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Garton Ash über die Wahl in Polen„Ein großer demokratischer Moment“

Polens Opposition ist es gelungen, eine unfaire Wahl zu gewinnen, sagt der Historiker Timothy Garton Ash. Gelingt ein reibungsloser Machtwechsel?

„Nichts weniger als die Wiederherstellung der liberalen Demokratie“, sagt der Historiker über Polen Foto: Piotr Lapinski/NurPhoto/picture alliance
Interview von Rob Savelberg

taz: Herr Ash, die liberal-konservative Oppositionspartei KO hat bei der Parlamentswahl in Polen hinzugewonnen. Sie könnte nun mit anderen Parteien eine proeuropäische Regierung bilden. Was heißt das für das Land?

Timothy Garton Ash: Es bedeutet nichts weniger als die Wiederherstellung der liberalen Demokratie. Das ist sehr bedeutsam, denn die derzeitige national-konservative Regierung hat versucht, dem ungarischen Beispiel des autoritären Politikers Viktor Orbán zu folgen. Sie wollte die Demokratie in Polen praktisch zerstören. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Wahlausgang kaum zu unterschätzen. Er zeigt uns, dass Parteien, wenn sie gut genug sind, auch eine unfaire Wahl gewinnen können. Denn dies war keine faire Wahl.

Im Interview: Timothy Garton Ash

Jahrgang 1955, ist ein britischer Historiker, Publizist und Autor. Ein Schwerpunkt: Osteuropa.

Warum?

Weil die öffentlich-rechtlichen Medien in Polen, vor allem der Staatskanal TVP, Propaganda für die regierende PiS gemacht haben. Dazu wurde auf Plakaten und in Social Media eine lächerliche Kampagne zugunsten der Regierungspartei betrieben. Zudem wurden die Grundrechte von Frauen, Minderheiten und Gerichten angetastet. Aber auch wenn die Wahlen unfair waren, sind sie ein großer demokratischer Moment. Der Ausgang ist auch für Europa sehr wichtig, denn er bedeutet, dass die Polen bald wohl eine Regierung haben werden, die wieder proeuropäisch ist und fest an der Seite der Ukraine steht.

Vor ein paar Wochen hatte die PiS-Regierung gesagt, dass es keine weitere militärische Unterstützung für die Ukraine geben werde. Sie sind Experte für Osteuropa: Was bedeutet der Sieg der Opposition für den Krieg in der Ukraine?

Ehrlich gesagt glaube ich, dass sich die PiS in dem Punkt von den autoritären Führern in Ungarn und in der Slowakei mit Robert Fico unterscheidet. Letztere sind wirklich prorussisch. Beim polnischen Fall denke ich, dass die alte Regierung ihre Unterstützung für Kyjiw eher wegen des Wahlkampfs aufkündigte. Ihr Verhalten war taktisch. Ich denke, dass die künftige polnische Regierung absolut wieder an den europäischen Mainstream anschließen wird, auch mit Blick auf die Ukraine. Und sie werden diese wahnsinnige antideutsche Propaganda beenden, die ein wichtiger Teil der PiS ist.

Was bedeutet dies alles für den liberalen, europäischen „Way of Life“ in Polen, die unterdrückten LGBT-Rechte, für gefährdete Minderheiten? Brüssel hat Warschau wegen des Abbau des Rechtsstaats durch die PiS viele Gelder eingefroren.

Was wir nicht wissen, ist, wie viele Milliarden die alte polnische Regierung bereits für Wahlkampfgeschenke ausgegeben hat, für billiges Benzin, höhere Renten und Kindergeld. Mit anderen Worten, wir kennen den aktuellen Zustand der öffentlichen Finanzen überhaupt nicht. Aber ich hoffe natürlich, dass die EU die vielen Milliarden an EU-Mitteln, die sie zurückgehalten hat, sehr schnell freigeben wird.

Es gibt einige Bedenken hinsichtlich eines demokratischen Machtwechsels, ob dieser friedlich und rechtmäßig verlaufen wird. ­PiS-Chef Kaczyński sagte, der reibungslose Regierungswechsel könnte ein Problem darstellen.

