GEW-Chefin Bensinger-Stolze über G9: „Wir wollen eine neue Debatte“
Als Medizin gegen Turbo-Abi-Stress will die GEW die Schulstruktur ändern. Gleiche Aufgaben für Stadtteilschule und Gymnasium.
taz: Frau Bensinger-Stolze, die GEW will den Turbo-Abitur-Streit lösen. Was schlagen Sie vor?
Anja Bensinger-Stolze: Wir haben Eckpunkte für eine Oberstufenreform formuliert. Wir schlagen vor, dass die Stadtteilschulen und die Gymnasien jeweils bis zum Ende der 10. Klasse zum mittleren Schulabschluss führen, also praktisch „eine Sekundarstufe I für alle“. Im Anschluss kann die Oberstufe dann zwei, drei oder vier Jahre dauern; es gäbe eine Eingangsphase, die übersprungen werden kann. Danach würde die Oberstufe dann zwei oder drei Jahre dauern. Schnelle Lerner wären nach zwölf Jahren fertig.
Was wäre dadurch gewonnen?
Für unsere Gymnasial-Kollegen in der GEW ist schon lange deutlich, dass im verkürzten Gymnasium (G 8) in der Mittelstufe die Masse an Stoff viel zu viel ist. Die Schüler müssen schon in der Mittelstufe den Stoff der Oberstufe lernen. Durch unseren Vorschlag wäre die Schulzeitverkürzung in die Oberstufe verlagert. Das Lernen in der Mittelstufe wäre entzerrt. So bleibt auch Zeit für soziales Lernen.
Die Lehrpläne müssten neu geschrieben werden.
Ja.
Wie kommt es, dass in Hamburg außer der G 9-Volksinitiative nur die GEW die Abkehr vom G 8 fordert? Diverse Gremien wie Elternkammer und Schulleiterverband positionieren sich dagegen.
Wir haben seinerzeit die Einführung von G 8 kritisiert. Die Kirsch-Initiative unterstützen wir aber ganz klar nicht, weil bei deren Umsetzung den Stadtteilschulen droht, zu Restschulen zu werden. Eine Rückkehr zu G 9 am Gymnasium kann es nur geben, wenn die Gymnasien die gleichen Aufgaben übernehmen wie die Stadtteilschulen: volle Inklusion und Berufsorientierung.
Aber gibt es nun ein G 8-Problem oder läuft es halbwegs? Schließlich wurden die Lehrpläne entschlackt.
Das stimmt, die Lehrpläne wurden entschlackt. Aber die Kollegen berichten, dass die Schüler nicht die Zeit haben, das Gelernte zu verarbeiten, oder beispielsweise in Geschichte nicht die Reife dafür haben. Hinzu kommt, dass wir auch am Gymnasium soziales Lernen fördern wollen. Dafür braucht man Zeit.
Mit einer Namensänderung will die Mutter Christina Michaloglou die Stadtteilschulen stärken. In einer Petition fordert sie Senator Rabe auf, diese in "Stadtteilgymnasien" umzubenennen. Schließlich hätten auch andere Schulen, die das Abitur anbieten, wie Aufbaugymnasien oder Abendgymnasien, dies im Namen.
So werde deutlich, dass es das G 9 an den Stadtteilschulen bereits gibt. Dadurch würde auch der Druck von den Gymnasien genommen, weil alle Eltern dächten, sie müssten ihr Kind dorthin schicken.
Die Petition: www.change.org/de/Petitionen/ties-rabe-umbenennung-der-stadtteilschulen-in-stadtteilgymnasien.
Und wo bleibt Zeit für vertiefende Bildung zur Studienvorbereitung?
In der Oberstufe.
Dürften denn die Gymnasien weiter Kinder abschulen?
Nein, denn dafür gäbe es gar keinen Grund mehr.
Wenn sich beide Schulformen nicht mehr unterscheiden, haben wir die „Schule für alle“.
Das stimmt. Unsere Grundforderung ist auch eine Schule für alle. Es gibt nur verschiedene Wege dorthin. Wir sagen nicht, es muss von heute auf morgen passieren. Wir wollen eine Debatte anregen.
Der sogenannte Schulfrieden sagt, dass die Struktur zehn Jahre nicht angetastet wird. Angeblich tut das den Schulen gut.
Aber die G 9-Volksinitiative tastet doch jetzt den Schulfrieden an. Und auch die Parteien, die jetzt Kompromissvorschläge machen. Wenn es neben G 8- auch G 9- Schulen gibt, oder – wie die CDU vorschlägt – Stadtteilschulen, die auf Inklusion spezialisiert sind, dann haben wir bald wieder ein drei- oder viergliedriges Schulsystem.
50, Lehrerin für Deutsch und Politik und seit Mai 2013 Landeschefin der GEW. Zuvor war sie 18 Jahre an der Otto-Hahn-Schule und vier an der Stadtteilschule Bahrenfeld.
Glauben Sie, dass Ihre Ideen mehrheitsfähig sind?
Es ist immer die Frage, wer sich einbringt. Es melden sich immer nur die Eltern der Kinder, die aufs Gymnasium gehen. Auch wenn der Schulsenator jetzt eine Umfrage startet, sind nur die Gymnasien gefragt. Die Stadtteilschulen dürfen nicht mitreden. Wir wollen uns auch für die Bevölkerungsteile einsetzen, die sich nicht in der Art und Weise ausdrücken können.
Es gibt die Klage bei Bildungsbürgern, dass zu viele Abitur machen.
Die kann ich nicht verstehen. Es ist doch gut, wenn viele Menschen von Bildung profitieren.
Vertritt die GEW die Basis?
Wir vertreten ziemlich viele. Wir haben 10.000 Mitglieder, unter denen es aber auch Erzieher und Hochschulangehörige gibt. Wir sind die wesentliche Stimme der Lehrkräfte in Hamburg. Die Eckpunkte zu G 8/G 9 werden auf unserem Gewerkschaftstag am 26. Mai zur Abstimmung gestellt.
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