenmäler in Treptow, an der Straße des 17. Juni im Tiergarten und in Schönholz gilt für beide Tage eine polizeiliche Allgemeinverfügung, die jegliche russische Propagandaversuche ersticken soll. Verboten sind dabei neben russischen auch sowjetische Fahnen, dabei wurde Berlin unter dem Symbol von Hammer und Sichel befreit, und das auch von ukrainischen Soldat:innen. Kontrolliert werden alle Besucher:innen zudem auf schwarz-orangefarbene St.- Georgs-Bändchen, die zur Unterstützung der russischen Regierungspolitik verwendet werden, und auf den Buchstaben Z, der als Propagandazeichen für den Angriffskrieg in der Ukraine fungiert.
Das Fahnenverbot wurde erstmals vor drei Jahren durchgesetzt und war nach einer gegenteiligen Entscheidung vom Verwaltungsgericht schlussendlich vom Oberverwaltungsgericht bestätigt worden. Inzwischen gehört das Umgehen des Verbots etwa durch Kleidung in Farben der russischen Flagge oder das Hineinschmuggeln von Armbändern aber zum Volkssport. Ausgenommen vom Verbot sind Veteranen des Zweiten Weltkrieges sowie Diplomaten. Ukrainische Flaggen sind für alle erlaubt.
Offizielles Gedenken
Die seit vergangenen Freitag laufende Gedenkwoche Berlins umfasst mehr als 100 Veranstaltungen, darunter Diskussionen, Ausstellungen oder Stadtführungen. Das Brandenburger Tor wird speziell beleuchtetet, und auf dem Pariser Platz erzählt eine Freiluftausstellung über das Kriegsende und persönliche Schicksale von Überlebenden. An diesem Mittwoch gibt es eine Gedenkstunde von Senat und Abgeordnetenhaus im Roten Rathaus. Hier wird Margot Friedländer, inzwischen 103-jährige Holocaust-Überlebende, eine Lesung halten.
Teil des Gedenkens sind diverse Kranzniederlegungen, an denen Vertreter:innen vom Senat, den Bezirken und den Parteien teilnehmen: vom Urnenfriedhof Seestraße, über das Museum Karlshorst, Ort der Kapitulation, bis zu den kleineren Sowjetischen Ehrenmalen in Hohenschönhausen oder Buch.
Der Senat weicht nach Schönholz aus, um dem umkämpften Trubel in der Innenstadt zu entgehen. Ohne allzu großen öffentlichen Aufschrei hat er entschieden, keine ausländischen Gäste einzuladen, vermeiden will man dabei vor allem ein gemeinsames Gedenken mit russischen und belarussischen Vertreter:innen.
Gedenken selber machen
Die wohl attraktivste Veranstaltung in diesem Jahr, frei von autoritären Putin-Fans oder auch Verschwörungsgläubigen, organisiert die VVN-BdA am Donnerstag. Nach dezentralen Gedenkkundgebungen etwa am Museum Karlshorst, dem Ehrenmal Buch und später am Garbátyplatz, den Gedenkstätten in Treptow und Tiergarten sowie am Schulenburgring in Tempelhof, wo am 2. Mai 1945 die Kapitulation Berlins unterschrieben wurde, führen Fahrradkorsos zum Bebelplatz. Dort erwartet die Antifaschist:innen ein Programm mit den Lebensgeschichten von Zeitzeug:innen, die aus Lagern befreit wurden, im Widerstand kämpften oder ins Exil gingen, sowie Konzerte.
Wer sich in den Treptower Park traut, kann dort etwa bei der exilrussischen Gruppe „Demokrati-Ja“ vorbeischauen, die mit Ausstellungen, Bühnenprogramm und Denkmalführungen das Gedenken mit einer Kritik an Stalinismus und Ukrainekrieg verbindet. Weniger distanziert wird es am 9. Mai bei einem Fest der SDAJ, Jugendorganisation der DKP. Angekündigt ist ein „Befreiungsfest mit viel Bass“ und anschließendem Rave im Rosengarten.
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