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Geberkonferenz für HilfeIst Syrien schon zu helfen?

Das Land ist zerstört und eine Wirtschaftskrise sorgt für Hunger. Eine Geberkonferenz soll Abhilfe schaffen.

Wird ihr Land wieder aufgebaut? Eine syrische Geflüchtete in einem Camp an der türkischen Grenze Foto: Khalil Ashawi/reuters

Berlin taz | Omar war zehn Monate alt, als er fast alles verlor. Ein Luftangriff auf die damals von Rebellen gehaltene syrische Stadt Chan Scheichun riss seinen Vater in den Tod, verletzte die Mutter schwer und kostete ihn selbst das linke Bein. Vier Jahre später hat Omar laufen gelernt – auf zwei Beinen. In einem Physiotherapiezentrum nahe der Türkei nahm man seine Maße für eine Prothese, erinnert sich sein Opa. Heute würde er sogar Ball spielen mit den Nachbarskindern, erzählt Omar.

Diese Erfolgsgeschichte wurde per Kurzvideo im Rahmen einer virtuellen Geberkonferenz präsentiert, zu der EU und UNO für Dienstag geladen hatten, um humanitäre Hilfe für die Menschen in Syrien und syrische Flüchtlinge in Nachbarländern zu mobilisieren. Die EU sagte für dieses und kommendes Jahr 2,3 Milliarden Euro zu, Deutschland rund 1,6 Milliarden.

Ohne europäisches Geld wäre Omar vermutlich noch heute einbeinig. Doch das Positivbeispiel kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Europa in Syrien gescheitert ist. Die EU konnte den Krieg nicht in ihrem Sinne beeinflussen, geschweige denn beenden. Jeglichen Einfluss in dem Mittelmeerland hat die EU verspielt und stattdessen Türkei, Iran und Russland das Feld überlassen. Was bleibt, ist humanitäre Hilfe, um zumindest das allergrößte Leid zu lindern.

Die Nothilfe, die über internationale Hilfswerke fließt, ist aktuell so notwendig wie kaum je zuvor. Im zehnten Jahr des Syrienkonflikts ist das Land zerstört, Krankenhäuser und Schulen sind zerbombt – und neuerdings sorgt auch noch eine schwere Wirtschaftskrise für Hunger. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) schätzt, dass mittlerweile 9,3 Millionen SyrerInnen nicht mehr genug zu essen haben – eine Zunahme um fast eineinhalb Millionen seit Jahresbeginn.

Lebensmittelpreise gehen durch die Decke

„Wir stehen vor einem großen Wirtschaftskollaps“, sagt ein syrischer Nahrungsmittelgroßhändler in Damaskus, der aus Angst vor Repressalien seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die taz sprach mit ihm über Telegram. Auch er habe aufgrund der Wirtschaftskrise erhebliche wirtschaftliche Einbußen erfahren, sagt er.

Wir brauchen eine politische Lösung, um die wirtschaftliche Not zu lindern

Lebensmittelgroßhändler

Das syrische Pfund hat jüngst massiv an Wert verloren. Auf dem Schwarzmarkt ist es im Juni auf ein Rekordtief von 3.500 Pfund pro US-Dollar gefallen. Noch zu Jahresbeginn hatte der Wechselkurs bei 700 Pfund gelegen, in Vorkriegszeiten bei nur 47 Pfund. Der Krieg hat Syrien zerstört, die Coronapandemie und neue US-Sanktionen verschärfen die Lage noch. Auch die Bankenkrise im benachbarten Libanon zieht Syriens Wirtschaft mit ins Verderben, da syrische Unternehmen bislang libanesische Banken als sicheren Hafen für ihre Gelder nutzten.

Für die Menschen in Syrien bedeutet die Krise vor allem, dass Lebensmittel immer teurer werden. Fleisch sei für viele nicht mehr selbstverständlich, erzählt der Großhändler aus Damaskus. Eine Apothekerin aus Damaskus berichtet der taz über WhatsApp, dass sich auch die Preise für Medikamente innerhalb eines halben Jahres verfünffacht hätten. Viele könnten sich Medikamente schlicht nicht mehr leisten.

Die angespannte Wirtschaftslage hat zuletzt sogar zu einem öffentlich ausgetragenen Streit innerhalb des Regimes von Machthaber Baschar al-Assad geführt. Die syrischen Behörden hatten das Guthaben des milliardenschweren Unternehmers Rami Machluf beschlagnahmt, eines Cousins Assads, der sich daraufhin auf Facebook zur Wehr setzte und den Präsidenten öffentlich angriff. Im Süden des Landes führte die Lage sogar zu offenen Protesten. Wie zu Beginn des Konflikts im Jahr 2011 waren wieder Slogans zu hören wie: „Wir wollen Würde“ oder „Dieses Land gehört uns, nicht Assad“.

Thinktanks fordern Umdenken in Europa

„Wir brauchen dringend eine politische Lösung, um die wirtschaftliche Not zu lindern“, sagt der Lebensmittelgroßhändler. Doch die ist nicht in Sicht: Auch wenn das Regime rund zwei Drittel des Staatsgebiets zurückerobert hat, ist Syrien von einer gesellschaftlichen Aussöhnung weit entfernt. Zudem hält die Türkei große Gebiete im Norden besetzt; im Nordosten haben kurdische Kräfte eine Selbstverwaltung aufgebaut.

Während die politische Zukunft zwischen Ankara, Moskau und Damaskus ausgehandelt wird, ist die EU zum Zaungast geworden. Vor diesem Hintergrund werden in Europa Stimmen laut, die ein Umdenken fordern. Europa müsse sich endlich „eingestehen, dass die Europäer [...] nicht herbeiführen können, was Damaskus und seine Verbündeten militärisch abgeschmettert haben“, heißt es in einer Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die die Bundesregierung berät. Will heißen: Der Krieg ist mit der Waffe entschieden, die erhoffte verhandelte Konfliktlösung bleibt ein Wunschtraum.

Ähnlich äußerte sich Julien Barnes-Dacey von European Council on Foreign Relations: Europa müsse anfangen, „eine konstruktive Agenda zu gestalten“, schreibt er, „weg von einer kontraproduktiven Kampagne, die darauf abzielt, das Regime in die Knie zu zwingen, und hin zu einer, die anerkennt, dass ein politischer Übergang nicht in Sicht ist“. Die SWP stellt einen begrenzten Einstieg in den Wiederaufbau zur Debatte, etwa bei der Instandsetzung von Krankenhäusern, Schulen, Wasser- oder Elektrizitätswerken.

Doch was kann Europa in solchen Bereichen tun, ohne dabei mit Syriens Staat zu kooperieren und damit das Assad-Regime zu stützen? Eine Wiederannäherung an Assad-Syrien scheint jedoch vor allem für Osteuropa nicht mehr gänzlich ausgeschlossen. Ungarn erwägt sogar, die Botschaft in Damaskus wiederzueröffnen.

Offizielle EU-Linie aber bleibt: kein Wiederaufbau, nur humanitäre Hilfe. Mit den am Dienstag zugesagten Geldern sollen deshalb Geflüchtete in Syriens Nachbarländern unterstützt werden. In Syrien selbst können weiter Nahrungsmittel, Kochsets, Decken und Kleidung bereitgestellt werden. Auch der Bedarf an Beinprothesen wird nicht abreißen: Rund 86.000 Menschen haben in dem Krieg ein Bein verloren, ein Drittel davon Kinder wie Omar.

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