Gastronomieberater über Corona: „Das Frühstückbuffet ist tot“
Ohne einen Solibeitrag können Restaurants nicht überleben, sagt Jörg Reuter – und gibt Hoffnung auf etwas Italienflair in deutschen Innenstädten.
taz am wochenende: Herr Reuter, wie sieht für Sie der perfekte Ort aus, um mit Freunden zusammenzusitzen, was zu essen und zu trinken?
Jörg Reuter: Du kommst rein, fühlst dich willkommen und ein wenig wie zu Hause. Es braucht auch eine gewisse Gemütlichkeit.
Das wird mit 1,50 Meter Abstand schwierig. Muss die Wohnzimmeratmosphäre, mit der Restaurants in den vergangenen Jahre geworben haben, in Coronazeiten Separees hinter Plexiglas weichen?
Neulich habe ich ein Bild von einem Stammtisch gesehen. Die Männer sitzen an einem Tisch, jeder für sich in einer Art Holzverschlag. Sie können ihren Kumpels aber zuprosten und nach dem Bier greifen, weil vor ihrem Gesicht eine Plexiglasscheibe mit einer Durchreiche eingebaut ist. So etwas ginge, wäre aber eher wie im Knast. Es gibt also keine ernst zu nehmende Lösung – außer Abstand halten.
Und das möglichst draußen, weil sich das Coronavirus drinnen in winzigen Tröpfchen, den Aerosolen, offenbar lange in der Luft halten kann – und die Ansteckungsgefahr größer ist?
Das müsste ein Virologe beantworten. Sitzplätze draußen sind sicher attraktiv im Moment. Aber natürlich hat die nicht jedes Restaurant. Und wenn doch, sind sie meist auch begrenzt. Ob drinnen oder draußen, die Wirte werden ihre Stühle auseinanderrücken müssen.
Das jedoch rechnet sich kaum. Die ersten Restaurants machten nur wenige Tage, nachdem sie wieder geöffnet hatten, wieder dicht.
Die Restaurants können vielleicht ein Drittel, bestenfalls die Hälfte ihrer bisherigen Sitzplätze haben. Dabei ist in der Gastronomie seit jeher alles auf Kante genäht. Wer will, dass Restaurants in diesen Zeiten öffnen, muss darum mehr zahlen.
51, hat Agrarwissenschaften studiert und berät mit seiner „grüneköpfe Strategieberatung“ Unternehmen des Lebensmittelhandels, darunter Rewe. Reuter selbst betreibt in Berlin den Lebensmittelladen „Vom Einfachen das Gute“. Im vergangenen Herbst ist sein Kochbuch „Unser kulinarisches Erbe – Lieblingsrezepte der Generation unserer Großeltern“ (mit Manuela Rehn, Becker Joest Volk Verlag) erschienen.
Wie teuer muss Essengehen werden?
Nicht gleich doppelt so teuer, der Wareneinsatz ist ja auch geringer. Aber zwanzig Prozent mehr Einnahmen bräuchten Gastwirte sicher, damit es sich für sie rechnet. Sie könnten das als Coronaperto einfach draufschlagen.
Ein Coronaperto?
Viele kennen doch aus dem Italienurlaub den Coperto, also einen Betrag von ein paar Euro pro Person, der auf der Rechnung für Tischdecke, Besteck und so auftaucht. Der Coronaperto funktioniert genauso, nur für die Extrabelastung, die Gastwirte jetzt haben. Das könnten 50 Cent für den schnellen Mittagstisch beim Asiaten sein oder auch sieben Euro für das Abendessen in einem gehobenen Restaurant.
Ein Bäckereicafé in Aachen hat ein 2-Euro-Tischgeld und 50 Cent pro Person auf seine Preise draufgeschlagen und bekam einen Shitstorm. Friseure können offenbar leichter einen Corona-Aufschlag durchsetzen als Gastwirte.
