: „Ganztagsschulen wären in vielen Städten nötig“
Städtetagschef Josef Deimer über die bayerische und die versprochene Schröder’sche Politik der Ganztagsschulen. Das Land wälzt seine Aufgaben ab
taz: Herr Deimer, Sie kritisieren gern, dass es zu wenig Schulen gebe, die den ganzen Tag geöffnet haben. Warum richten Sie nicht einfach welche ein?
Deimer: Ganztagsschulen wären in vielen Städten dringend nötig – aus vielerlei Gründen. Das Problem ist, dass echte Ganztagsschulen, die Vormittag und Nachmittag sinnvoll verknüpfen, kaum zu bezahlen sind.
Das Land Bayern hat doch gerade ein teures Ganztagsprogramm aufgelegt. Schulministerin Hohlmeier stellt 330 Millionen Euro bereit. Reicht Ihnen das nicht?
Nein, Ganztagsschulen im engeren Sinne sind überhaupt nicht in der Förderung von Frau Hohlmeier drin. Was sie fördert, ist Ganztagsbetreuung – das geht von der Kleinkindbetreuung über spezielle Angebote etwa für behinderte Kinder bis hin zu Maßnahmen der Kommune. Mit einer pädagogisch orientierten Ganztagsschule kann man das nicht auf eine Stufe stellen. Kurz gesagt: Was die Schulen anlangt, sichert Bayern mit diesem Programm die Grundschule bis 12 Uhr – plus einer zufälligen Nachmittagsbetreuung.
Was ist denn das? Gehen da Gemeindediener mit den Kindern im Rathaus spazieren?
So ungefähr. Die Kinder bekommen Mittagessen, sie erhalten Hausaufgabenhilfe, es beteiligen sich Musikschulen und Sportvereine. Das heißt, die Stadt muss das Betreuungsangebot organisieren. Je nach den Möglichkeiten der Kommune ist das Angebot eben besser oder schlechter.
Die Städte machen den Job von Frau Hohlmeier?
Der Freistaat wälzt de facto eine seiner originären Aufgaben – Bildung und Erziehung – auf die Kommunen ab. Die Finanzierung des Betreuungsprogramms sieht so aus, dass die Kommunen 40 Prozent übernehmen, das Land 40 Prozent und die Eltern 20 Prozent zahlen.
Das ist doch schon mal nicht schlecht.
Solange es um die dringend nötige Verbesserung der Krippenbetreuung geht, vielleicht. Bei den Schulen sieht es anders aus. Für Bildung sind nun einmal die Länder zuständig. So, wie das Programm gestaltet ist, müssen die Kommunen wieder die sozialpädagogischen Maßnahmen der Hauptschulen in Brennpunkten übernehmen. Das möchte ich nicht.
Wo liegt für Sie als Bürgermeister einer Stadt wie Landshut die konkrete Notwendigkeit für eine Ganztagsschule?
Schon Städte mittlerer Größenordnung müssten Eltern ein schulisches Ganztagsangebot unterbreiten. Offene Angebote gibt es ja schon, etwa Tagesheimschulen. Aber die können sich nur Geschäftsleute leisten oder eben jene Eltern, bei denen die Jugendhilfe bezahlt. Das bedeutet: Nicht jeder kommt dran. Allein schon, weil Tagesschulen nicht für jeden bezahlbar sind. Heute wollen oder müssen nun einmal beide Elternteile arbeiten. Wir leben in einer anderen Welt als vor 20 Jahren.
Was fasziniert Sie so an Ganztagsschulen?
Schule über den ganzen Tag hat pädagogische Vorzüge, wenn sie die Unterrichtsschule nicht bloß in den Nachmittag verlängert. Im Idealfall wird ein Spannungsverhältnis zwischen Muße und Arbeit aufgebaut. Die Kinder können dabei auch soziale Kompetenzen besser erwerben. Eine Aufgabe, die die Schule heute hat. Denn wir stellen ja nicht nur in den Städten fest, dass es die kinderreichen Familien und auch die Kindnachbarschaften häufig nicht mehr gibt. Kindern haben übrigens in der Ganztagsschule auch die Möglichkeit, ihre Schwächen auszugleichen. Alle Experten sagen Ihnen heute, dass ein vertieftes Lernen in der normalen Schule oft gar nicht mehr geht – weil die Unterrichtszeit nicht ausreicht.
Brächten Ihnen in den Städten denn Mittel für Ganztagsangebote etwas, die der Kanzler gerade in Aussicht gestellt hat?
Es würde den Kommunen ganz gezielt helfen. Und es wäre ein wichtiger Anstoß, damit sich auch die Länder in Bewegung setzen, die Ganztagsschulen immer noch als ideologischen Ballast betrachten. Das geht aber nur, wenn die Förderung ausdrücklich auf Ganztagsschulen bezogen wird – und nicht auf die Betreuung von Kleinkindern.
Aber das Schröder-Programm ist doch Wahlkampf?
Für mich ist das keine Frage des Wahlkampfes. Es geht um die schiere Notwendigkeit, die Einrichtung von Ganztagsschulen endlich anzuschieben.
INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER
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