Wagt die Enteignung!

Gastbeitrag Warum nicht die ehemals städtische Wohnungsbaugesellschaft GSW per Dekret rekommunalisieren? Die Mieterinitiative „Kotti & Co“ bringt zur heute beginnenden Mietenkonferenz einen Vorschlag in die Debatte ein. Exklusiv in der taz

Zweiter Frühling für den kommunalen Wohnungsbau – das wünschen sich viele. Vor allem am Kotti Foto: imago

von Christoph Villinger

„Ich würde fast sagen, Berlin sollte die alten GSW-Bestände zurückkaufen“, so Iris Spranger, die wohnungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, vor Kurzem im Bauausschuss. Dort war die „Deutsche Wohnen“, ein börsennotierter Immobilienkonzern, geladen, dem heute die ehemals kommunalen Bestände von rund 60.000 Berliner Wohnungen gehören. Und ihre ­Parteikollegin Ülker Radziwill, Charlottenburger SPD-Abgeordnete, sprang ihr bei. „Ja, wir bereuen“ den Verkauf der GSW. „Wir mussten es tun in einer Zeit, als Berlin noch mehr Schulden hatte, und es war trotzdem ein Fehler“.

Doch handelt es sich dabei um mehr als Rhetorik aus der Abteilung „Hätte, hätte, Fahrradkette“? Zumindest blättert Radziwill danach noch im Grundgesetz und zitiert Artikel 14, Absatz 2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Christoph Villinger

53, wohnt in der Nähe des Kottbusser Tors und würde gerne seine Nachbarn behalten. Deshalb engagierte er sich mit beim Mietenvolksentscheid und zählt sich zum Co von Kotti & Co (www.kottiundco.net). Er ist Journalist und schreibt regelmäßig für die taz.

Das Grundgesetz und andere Gesetze haben nun auch die Aktivisten der Mieterinitiative von Kotti & Co gelesen. Und zwar einige Zeilen weiter. Vor gut einem Jahr hatte „Kotti & Co“ den Berliner Mietenvolksentscheid mit in Gang gesetzt und mittels eines ausformulierten Gesetzentwurfs die Berliner Politik auf dem falschen Fuß erwischt. Nach Verhandlungen mit dem Senat setzte die Ini­tia­tive zumindest für die Sozialmieter in den städtischen Wohnungsbaugesellschaften einige Verbesserungen durch, die seit Mitte November letzten Jahres Gesetz sind.

Gerade am Kottbusser Tor gehören einige der Sozialbauten aus den 70er Jahren der Deutsche Wohnen AG, und nicht nur dort führt die „mittelstands­orien­tierte“ Vermietungspolitik dieses Konzerns zur Verdrängung der angestammten Bevölkerung. Bis 2004 gehörten diese Häuser der GSW, der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft, einer der größten landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Doch im Rahmen der neoliberalen Sanierung des Berliner Haushalts verkaufte der rot-rote Senat diese Gesellschaft für heute lächerliche 405 Mil­lionen Euro an ein Finanzkonsortium. Trotz anderslautender Zusicherungen zum Mieterschutz nahm dann die Eigendynamik des Kapitalismus ihren Lauf. 2010 kam die GSW an die Börse, und 2013 übernahm die Deutsche Wohnen den Aktienbestand. In den letzten Wochen wiederum musste die Deutsche Wohnen eine Übernahmeschlacht der Vonovia auf dem Aktienmarkt abwehren. Alles zum Wohle der Mieter und Mieterinnen?

Jetzt präsentiert die „Re-Kommunalisisiungs AG“ von „Kotti & Co & Friends“ einen konkreten Vorschlag zur „stadtpolitischen Aktivenkonferenz“ der Mieterinitiativen (taz berichtet) am kommenden Wochenende, um „die soziale Wohnraumversorgung zu gewährleisten“. Ganz freiwillig wird die Deutsche Wohnen ihre Beute nämlich nicht herausrücken. Aber im Grundgesetz steht in Artikel 14 auch, dass „eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist“. Es müssen nur „Art und Ausmaß der Entschädigung geregelt“ werden, die „unter gerechter Abwägung der ­Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen“ ist.

Für die Haushalts­sanierung verkaufte der Senat die GSW für lächerliche 405 Mio.

Der Senat muss laut Paragraf 28 der Berliner Verfassung „die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, fördern“. Und wie das Ganze handwerklich umgesetzt werden kann, steht im Baugesetzbuch in den Paragrafen 85 und folgende. Notwendig ist nur, Wohnen nicht nur rhetorisch, wie dies zum Beispiel auch Ülker Radziwill macht, als Teil der Daseinsvorsorge wie Bildung, Wasser, Strom etc. zu definieren, sondern auch praktisch. Dazu kommt, dass inzwischen wegen der Mietpreisbremse in über 300 Kommunen in der Bundesrepublik der Wohnungsnotstand amtlich festgestellt ist.

Natürlich hat Kotti & Co dazu hochkarätige Juristen und Experten befragt. Meist ernten die Leute der Initiative ein schelmisches Grinsen und ein „Wenn man politisch will, dann kann man das machen“. Denn zum Beispiel beim Bau der A 100 ist genau diese Vorgehen für den Senat gängige Praxis: Für den Weiterbau der Betonpiste nach Treptow wurden mehrere Hausbesitzer enteignet.

2004 verkaufte der damals rot-rote Senat die „Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft“ (GSW), mit 60.000 Wohnungen die größte kommunale Gesellschaft der Stadt, für 405 Millionen Euro an ein Investmentkonsortium. 2010 kam die GSW an die Börse, 2013 übernahm die „Deutsche Wohnen“ 98,9 Prozent der Aktien.

Infolge der Privatisierung kam es zu Konflikten zwischen Mietern und Eigentümern, weil Letztere Häuser verkommen ließen oder massive Mieterhöhungen wollten. Im Sommer 2015 stellte die GSW den Geschäftsbetrieb ein, sie ist nur noch eine formalrechtliche Hülle für den Konzern. (taz)

Selbst um die Finanzierung der Entschädigung haben sich die Aktivisten von Kotti & Co in ihrem Vorschlag Gedanken gemacht. Ähnlich wie im sozial­demokratischen Wien und Berlin in den 20er Jahren soll eine kommunale „Haus-Zins-Steuer“ auf den Mehrfachbesitz von Wohnungen aufgelegt werden, „um die enormen Gewinne der Immobilienwirtschaft abzuschöpfen und zweckgebunden zur Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus zu verwenden“. Sie hoffen, dass dieses Geld dann nicht nur zum Rückkauf der GSW, sondern auch für alle anderen der aktuell noch rund 120.000 So­zial­wohnungen in Berlin, die sich in privaten Händen befinden, reicht. Und dass es zur Finanzierung umfangreicher Neubauten für Menschen mit geringem Einkommen dienen kann.

Anders als beim Mietenvolksentscheid soll der Vorschlag diesmal im Vorfeld breit diskutiert werden. Ob mit einem neuen Volksentscheid oder anderen Instrumenten, Ziel der Diskussion ist die Rückführung des ehemals kommunalen Eigentums in den Besitz der Allgemeinheit.