Es wird ein Problem werden, weil Teile des Staates von der PiS stark vereinnahmt worden sind. Teile der staatlichen Verwaltungsinstitutionen, die Zentralbank, Präsident Andrzej Duda und das Verfassungsgericht werden versuchen, sich der liberalen Opposition zu widersetzen. Denn diese will ja die ursprüngliche Ordnung wiederherstellen. Wir müssen also aufpassen. Aber ich denke, dass die liberale und linke Mehrheit, wenn das Wahlergebnis stimmt, zum Glück groß genug sein dürfte, um das zu verhindern.

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9 Kommentare

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  • Komisches Interview mit einen ulkigen osteuropa Experten. Bei der letzten Antwort von Herrn ash ;" Aber ich denke, dass die liberale und linke Mehrheit, wenn das Wahlergebnis stimmt, zum Glück groß genug sein dürfte, um das zu verhindern.", entsteht der Eindruck das Polen nun eine liberale UND linke Mehrheit hätte. Dies entspricht nach meinen Politik Verständnis in keinster Weise der Realität. In dem mögliche dreierbündnis das jetzt die Mehrheit hat, hat eigentlich eine linke Partei unter 10% , die Partei von tusk mit über 30% nennt sich ja bereits liberalkonservativ und ist eine wirtschaftspartei welche ich niemals als links bezeichnen würde, solange sozial ein wesentlicher Bestandteil von linksein ist.



    Trotzdem ist das bündnis sicherlich besser als die Demokratie feindliche pis.



    Darüber hinaus finde ich amüsant, das man nach Ash wohl nur proeuropäisch sein kann wenn man fest an der seite der Ukraine steht, das soll wohl heißen die aktuelle kriegs und Konfrontationspolitik unterstützt und auch eine expansion der EU mit der mitgliedschaft Ukraine begrüsst.



    Da könnte man fast auf den Gedanken kommen das es sich ausschließt, friedlich gesinnt, links und proeuropäisch zu sein.



    Traurige, eingengte Zeiten sind das - nicht nur in Polen.

    • @niko:

      Lese gerade sein neustes “2023: Europa. Eine persönliche Geschichte. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. Hanser, München “ mit Gewinn as usual



      de.wikipedia.org/w...Timothy_Garton_Ash



      (Und nehme überrascht zur Kenntnis - is ja zehn Jahre jünger! - 🙀🥳 - ;)) But.



      Was wollen’s uns eigentlich sagen?



      Daßse sojet anders einschätzen - als diese selten fitte Kappe!



      May be. But so what! - ulkig -



      “…Als Zeitgeschichtler der Emanzipation Mitteleuropas vom Ostblock-Sozialismus wurde er ein Grenzgänger zwischen Journalist und Gelehrtem („mixture of both journalism and scholarship“ – „eine Mischung aus Journalismus und Wissenschaft“) und bezeichnete sich als „engagierten Beobachter“.“

      • @Lowandorder:

        "Was wollen’s uns eigentlich sagen?

        Daßse sojet anders einschätzen - als diese selten fitte Kappe! "

        Jep, genau das wollt ich damit sagen, ich halte die Einschätzung von Herrn Ash zu linksliberalen Mehrheiten für ulkig im Sinne vom seltsam - es ist in etwa so ulkig wie wenn man das aktuelle deutsche dreierbündnis als linksliberales Projekt ansehen würde.



        Mir geht es aufm Zeiger wenn allen Orts rechte und/oder wirtschaftsliberale Parteien in die linke Ecke gestellt werden. Aktuell sind linke, sozialökoöogische Mehrheiten ausgeträumt - auch in Polen.



        Aber so what, gegebenfalls wird Herr Ash im Interview auch nur mäßig übersetzt.



        Passender zur Einschätzung des dreierbündnisses fand ich den ersten Teil des verlinkten rundschaukommenntars:



        www.fr.de/meinung/...tive-92583286.html

        • @niko:

          Danke für den link -

          Ansonsten may be. But.



          Wenn ich btw etwas von ihm zwischen die Zähne kriege - mach ich n Schwung zum Hang & lese - immer mit Gewinn.



          Werten? fehlt mir dazu die Kenne - not my cup of tea & why should I?



          Ihr empör - linke Ecke etc - sojet nich meine Idee.



          Und seine - ooch nich - ich meine!



          (Er zu nem Hallenser doppeltschlitzohrig - einst bei uns umme Ecke!;) gut auch zu 🇵🇱 passend =>



          “Man möchte freundschaftliche Beziehungen mit dem Himmel, vertiefte Partnerschaft mit der Erde, aber auch fruchtbare Zusammenarbeit mit der Hölle.“ — Timothy Garton Ash zitiert bei Herbert Kremp: Die hohe Kunst des Genscherismus, Die Welt 21.03.2007,

          Quelle: beruhmte-zitate.de...ehungen-mit-dem-h/



          & Däh entre nous but not only =>



          (“Waaas? Der war nicht in der Partei?!



          Natürlich war der in der Partei! Wir waren hier alle in der Partei! Genschers wohnten doch um die Ecke!“ unsere alte Dame*04 die alle kannte;)

          • @Lowandorder:

            Ich werde mir, wenn mir mal wieder nach nicht ökologischer Lektüre ist ein Buch von Ash mit in die Hängematte nehmen und kann mir sehr gut Vorstellen das die Lesezeit keine verlorene wird.



            Bei mir gehört Einordnen und Werten, abgleichen mit meinen vorhandenen Wissensstand, zur Lektüre von Meinungsartikeln, Interviews und Sachbüchern schlicht dazu - Gewinn ohne Werten und Einordnen habe ich eher bei Prosa.



            Aber das kann ja jeder so handhaben wie es ihm vergnügt.



            Ob eine neue Regierung in Polen soziale und ökologische Fortschritte bringt werde ich gespannt beobachten - es ist da ich gerne in der Grenzregion und auch sonst im Nachbarland herumstreife durchaus ein wenig meine Tasse Tee - ich habe persönlich Polen noch nie als Hölle erlebt ...

            • @niko:

              cool - nehmse ne familiale special -



              Da könnsesich gegenseitig die Zehen kraulen - beim Werten! Gelle - 🙀🥳 -

              • @Lowandorder:

                Und womer a Strühfück ☕️ ☕️☕️ am Blödeln am dran! Gelle =>



                Wer sowas raushaut -



                “Atheisten sollten die Wahl von Papst Benedikt XVI. begrüßen, denn dieser alte, gelehrte, konservative und uncharismatische bayerische Theologe wird sicherlich die Entchristianisierung in Europa vorantreiben, auch wenn er genau das Gegenteil beabsichtigt. Am Ende seines Pontifikats wird Europa vielleicht genauso unchristlich sein, wie es schon einmal vor 15 Jahrhunderten war, als St. Benedikt, einer der Schutzheiligen Europas, den Benediktinerorden gründete. Das christliche Europa beginnt mit Benedikt und endet mit Benedikt - Ruhe in Frieden.“ —



                Timothy Garton Ash zitiert bei Horst Fuhrmann: Die Päpste - Von Petrus zu Benedikt XVI.



                Quelle: beruhmte-zitate.de...apst-benedikt-xvi/

                Kann kein ganz schlechter Mensch sein!

                unterm—- für kritische Würdigung org.



                ("Atheists should welcome the election of Pope Benedict XVI. For this aged, scholarly, conservative, uncharismatic Bavarian theologian will surely hasten precisely the de-Christianization of Europe that he aims to reverse. At the end of his papacy, Europe may again be as un-Christian as it was when St Benedict, one of the patron saints of Europe, founded his pioneering monastic order, the Benedictines, 15 centuries ago. Christian Europe: from Benedict to Benedict. RIP." - archives.dawn.com 22. April 2005 archives.dawn.com/2005/04/22/int4.htm



                Quelle: beruhmte-zitate.de...apst-benedikt-xvi/



                always at your servíce & “handle with care - use no hooks!“ - 🙀🥳 -

  • Bin äußerst gespannt, ob die neue Regierung die - wie Olli Kahn sagen würde - Eier hat, um im öffentlich-rechtlichen Fernsehen alle PIS-Propagandatröten zu entfernen.

  • Toll, was möglich ist, wenn die Massen mal nicht auf die Medien hören!