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Gastland Österreich auf der BuchmesseIm Dunkeln kommt der Krieg näher

Österreich sucht auf der Buchmesse in Leipzig nach dem „Wir“ eines Staates vieler Völker. Die Ukrai­ne­r:in­nen am Stand daneben verbindet der Kriegsalltag.

Fahnen auf dem Messegelände in leipzig Foto: Jan Woitas/dpa

Was für eine wunderschöne Stadt Leipzig ist. Dieser Eindruck entsteht tatsächlich, wenn man sich hier durch die frühlingserwachten Straßen bewegt. Darauf verweist aber auch eine Stimme in der Tram Richtung Messe, die zwar dialektgefärbt, aber so gar nicht sächsisch klingt.

Sie gehört dem Nino aus Wien, wie sich der österreichische Indie-Musiker nennt. Dass er hier Durchsagen bei den Leipziger Verkehrsbetrieben macht, ist nicht etwa einem invasiven Coup geschuldet, sondern Teil des vielfältigen österreichischen Programms als Gastland auf der Buchmesse. Unter dem Claim „meaoiswiamia“, der dem Geist des österreichischen Schriftstellers Thomas Stangl entsprang, öffnet sich die Heimat großer Töchter und Söhne hier der Frage nach einem gemeinsamen „Wir“.

Dieses „Wir“ ist keinesfalls eine distinkte Entität, wie sie von rechts propagiert wird, sondern von jeher eine vielvölkische Melange. Wie wichtig diese für die österreichische Literatur ist, zeigten in der Vergangenheit etwa Stimmen von Kraus, Roth, Aichinger und Zweig.

Literatur als Gegengewicht

Einen wie ihn, „der als Jude in Wien lebt und sich der deutschen Sprache verschrieben hat“, gäbe es wohl nicht, wenn es nach einer rechtspopulistischen Weltanschauung ginge, sagt der Autor Doron Rabinovici bei seiner Rede zur Eröffnung des Öster­reichstands. Dass diese Weltanschauung in Europa noch in der Minderheit, aber längst auf dem Vormarsch ist, lässt sich an Ungarn, Polen, Italien und ehrlicherweise auch an Österreich erkennen – in dessen größtem Bundesland es im März die FPÖ in den Landtag schaffte.

„Was früher nur der Name eines Bundeslands war, klingt nun wie ein politisches Projekt für den ganzen Staat: ‚Niederösterreich!‘ “, so die Erkenntnis Rabinovicis. Statt zu resignieren, hebt er, der sich in seinen Werken mit der NS-Vergangenheit, Migration, jüdischem Leben und dem Erinnern auseinandersetzt, den Wert von Literatur als Gegengewicht zu faschistoidem Gedankengut hervor. Sie allein rette zwar noch nicht vor den Despoten dieser Welt, setze ihnen aber etwas entgegen, indem sie an Grenzen gehe, ohne davor Halt zu machen.

Ob er eh Deutsch spreche, sei Rabinovici schon gefragt worden. Ähnlich ergeht es Ana Marwan immer wieder, dabei lebt die slowenische Autorin und letztjährige Bachmannpreisträgerin bereits seit 18 Jahren im Land der Berge, schreibt auch auf Deutsch.

Sie repräsentiert für zwei Länder

Mit der eigenen Fremdheit habe sie sich erst durch das invasive Daraufhinweisen ihrer Gegenüber beschäftigt, sagt sie bei einer Veranstaltung am Österreichstand. Dass sie in diesem Jahr gleich zweimal ein Land als dessen Autorin repräsentiert – neben Österreich in Leipzig Slowenien als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse – ist ein anschauliches Beispiel dieser eben nicht existenten Grenzen der Literatur.

Neben dem geräumigen, mit eigenem Kaffeehaus ausgestatteten Österreichstand ist auf der Messe auch die Ukraine vertreten. Vom Standnachbarn Österreich größtenteils ignoriert – Bundespräsident van der Bellen hielt sich in seiner Rede bei der Messeeröffnung am Mittwoch peinlich genau an die „immerwährende Neutralität“ seines Landes – wartet das vom Krieg gebeutelte Land mit einem vielfältigen Programm auf.

Es dauert etwas, bis das Geplapper leiser wird und die Reihen sich füllen beim Gespräch mit Oksana Karpovych. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs schreibt die sonst als Fotografin und Filmemacherin tätige Ukrainerin auf, was ihr in ihrer Heimatstadt Kyjiw und an den Kriegsfronten begegnet. Zu grausam zunächst, um es mit der Kamera festzuhalten, boten ihr Worte Zuflucht.

Mittlerweile sei der Krieg für Ukrai­ne­r*in­nen fast zu einer Normalität geworden. Nur „mit der Dunkelheit kommt der Krieg näher, geht unter die Haut“, schreibt Karpovych im Sammelband „Aus dem Nebel des Krieges“. Irgendwann griff sie doch wieder zur Kamera; Fotos von zerstörten Häusern und auf der Straße liegenden Körpern untermalen ihre Worte hier auf der Messe, keine Tagesreise entfernt vom Krieg.

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