Ja, aber das zeigt doch nur, dass wir in Deutschland eine erbärmliche Zahlungsbereitschaft fürs Essen haben. Coronaperto, das ist ein Soli! Ohne ihn wird es nicht gehen. Und dann werden trotzdem noch viele Restaurants pleitegehen. Weil wir ja nicht essen gehen, um unseren Kalorienbedarf zu decken. Wir wollen am Tisch zusammensitzen, erzählen, uns austauschen. Aber dieses gute, alte Restauranterlebnis können wir jetzt nicht haben. Da werden viele lieber zu Hause mit ein paar Freunden kochen.
Wird das bleiben – die eigene Küche als Zufluchtsort?
Ja, aber nicht immer wird selbst gekocht. Viele Restaurants haben Lieferdienste eingerichtet. Manche Leute gucken jetzt beim Essen zwar erst recht auf den Preis, weil sie Angst um ihren Job haben, die Zukunft unsicher ist. Andere aber gönnen sich zu Hause mehr, wenn man schon nicht rausgehen kann. Renommierte Restaurants wie das Berliner „Herz und Niere“ wecken für sie zum Beispiel Königsberger Klopse, Rinderroulade und Tafelspitz in Einmachgläsern ein. Gehobene Küche to go ist gerade extrem gefragt.
Das deftig Fleischige kommt zurück?
Das sind Gerichte mit Wohlfühlcharakter. Man kann sie aufwärmen, man weiß, was man hat. Für die nächste Zeit ist das wichtig. Die Leute wollen nicht groß beim Essen rumexperimentieren. Alles andere ist schon Experiment genug derzeit.
Wird eines Tages wieder Currywurst mit Pommes in der Betriebskantine angeboten?
Die Kantine wie früher wird es so wohl nie mehr geben. In der Schlange stehen, warten. Neu gedacht könnte das ähnlich aussehen wie in der Data Kitchen in Berlin, das ist ein Restaurantprojekt eines bekannten Berliner Gastronomen und der Firma SAP. Dort bestellt man sein Mittagessen vom Büro aus online für eine bestimmte Zeit und holt es pünktlich ab. Dafür macht man, ähnlich wie bei einer Paketstation der Post, ein Fach per Smartphone-App auf und holt sein Essen raus. Das ist lange Zeit belächelt worden.
Jetzt nicht mehr?
Nein, weil es plötzlich nicht mehr Spielerei ist, sondern eine ziemlich relevante Lösung. Auf Kantinen übertragen würde das bedeuten, das Personal arbeitet hinter den Fächern, das Gedränge lässt sich vermeiden, man lässt nur so viele Leute ihr Essen holen, wie Platz da ist. Oder Unternehmen richten in jeder Abteilung einen großen Essraum ein. Dann könnte die Kantine das Essen bringen, und die Leute, die ohnehin schon zusammen arbeiten, würden auch gemeinsam essen.
Wie sieht es mit dem Essen im Hotel aus?
Das Frühstückbuffet ist tot. Der riesige Korb mit Croissants, in den alle reinfassen, wird für alle Zeiten verschwinden. Manche werden Brot, Marmelade, Aufschnitt nur noch abgepackt anbieten. Ich vermute aber, dass es häufiger ein À-la-carte-Frühstück geben wird. Das könnte man dann per App beim Check-in oder einige Minuten vor dem Frühstück aussuchen – wie heute schon vielfach Sekt oder Brezel für die Pause im Theater vorbestellt werden können. Dann wird es aufs Zimmer gebracht. Es wird alles privater, zumindest so lange wir keinen Impfstoff haben.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Gibt es keine Alternative?
Lokalpolitiker müssten die Gehwege freigeben, auch Straßen für den Autoverkehr sperren. Dann könnten die Gastronomen ihre Tische dort ausreichend voneinander entfernt aufstellen. Man könnte Abstand halten, und es hätte Flair.
Italienisches Piazzagefühl in Bielefeld, Duisburg oder Schwerin?
Das wäre zumindest bis zum Herbst etwas, das Lebensfreude zurückbringen würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen