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Gast-Kommentar zu Kinder-StrafanzeigenPolizei als Knecht Ruprecht

Kommentar von Wolfgang Hammer

Wenn Schulen Kinder bei der Polizei anzeigen, werden Lehrer entmachtet, kritisiert der frühere Hamburger Jugendhilfe-Leiter Wolfgang Hammer.

Hamburger Zustände: Erziehung durch die Polizei? Foto: dpa

K inder werden schon im Grundschulalter bei der Polizei angezeigt, ihre so genannten Straftaten über Jahre im Computer gespeichert. Diese nicht nur in Hamburg verfolgte Strategie im Umgang mit Gewalt von Kindern hat erhebliche Schwächen.

So wichtig und richtig schnelles Reagieren auf gewaltsame Übergriffe von Kindern auch ist – nichts ist schädlicher als standardisierte Reaktionsmuster, die weder dem Einzelfall gerecht werden noch den pädagogisch Handelnden Spielräume lassen, wie sie reagieren. Das ist aber bei der nun aus Hamburg bekannt gewordenen Praxis der Fall. Dass das gerade in einer Stadt geschieht, die mal bundesweit führend in der Umsetzung von Strafvermeidungs-Konzepten und Gewaltpräventions-Programmen im Kindesalter war, zeigt wie anfällig Politik für Scheinlösungen ist und wie wenig Rationalität gerade im Umgang mit Gewalt besteht.

Gewaltsames Verhalten – auch das von Kindern – ist immer ein Eingriff in die körperliche und seelische Unverletzlichkeit anderer Menschen. Das muss auch jedem Kind unabhängig von den Ursachen und Anlässen verdeutlicht werden.

Die dann notwendige angemessene Reaktion auf gewaltsames Verhalten von Kindern setzt aber voraus, den Zusammenhang zu kennen, in dem gewalthaftes Verhalten eines Kindes geschehen ist. Dazu sind die individuellen, familiären und gruppenspezifischen Verursachungszusammenhänge – zum Beispiel Mobbing in der Schule – und der Grad der Gewaltausübung zu klären und zu bewerten. Daraus sind pädagogische Konsequenzen abzuleiten, die meist nicht nur das jeweilige Kind betreffen.

Gerade deshalb müssen sich diejenigen, die die Erziehungsverantwortung haben also Eltern und Lehrerschaft, gemeinsam dieser Aufgabe stellen. Nur sie und nicht die Polizei verfügen über die Kenntnisse und Erfahrungen über das Kind und die Umstände, die zu angemessenen Konsequenzen führen.

Dr. Wolfgang Hammer, 68, ist Soziologie und leitete von 1982 bis 2013 die Abteilung Kinder- und Jugendhilfe in der Hamburger Sozialbehörde. Von 2008 bis 2009 war er Vorsitzender der Arbeitsgruppe: Gewalt von Kindern und Jugendlichen des Nationalen Aktionplans für ein kindergerechtes Deutschland im Auftrag der Bundesregierung

Die Polizei als Knecht Ruprecht zu missbrauchen und Lehrerinnen und Lehrer pädagogisch zu entmachten ist genau der falsche Weg. Die Speicherung von Daten bei der Polizei ist unabhängig von der rechtlichen Bewertung kontraproduktiv. Sie gibt jedem gewaltförmlichen Verhalten von Kindern den Stempel des Kriminellen und verfolgt sie bis in die Strafmündigkeit. Aus der kriminologischen Forschung wissen wir aber, dass genau dies die gegenteilige Wirkung hat – nämlich nicht präventiv wirkt, sondern Delinquenz verstärkend.

Auch die Polizei sollte vor solch einer Rollenzuweisung geschützt werden. Die präventive Polizeiarbeit setzt auf Information und Kooperation mit Schulen und Jugendeinrichtungen – sie muss auch im Bewusstsein von Kindern als Institution der Hilfe und der Strafverfolgung ab Strafmündigkeit wahrgenommen werden und nicht zum Buhmann gemacht werden, während Schule und Eltern die angemessene und unmittelbare Reaktion auf gewaltsames Verhalten abgenommen wird.

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4 Kommentare

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  • Es ist schon bitter, so etwas zu lesen, das man polizeilich regestriert wird als Kind oder Jungerwachsener. So etwas währe in den 50-60ziger Jahre nie möglich gewesen. Konflickte worden anders gelöst, ohne Polizei. Uns wurde im Spiegel unseres tun konfrontiert, um zu erkennen, was wir falsch gemacht haben. Wie so ist heut zu Tage so etwas nicht möglich ?? E.Heeder - Stadtteilkünstler

  • 2G
    2730 (Profil gelöscht)

    Ob die Delikte der Kategorie 1 unter Einbeziehung der Polizei bearbeitet werden, liegt im Ermessen der Schulleitung - sprich: Im Bereich der pädagogischen Kompetenz. Was spricht dagegen, bei einem Schüler, der dauerhaft auf pädagogische Maßnahmen nicht reagiert, die Polizei als "Knecht Ruprecht" miteinzubeziehen. Auch den Erziehungsberechtigten wird vielleicht auf diese Weise klarer, in welche Richtung sich ihr Kind entwickelt.

    Bei den "anzeigepflichtigen" Delikten der Kategorie handelt es sich eh um Offizial-Delikte - wie z.B. Mord oder Raub, in denen die Polizei von Amts wegen ermitteln MUSS.

    Zusammengefasst: Wie immer ist es eine Frage, wie diese Kooperation "gelebt" wird, entscheidender Faktor ist die Schulleitung. Schaltet sie die Polizei zu häufig ein, so steht zu befürchten, dass es mit ihrem pädagogischen Engagement sowieso nicht wirklich weit her ist.

    Vielleicht sollte sich Herr Hammer erst einmal mit den Fakten vertraut machen, bevor er einfach drauflos schreibt, denn sein Kommentar erscheint geradezu reflexartig. Es ist immerhin beruhigend zu sehen, dass die Rechten nicht das alleinige Recht auf "postfaktisch" haben... ;-)

  • Lehrer sind zunächst mal Ausbilder und nicht Erzieher. Erziehungsberechtigt (aber auch erziehungsverpflichtet) sind ausschließlich die Eltern. Gerade im Falle von schweren Gewaltstraftaten haben die Lehrer keine Handhabe gegen die Kinder. Die Ladung der Polizei führt im Elternhaus hoffentlich zu einer Auseindandersetzung mit der dem Kind zur Last gelegten Tat. Ungeachtet dessen sollten daneben selbstverständlich weitere Präventionsmassnahmen ergriffen werden.

     

    Soweit dies als Prävention nicht nicht helfen und das Kind tatsächlich weiter straffällig werden sollte, kann durch die Datenspeicherung zumindest die "Karriere" des Kindes besser nachvollzogen werden.

    • @DiMa:

      Seit wann sind denn Lehrer Ausbilder, was bilden sie den aus, und wo drann bilden sie aus ??

      Ich bin der Meinung, das Lehrer ein was bei bringen sollen, das sie ein etwas lehren sollen. Nicht mehr und nicht weniger !! Lehrer sind keine Erziehungsberechtigte, oder ?? Hier sollten vielleicht die Eltern regestriert werden, nicht die Kinder. denn die Eltern sind für bestimmte verhaltensformen der Kinder zuständig !!