Gabriel besucht Berliner SPD: Stöß will lieber Rot-Rot-Grün
Auf ihrem Parteitag fremdeln die Berliner Genossen weiter mit einer Großen Koalition. Allerdings nur auf Bundesebene.
Nein, an Selbstbewusstsein mangelt es ihm nicht. „Wir ihr wisst, kann ich ähnlich begeisternde Reden halten“, flachste Sigmar Gabriel in Anspielung auf den Berliner SPD-Landeschef Jan Stöß, der zuvor die Delegierten regelrecht mitgerissen hatte. „Heute bin ich aber eher nachdenklich“, kündigte der SPD-Bundesvorsitzende an. Also sprach Sigmar Gabriel von der „Kluft zwischen der Lebenswirklichkeit der Menschen und seiner Partei“ und auch vom Vertrauensverlust, den es bei der Bundestagswahl gegeben habe. Seine Botschaft: Wer an lieb gewonnenen Wahrheiten festhält, ohne sie selbstkritisch zu hinterfragen, wird das verloren gegangene Vertrauen nicht zurückgewinnen.
Gabriels Auftritt beim Landesparteitag der Berliner SPD am Samstag im Berliner Congress Centrum war ein Gang in die Höhle des Löwen. Der mehrheitlich linke Berliner Landesverband steht einem neuerlichen Bündnis mit der CDU von Angela Merkel kritisch bis ablehnend gegenüber – das zeigten auch die zahlreichen Zwischenrufe bei Gabriels Rede.
Der Parteivorsitzende wiederum musste die Hauptstadtgenossen auf seinen Große-Koalition-Kurs einschwören. Dass es da auch Enttäuschungen gebe, sei klar: „Glaubt ihr etwa, Frau Merkel wird das SPD-Wahlprogramm ganz unten rechts einfach so unterschreiben?“ Eine solche „Alles-oder-nichts-Haltung“ sei falsch, gab Gabriel den Berliner Sozialdemokraten auf den Weg. Er betonte aber, dass ein Koalitionsvertrag ohne gesetzlichen Mindestlohn von ihm nicht unterschrieben werde. Auch für die doppelte Staatsbürgerschaft machte sich Gabriel überraschend deutlich stark.
Tatsächlich prallten da am Samstag zwei Welten aufeinander. In seiner Eröffnungsrede hatte Jan Stöß betont, dass Rot-Grün auf Bundesebene „zu keinem Zeitpunkt eine Machtoption“ gewesen sei. Unter dem begeisterten Applaus der 200 Delegierten sagte Stöß: „Es darf nie wieder dazu kommen, dass wir zur Freude der Union über dieses Stöckchen springen, dass wir nicht mit der Linken reden.“ Sein Plädoyer für Rot-Rot-Grün beendete Stöß mit dem Satz: „2017 müssen wir wieder stärkste Kraft werden und die Kanzlerin oder den Kanzler stellen.“
Sigmar Gabriel wiederum bezeichnete es als Legende, dass es keine Gespräche mit den Linken gegeben habe. Das Problem sei nicht die SPD, sondern die Linke: „Wenn sich das nicht ändert, wird Rot-Rot-Grün auch in vier Jahren nicht möglich sein.“
Zwar betonte Gabriel, es gehe derzeit um „Weichenstellungen für die Zukunft der SPD in den nächsten 20 oder 30 Jahren“. Er weiß aber auch, dass ein Nein der SPD-Basis beim Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag das Ende seiner Karriere ist. Deshalb nahm sich Gabriel viel Zeit, um auf seine Kritiker einzugehen. Fast 45 Minuten lang antwortete er nach der Aussprache den Argumenten seiner Kritiker. Gabriels Fazit: Man dürfe „keinen Schiss“ haben, in eine Große Koalition zu gehen, wenn das Ergebnis stimme.
Schiss hatten die Genossen am Samstag dennoch – wenn auch nicht vor ihrem Bundesvorsitzenden, sondern vor einem positiven Votum im Volksentscheid des Wassertisches. Also reklamierte Jan Stöß für seine Partei, die Politik der Rekommunalisierung überhaupt erst erfunden zu haben.
Einen Antrag der Jusos, sich für den Volksentscheid einzusetzen, lehnten die Delegierten überraschend einmütig ab. Zuvor hatte Stöß gesagt, ein solcher Entscheid sei schließlich überflüssig. „Wer braucht schon zwei Stadtwerke?“, fragte der Landeschef und spielte damit auf die Gründung eines Stadtwerks an, das Rot-Schwarz kurz vor dem Abstimmungstermin gegründet hatte.
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