Gabriel und Roth beim Grünen-Parteitag: „Wir wuppen das“
Die Parteivorsitzende Claudia Roth und SPD-Chef Sigmar Gabriel heizen dem Grünen-Parteitag ordentlich ein – und senden deutliche rot-grüne Signale.
BERLIN taz | Claudia Roth weiß, wie man einen Parteitag rockt. Sie hält am Samstagmittag eine fulminante Rede. Nach jedem dritten Satz tobt der Saal.
Es ist eine ganz andere Stimmung als am Vorabend, als die Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt zum Auftakt des Grünen-Parteitags in Berlin die Delegierten mit ihren schwachen Reden eher langweilten. Während die Spitzenkandidaten mit mauen Fußballvergleichen und dutzendfach gehörten Angriffen auf Schwarz-Gelb kaum Stimmung erzeugen, sitzt bei Roth fast jeder Satz. Sie spricht leidenschaftlich, ist angriffslustig.
Roth schimpft über schwarz-gelbe Rüstungspolitik, über „schäbige Kampagnen“ gegen Sinti und Roma, über unverantwortliche Innenpolitik – und über die CSU. Die „amigohafte Selbstverständlichkeit“ der Partei toppe alles. Sie spielt auf die Vorwürfe der Vetternwirtschaft an, auf den zurückgetretenen CSU-Fraktionschef Georg Schmid, der seine Frau 23 Jahre lang als Bürokraft beschäftigte, ihr bis zu 5.500 Euro monatliche zahlte.
„Bei denen kommt die Moral nicht mal nach dem Fressen“. Die 800 Delegierten jubeln. Roth legt nach: „Denen soll das Kruzifix von der Wand fallen.“ Sie macht sich über die herauszögernde Haltung der Union zur Frauenquote lustig. „Liebe Frauen, über sieben Brücken müsst ihr gehen, sieben Jahre Sack und Asche überstehen“, greift „Hotte Pinocchio Seehofer“ und „Baronesse Angela von Münchhausen“ an. Das Publikum johlt.
Stehende Ovationen
Roth endet kämpferisch: „Wir wuppen das, lieber Sigmar, wir schaffen das. Das Leben ist viel zu bunt, um immer nur schwarz-gelb zu sehen“. Was Trittin und Göring-Eckardt am Freitagabend nicht gelungen ist, obwohl die Parteispitze auf dem Podium heftig dafür kämpfte, schafft Roth von ganz allein: Standing Ovations der Delegierten.
Für SPD-Chef Sigmar Gabriel ist Roths Auftritt ein schweres Los. „Ich bin jetzt die arme Sau, die nach ihr reden muss, dabei ist doch alles gesagt von Claudia. Genau so machen wir das“, beginnt er seinen Rede. Damit hat er die Delegierten bereits auf seiner Seite. Noch nie hat Gabriel auf einem Grünen-Parteitag gesprochen. Er ist zum Gegenbesuch in Berlin. Vor zwei Wochen sprach Roth beim Parteitag der Genossen in Nürnberg – ebenfalls eine Premiere. Deutliche rot-grüne Signale an alle die noch zweifeln.
Gabriel lobt die Grünen als „besondere Partei, die Gesellschaft und Politik entscheidend mitgeprägt und verbessert hat“. Nachdem er in bekannter Manier mit schwarz-gelber Politik abrechnet, widmet er sich dem rot-grünen Projekt. „Es geht nicht nur um gemeinsame Einzelthemen, Spiegelstriche. Wir wollen gemeinsame die Richtung ändern, die unser Land genommen hat.“ Rot-Grün müsse einen neuen Aufbruch wagen, den Menschen, die sich zurückgezogen haben, Hoffnung zurückgeben, dass sich das Leben zum Besseren wenden lässt. Sätze, die bei den Grünen gut ankommen.
Keine Schwesterparteien
Gabriel geht auch auf schwarz-grüne Gedankenspiele ein und betont, dass SPD und Grünen keine Schwesternparteien seien. Jeder habe eigene Wurzeln, auf die man stolz sein könne. „Es ist aber auch normal, dass man im Wahlkampf darüber redet, was passiert wenn es nicht klappt.“ Man könne das ganz gelassen sehen, wie in einer „echten Zweierbeziehung ist es normal, dass man sich vor dem Zusammenziehen mal im Viertel umguckt, ob es nicht was Besseres gibt. Gucken tun wir alle.“ Applaus.
Der grüne Oberrealo Boris Palmer, Bürgermeister von Tübingen, der am Vormittag nicht nur mehrere Änderungsanträge verlor oder zurückzog, sondern mehrfach ausgebuht wurde, sitzt gähnend zwischen den Delegierten.
Selbst für Gabriel stehen die Grünen auf, applaudieren länger, als am Vortag für Trittin und Göring-Eckardt. Er hat Cem Özdemir und Claudia Roth zwei Rucksäcke mitgebracht mit Bionade und Biobier. Einer rot, einer grün. Es sind schöne Bilder für die Kameras. Sie sollen trotz mieser Umfragen Optimismus versprühen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag