: Ganztags lernen
Uwe Mehl arbeitet als Lehrer in Niedersachsen. Prinzipiell meint er: „Die Schule ist besser als ihr Ruf. Die Qualifikationen, die ein Schüler erwerben sollte, erwirbt er in der Regel auch.“ Für andere Qualifikationen, beispielsweise den Umgang mit dem Computer, müsste die Schule personell und finanziell ausreichend ausgestattet werden. Viele Fähigkeiten, so Stracke, vermittelt die Schule außerhalb des Unterrichts. „Die Schüler kommen in eine neue Gemeinschaft hinein und erarbeiten sich soziale Kontakte. Ihre Einbettung in die Gesellschaft funktioniert zum großen Teil über die Schule.“
Häufig sei das Unterrichten in Kleinstädten einfacher, weil die Schüler dort meist noch besser in eine Gemeinschaft eingebettet sind als in einer Großstadt. Ab einem gewissen Grad an Arbeitslosigkeit oder an sozialen Problemen helfe allerdings auch das Kleinstadtmilieu nicht mehr.
Die Rolle des Elternhauses, so Mehl, werde häufig unterschätzt. „Ich unterrichte eine Klasse acht oder neun Stunden in der Woche, ansonsten sind die Schüler bei anderen Lehrern – oder nicht in der Schule. Da ist mein Einfluss begrenzt. Wenn im Elternhaus nicht mitgezogen wird, sind viele Bemühungen erfolglos.“
Deshalb gefällt dem Lehrer der Gedanke einer Schule, die bis in den Nachmittag geht. Das würde dem heutigen Berufsalltag entgegenkommen. „Viele Eltern sind doppelt berufstätig und oft mittags nicht zu Hause. Das Kind bekommt dann kein Mittagessen.“ Auch das müsste man in der Schule organisieren. Eine Ganztagsschule wäre allerdings eine große Umstellung – und finanziell zumindest für eine Übergangszeit teurer. Aber es würde sich auszahlen. „Es ist nicht gut, wenn ein Kind unbetreut zu Hause ist.“
Der Pädagoge ist sich sicher, dass sich die beiden Lehrergewerkschaften erst einmal gegen das Projekt Ganztagsschule aussprechen. „Man müsste die Schule so organisieren, dass die Lehrer nicht allein die Ausübenden sind. Neben den Lehrern bräuchte man Personal mit einer sozialen Ausbildung.“ Bei manchen Schülern sei die Hilfe eines Sozialtherapeuten gefordert.
„Als Lehrer“, so Mehl, „wird man für solche Härtefälle nicht ausgebildet. Treten sie gehäuft auf, fühlt man sich allein gelassen. Ein Lehrer kann sich natürlich an die Kollegen oder an den Vorgesetzten wenden – was nicht immer einfach ist. An meiner Schule klappt das gut. Aber es gibt Kollegien, da kann man nicht einfach sagen: Ich komme mit dieser Klasse nicht zurecht.“ Gelegentlich nämlich würden entsprechende Klagen nicht als Problem der Klasse ausgelegt, sondern als Problem des Lehrers.
„Es gibt auch einige Lehrer, die mit ihrem Beruf schon abgeschlossen haben. Deshalb würde ich auch ein bisschen Druck befürworten. Ich persönlich wäre damit einverstanden, dass häufiger jemand kommt und sich meinen Unterricht ansieht. Eine andere Möglichkeit wäre Teamteaching. Wenn zwei Lehrer gemeinsam unterrichten, kann man Fehler besser besprechen.“
RALPH BOLLMANN
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